Vor 100 Jahren, am 5. März 1922, starb in Erlangen der Professor der Deutschen Sprache und Literatur Elias von Steinmeyer. Sein wissenschaftliches Lebenswerk ist eng mit der Erforschung der althochdeutschen Sprache und Literatur verbunden und hat die Grundlagen für ein heute weltweit renommiertes Forschungsprojekt der Altgermanistik gelegt: das Althochdeutsche Wörterbuch an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.
Das „Althochdeutsche Wörterbuch“ hat zum Ziel, das gesamte erhaltene Wortgut des frühestbezeugten Deutschen aus allen Textsorten zu erfassen und zu erschließen. Es stützt sich dabei auf das von Elias von Steinmeyer (1848–1922) begründete und seither kontinuierlich aktualisierte Archiv mit etwa 750 000 Belegzetteln, in dem alle Wortformenbelege von den Anfängen deutscher Schriftlichkeit im 8. Jh. bis zu Spätbelegen des 13. bis 15. Jh. aus kritischen Editionen zusammengeführt sind.
GLOSSENSAMMLUNG UND EDITION
Elias von Steinmeyer wurde 1848 in der Nähe von Potsdam geboren und absolvierte in Berlin ein Studium der klassischen Philologie und der Germanistik. Seine Dissertation verfasste er bereits im achten Semester bei Karl Müllenhoff, sie widmete sich den althochdeutschen Vergilglossen und hat wohl entscheidende Weichen gestellt. Als erst Zweiundzwanzigjähriger nahm Steinmeyer 1870 von dem Hallenser Professor Julius Zacher die Anregung entgegen, ein neues Wörterbuch der althochdeutschen Sprache zu erarbeiten. Als unabdingbare Voraussetzung hierfür sah er die Sammlung, Erforschung und editorische Aufarbeitung der Glossenüberlieferung an, ist doch ein erheblicher Teil des Wortbestandes aus althochdeutscher Zeit lediglich in Glossierungen – als einzelne Übersetzungswörter zwischen den Zeilen oder an den Rändern lateinischer Texte – oder den daraus erstellten Glossaren bezeugt.
Das zu dieser Zeit vorliegende Wörterbuch zum Althochdeutschen, der sechsbändige "Althochdeutsche Sprachschatz" von Eberhard Gottlieb Graff (1834-1842 erschienen), galt in seiner Ordnung nach Sanskritwurzeln als wenig benutzerfreundlich und war durch zahlreiche neue Handschriftenfunde bereits inaktuell. Von 1873 an ging Steinmeyer, der zunächst eine Professur in Straßburg inne hatte und 1877 dem Ruf nach Erlangen folgte, auf Bibliotheksreisen durch ganz Europa. Er entdeckte weitere Glossenhandschriften und zusätzliche Glossen in bereits bekannten Handschriften. Fachkollegen teilten ihm auf brieflichem Weg neu aufgefundenes Material mit. Sein Editionswerk zu den althochdeutschen Glossen, das er gemeinsam mit Eduard Sievers, dem Hallenser, später Leipziger Professor für deutsche Philologie, zwischen 1879 und 1922 in fünf Bänden herausgab, wurde zusammen mit seiner Edition der Kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler (1916) zu einem grundlegenden Arbeitsinstrument der Altgermanistik. Seine Methodik im Bereich der Editionsphilologie prägt die mediävistische Forschung bis heute.
VERDIENSTE IN ERLANGEN
Neben seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit und seiner Lehrtätigkeit hat sich Elias von Steinmeyer nachhaltige Verdienste auch auf wissenschaftsorganisatorischem Gebiet erworben. Er ist als Herausgeber der "Zeitschrift für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur" bekannt. In Erlangen war er wesentlich an der Gründung des Deutschen Seminars 1883 und dem Aufbau der umfangreichen Fachbibliothek beteiligt. Als langjähriges Mitglied und später von 1894 bis zu seinem Tod 1922 als Vorsitzender der Bibliothekskommission, eines Leitungsgremiums der Universitätsbibliothek aus gewählten Professoren, hatte Steinmeyer maßgeblichen Anteil an der Realisierung des Bibliotheksneubaus im Jahr 1913.
DAS ALTHOCHDEUTSCHE WÖRTERBUCH
Unter großem persönlichem Einsatz legte Steinmeyer das Materialarchiv für das neue Wörterbuch an, das schließlich mehr als 650.000 Belegzettel enthielt. Auf dieser Basis konnten dann Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings in Leipzig ab 1935 eine lexikographische Konzeption entwickeln und einen Mitarbeiterstab für das Vorhaben gewinnen, das seit 1948 an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist.
Mit dem Erscheinen der ersten Lieferung im Jahre 1952 begann die kontinuierliche Drucklegung des Werkes, die derzeit im Buchstaben S fortgesetzt wird. Bis zum Jahr 2030 soll das Althochdeutsche Wörterbuch als das Referenzwerk für die früheste Sprachstufe des Deutschen mit dem Wortschatz des 8. bis 11. Jahrhunderts (und teilweise noch darüber hinaus) in zehn Bänden abgeschlossen vorliegen. Das Wörterbuch ist online verfügbar und im Rahmen eines Wörterbuchverbundes mit weiteren lexikographischen Ressourcen verknüpft. Parallel zur laufenden Publikationsarbeit wird am Projekt weiterhin neu entdecktes Wortmaterial gesammelt und für die Forschung aufbereitet.
TAGUNG IM NOVEMBER 2022
Vom Akademievorhaben "Althochdeutsches Wörterbuch" wird im November 2022 unter dem Titel "Steinmeyers Erbe(n)" ein Workshop ausgerichtet, der die wissenschaftlichen und wissenschaftsplanerischen Leistungen Steinmeyers im Kontext seiner gelehrten Netzwerke und vor dem Hintergrund wissenschaftsgeschichtlicher Entwicklungen der Zeit würdigen und sie mit gegenwärtigen Forschungsfragen verknüpfen soll.