Mathematik und Physik in Wechselbeziehungen – Allgemeines und Lokales
Die gegenseitige Beeinflussung von Mathematik und Physik wird heute selbst im Allgemein¬verständnis nicht in Zweifel gezogen, auch wenn man sich dabei meist nur darauf bezieht, physikalische Sachverhalte mit Hilfe der mathematischen Formelsprache einfacher und klarer auszudrücken. Doch es geht um mehr (Die Beziehungen zwischen Mathematik und Physik sind jedoch viel umfassender und tiefliegender): zum einen kann die adäquate mathematische Beschreibung physikalischer Phänomene neue Einsichten in deren Struktur vermitteln und die Deduktion weiterer physikalischer Zusammenhänge ermöglichen. Zum anderen liefert die Suche nach dieser Beschreibung ihrerseits vielseitige Anregungen zur Weiterentwicklung der Mathematik. Ein genauerer Blick auf diese seit Jahrtausenden bestehenden Wechselbeziehungen zwischen Mathematik und Physik offenbart vielfältige Veränderungen, die sowohl von der inhaltlichen Entwicklung der beiden Disziplinen bedingt waren, als auch durch die variierenden äußeren Rahmenbedingungen. Von besonderem Interesse sind dabei die letzten beiden Jahrhunderte, brachten sie doch für beide Disziplinen einen großen Erkenntniszuwachs mit der Herausbildung zahlreicher Teildisziplinen sowie grundlegende Wandlungen durch neue Theorien und Methoden wie die mengentheoretische Durchdringung der Mathematik, die Quantentheorie oder das allgemeine Relativitätsprinzip. In der allgemeinen Relativitätstheorie und in der Quantenmechanik war die physikalische Theoriebildung untrennbar mit neuen mathematischen Konzeptionen verbunden, so dass Y. Manin im Bezug auf das veränderte Wechselverhältnis von Mathematik und Physik davon sprach, dass „without the mathematical language physicists couldn’t even say what they were seeing“.
Ziel der Konferenz ist es, die Veränderungen dieses Wechselverhältnisses im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts exemplarisch zu erfassen und zu analysieren. Dabei sollen folgende Gesichtspunkte im Zentrum stehen:
– Merkmale der Mathematisierung von physikalischen Teildisziplinen (und/oder)
– Rückwirkungen der Mathematisierungsprozesse in der Physik auf die Mathematik
– Entwicklung des Verhältnisses zwischen mathematischer und theoretischer Physik
– Gestaltung des Wechselverhältnisses zwischen Mathematik und Physik durch die einzelnen Wissenschaftler in lokalen Zusammenhängen
Durch den Vergleich der verschiedenen lokalen Entwicklungen untereinander sowie mit den skizzierten übergeordneten Prozessen sollen in den Diskussionen allgemeinere Merkmale dieser Wechselbeziehungen herausgearbeitet werden.