Kaum andere Themen hielten Politik, Öffentlichkeit und Medien in den vergangenen Jahren so sehr in Atem wie „Asyl“ „Flucht“ und „Migration“. In der Tat hat der schnelle, vor allem aber unerwartete Zustrom einer großen Zahl von Flüchtlingen 2014/15 manche/n Politiker/in und viele Verwaltungen, nicht zuletzt aber zahlreiche Bürger*innen, oftmals überfordert. Doch neben der Hilflosigkeit des politischen und des Verwaltungssystems sowie großer Teile der Gesellschaft stand das tausendfache Engagement vieler Menschen, die im „Flüchtlingschaos“ weiterhin die Individuen wahrnehmen konnten, zu spontaner Hilfe bereit waren und nicht jede/n „Fremde/n“ als potentielle/n Feind/in wahrnahmen. Für sie stand das Recht auf Asyl als Schutzgewährung vor Krieg und Verfolgung nicht infrage – doch ob daraus Einwanderung, ob aus dem atemlosen Ankommen und dem Versuch der Anpassung gelungene Integration werden kann, wird sich erst noch erweisen müssen.
Medial und real sind „die Flüchtlinge“ auf unseren Straßen und in unseren Wohnorten inzwischen unübersehbar, ebenso wenig aber auch eine große Zahl strikter Asylgegner*innen, chronisch Unzufriedener oder gar explizit Rechtsradikaler. Unsicherheiten im eigenen Leben, Unwissen über fremde Kulturen (wie manchmal auch über die eigene) sowie offener Hass gegen „Ausländer“, „die Politik“ und „die Lügenpresse“ vermischen sich zu einer aggressiven Haltung, mit der man mal verbalradikal, mal handfest gegen „die Fremden“ und „die Eliten“ Stellung bezog. Der innere Frieden in vielen Städten, Gemeinden, Vereinen und Institutionen ging dabei zu Bruch, ebenso wie manche Freundschaft. Die Akzeptanz von Gewalt nahm zu, es bildeten sich Lager des „pro“ und „contra“ und vielfach ging die Orientierung am Gemeinsinn-Interesse in einer demokratischen Gesellschaft verloren.
Ein Großteil der artikulierten Abwehr und Aggression aber hat „die Fremden“ und deren Zuzug nur als Anlass oder Projektionsfläche benutzt, um für eigene Interessen, persönliche Unzufriedenheit, nationale Attitüden und kulturelle Abwehrhaltungen ein Objekt zu finden. Die offene Feindschaft und tiefe Verachtung, die Politiker*innen und Journalist*innen, Verantwortungsträger*innen und Ehrenamtler*innen momentan entgegenschlägt, verweist auf manifeste Probleme unserer eigenen Gesellschaft. Deren Ursache, noch weniger aber deren Lösung, bedarf nicht der Anwesenheit auch nur eines einzigen Flüchtlings. Man muss die aktuelle Vertrauens- und Orientierungskrise unseres Gemeinwesens als „hausgemacht“ begreifen und wir müssen uns selbst dafür in die Verantwortung nehmen, nicht „die Anderen“.
Weder die Abgrenzung „zum Fremden“, noch die zwischen „oben“ und „unten“, „Ost“ und „West“, „Links“ und „Rechts“ bringt uns also der Lösung akuter sozialer und politischer Probleme näher (die man aber auch nicht schönreden darf). Die Fähigkeit zur Selbstkritik, der Respekt vor anderen Menschen und Meinungen, das Wissen um die Alltagsregeln, Handlungsmaximen und sozialen Verwerfungen in einer offenen Gesellschaft – und oftmals schlicht die Kenntnis anderer Kulturen und Religionen – sind ebenfalls nicht die Lösung, sondern nur die Voraussetzung zum Dialog, zum fair ausgetragenen Streit der Meinungen und zu einer Debatte über die Zukunft unseres Landes.
Die Podiumsdiskussion vom 8. Februar können Sie hier mit der Begrüßung des SAW-Präsidenten Hans Wiesmeth nachhören.
Es diskutierten:
Prof. Anja Pistor-Hatam (Islamwissenschaftlerin, Christian-Albrechts-Universität Kiel)
Dr. Oliver Decker (Sozialpsychologe, Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus und Demokratieforschung der Universität Leipzig)
Prof. Gert Pickel (Religionssoziologe, Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus und Demokratieforschung der Universität Leipzig)
Moderation: Dr. Justus H. Ulbricht (Redakteur der "Dresdner Hefte")