Vortrag zur Öffentlichen Herbstsitzung am 9.12.2022
Prof. Dr. rer. nat. habil. Annette Beck-Sickinger (Leipzig)
Professorin für Biochemie und Bioorganische Chemie am Institut für Biochemie der Universität Leipzig, am 13.2.2009 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt;
Forschungsschwerpunkte: Struktur-Wirkungsbeziehungen von Neuropeptiden, Peptidhormonen und Chemokinen; Therapeutische Peptide und Peptidmimetika; Signaltransduktion von G-Protein gekoppelten Rezeptoren; chemische Modifizierung von Peptiden und Proteinen; Immobilisierung von Peptiden und Proteinen für nanotechnologische Anwendungen
Therapeutische Peptide – Medikamente der Zukunft?!
Peptide sind körpereigene Substanzen, die vielfältige Funktionen haben. Sie können wichtige Signale übertragen und Botschaften, wie „Schmerz“ oder „Hunger“ weitergeben. Da sie leicht durch Enzyme abgebaut werden und in ihrer natürlichen Form nur eine kurze Halbwertszeit haben, schienen sie lange als Therapeutika nicht geeignet. In den letzten Jahren konnten jedoch Strategien zur Verbesserung der Halbwertszeit entwickelt werden, die Methoden zur Herstellung vereinfacht und die Möglichkeiten der Modifizierung optimiert werden. Damit hat sich der Zugang zu Peptidtherapeutika wesentlich vereinfacht. Aufgrund der extrem hohen Affinität von Peptiden, die Möglichkeit mit Proteinen zu interagieren und der ausgezeichneten Selektivität wird das Potential dieser Moleküle nun neu definiert.
Vorträge am 11.11.2022
Prof. Dr. rer. nat. habil. Oliver G. Schmidt (Chemnitz)
Professor für Materialsysteme der Nanoelektronik im Institut für Mikrosystem- und Halbleitertechnik der Technischen Universität Chemnitz und wissenschaftlicher Direktor des Forschungszentrums für Materialien, Architekturen und Integration von Nanomembranen (MAIN), am 9.10.2020 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt;
Forschungsschwerpunkte: Herstellung und Integration von funktionalen Nanostrukturen in selbstorganisierten Mikro- und Nanoarchitekturen.
4D Microelectronic Materials
4D materials change their shape in time. If prepared as stimuli-responsive nanomembranes on a chip surface, they represent a unique class of 4D microelectronic materials for various scientific disciplines and research areas. This talk presents the underlying physical concepts and fascinating application potential of 4D microelectronic materials for several prime examples, including soft electronic skin, highly integrated medical microtools, microbatteries and microelectronic microrobots. Particular attention will be paid to the challenge of on-board energy supply for autonomously acting smart dust microsystems.
Prof. Dr. oec. troph. habil. Gabriele Irmgard Stangl (Halle/Saale)
Professorin für Humanernährung am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, am 8.2.2013 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt;
Hauptarbeitsgebiete: Einfluss von Vitamin D auf den Lipidstoffwechsel, kardiovaskuläre Risikofaktoren und die Atherogenese, Funktionelle Bedeutung von Peroxisomenproliferator-aktivierten Rezeptoren (PPARs) in der Regulation des Lipid- und Energiestoffwechsels, Biofunktionalität von spezifischen Aminosäuren und pflanzlichen Proteinen, Einfluss von oxidierten Fetten und des Redoxstatus auf die Lipogenese.
Wie nachhaltig ist unsere Ernährung?
Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben im September 2015 die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Hierbei wurden 17 Ziele für eine soziale sowie wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung definiert. Viele dieser Ziele tangieren auch die Ernährung. Nahrungsmittelproduktionssysteme sind verantwortlich für ca. ein Drittel der globalen anthropogenen Treibhausgasemissionen, ein Drittel der globalen Bodenversauerung und Eutrophierung und mehr als 40 % des eis- und wüstenfreien Landverbrauchs. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird bis 2050 weiter steigen und Konsummuster werden sich mit dem Anstieg der Einkommen verändern. Im Jahr 2019 hat ein Papier der EAT-Lancet-Kommission mit dem Titel „Food in the Anthropocene“ besondere Aufmerksamkeit erlangt. Darin werden Empfehlungen für eine nachhaltige und gesundheitsförderliche Ernährung auf der Grundlage der planetaren Grenzen gegeben. Die als „Planetary Health Diet“ bezeichnete Ernährungsweise soll nicht nur die Gesundheit fördern und ökologisch verträglich sein, sondern auch den gesellschaftlichen Ansprüchen genügen. Global gesehen ist der Konsum an Fleisch und kohlenhydratreichen Gemüsen deutlich zu hoch, während der Verzehr an Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen, Obst und Gemüse zu gering ausfällt. Die Stellungnahme der EAT-Lancet-Kommission hat dazu geführt, dass sich nun auch die ernährungswissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland stärker den Nachhaltigkeitsaspekten der Ernährung widmen. In vielen Punkten decken sich die Empfehlungen der „Planetary Health Diet“ mit den bisherigen Ernährungsempfehlungen für die deutsche Bevölkerung. Tatsache ist jedoch, dass die Ernährungsweise vieler Menschen in Deutschland deutlich von den Empfehlungen der EAT-Lancet-Kommission abweicht. Dabei ist insbesondere der Fleischkonsum zu hoch und der Verzehr pflanzlicher Nahrung zu niedrig. Neben ungünstigen Ernährungsweisen ist auch die Lebensmittelverschwendung ein zentrales Problem in Deutschland. Die Umsetzung des Konzeptes der nachhaltigen Ernährung stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Zukünftig ist nicht nur ein Umbau des Agrar- und Produktionssektors erforderlich, sondern auch eine Veränderung unseres Ernährungsstils.
Vorträge am 14.10.2022
Prof. Dr. phil. nat. Jens Meiler (Leipzig)
Professor für Pharmazeutische Chemie, Direktor des Instituts für Wirkstoffentwicklung und Humboldt-Professor an der Universität Leipzig; am 10. Februar 2017 zum Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt;
Forschungsschwerpunkte: Entwicklung computergestützter Verfahren auf den Gebieten: Strukturbestimmung von Membranproteinen, computergestützte Wirkstoffforschung und dem Design neuer Proteintherapeutika.
Künstliche Intelligenz macht ernst im Biolabor
Eines der wichtigsten Probleme in der Biologie ist die Bestimmung der Proteinfaltung – oft auch als Heiliger Gral bezeichnet: Wie sieht die dreidimensionale Struktur eines Proteins aus? Wo ist jedes einzelne Atom positioniert? Die Proteinstruktur ist die zentrale Verbindung auf dem Weg vom Gen zur Funktion, vom Genotyp zum Phänotyp. Mit DeepMind's AlphaFold-Algorithmus ist ein großer Schritt gelungen auf dem Weg hin zu einer Künstlichen Intelligenz, die dieses Problem löst. Im Vortrag wird die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Proteinstrukturvorhersage beleuchtet: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Prof. Dr. Phd. DrSci. Atanas Pavlov (Plovdiv/Bulgarien)
University of Food Technologies, Bulgaria; Institute of Microbiology, Member of Bulgarian Academy of Sciences, am 9. März 2018 zum Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Plant in vitro technology for foods, food additives, cosmetics and pharmacy: current status, speculations and future prospects
From time immemorial, humans have been highly dependent on plants as sources of proteins, carbohydrates and fats. Furthermore, the volume and range of phytochemicals used by modern society (inter alia as drugs, nutrients, cosmetic additives and biopesticides) are continuously expanding. On the other hand, the critical global challenges facing humanity are achieving sustainable development in the context of global climate change, limited access to fresh water, limited food supply and growing energy needs. These high demands are driving efforts to develop new ways to produce plant-derived metabolites and biomasses. Plant in vitro techniques, in which plant cells, tissue and organs are cultivated under controlled conditions offer effective tools for sustainable supply of phyto-ingredients with reduced energy, carbon and water footprints. The advantages of this technology over the conventional agricultural production are: 1) independence of geographical and seasonal variations and various environmental factors; 2) insurance of the continuous supply of products with uniform quality and yield; 3) possibility to produce novel compounds that are not normally found in parent plants; 4) efficiency in downstream recovery and product; 5) reduced energy, carbon and water footprints; etc.
The lecture will be focused on integrated approaches for bioactive substances production in different plant in vitro systems with application in food products, cosmetics and pharmacy. Current status, speculations and future prospects as well as challenges of the commercialization of the products of plant cell and tissue cultures will be outlined. The specific technological requirements for the final product formulations will be discussed. Finally, some examples of products developed in our laboratory will be presented as eco-friendly alternative methods for sustainable production of plant-derived biomasses and bioactive substances.
Vorträge am 10.6.2022
Prof. Dr. phil. habil. Michael P. Streck (Leipzig)
Professor für Altorientalistik und Leiter des Altorientalischen Instituts der Universität Leipzig, am 9. Oktober 2020 zum Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt;
Forschungsschwerpunkte: Grammatik, das Lexikon, die Onomastik und die Literatur der semitischen Sprachen des Alten Orients, besonders des Akkadischen (Babylonisch-Assyrische), der bedeutendsten Sprache des Alten Orients, und der frühen nordwestsemitischen Sprachen (besonders Amurritisch, aber auch frühes Aramäisch).
"Seine Sprache war fremd, niemand verstand seine Rede". Indirekte Sprachzeugnisse im Alten Orient.
Die altorientalischen Texte, die selbst direkte Zeugnisse der altorientalischen Sprachen sind, enthalten über eben diese Sprachen auch indirekte Zeugnisse. Die eigenen und die fremden Sprachen werden in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt, die zur Rekonstruktion der Geschichte altorientalischer Sprachen vielfach beitragen. Die Beherrschung fremder Sprachen gehörte zum Bild des idealen Königs Schulgi, während der unfähige König Jasmach-Adad eben da Defizite aufwies. Babylonische Schreiber in der 1. Hälfte des 2. Jt. v. Chr. lernten das bereits ausgestorbene Sumerisch in der Schule, eine Kenntnis, deren Erwerb zwar nicht immer ein Spaß war, letztlich aber hohes Prestige versprach. Dolmetscher für die unterschiedlichsten Sprachen, mit denen das alte Mesopotamien in Kontakt kam, sind bezeugt, nicht jedoch für die in Mesopotamien zu unterschiedlichen Zeiten gesprochenen Sprachen Sumerisch, Akkadisch und Aramäisch, deren Beherrschung offenbar für Teile der Bevölkerung selbstverständlich war. Im assyrischen Imperium des 1. Jt. v. Chr. war die Verwaltung mehrsprachig; neben Lokalsprachen trat die internationale Verkehrssprache Aramäisch. Schließlich war Sprache im Alten Orient ein bedeutsamer Marker ethnischer Identität; die babylonische Haremsdame in Ägypten hätte an ihre Sprache erkannt werden können, hätte sie denn nur geredet, das Wort für „Sprache“ wurde im 1. Jt. v. Chr. synonym für „Nationalität“ gebraucht und fremde Sprachen wurden als andersartig ohne Harmonie und konfus charakterisiert.
Prof. Dr.-Ing. Carsten Drebenstedt (Freiberg)
Professor für Bergbau-Tagebau an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg; Ordentliches Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse seit 14. Februar 2014.
Space Resources – Wissenschafts- und Technologieentwicklungen für ein nachhaltiges Leben auf der Erde
Um die Lebensfähigkeit unseres Planeten zu sichern, ist eine drastische Senkung des Ressourcenverbrauchs erforderlich, die nur durch eine radikale Umstellung auf nachhaltige Technologien möglich wird. Der Erfindergeist des Menschen bildet den entscheidenden Schlüssel für die Lösung der globalen Probleme und für die Entwicklung visionärer neuer Technologien, die eine sichere und nachhaltige Versorgung aller Menschen auch unter extremer werdenden Umständen ermöglichen. Die Suche nach radikalen Lösungen erfordert ein Verlassen der Komfortzone und den Willen, die Grenzen des Machbaren zu verschieben. Der Umgang mit extremen Herausforderungen kann erfordern neue Wege zu gehen und führt damit oft zu Erfahrungen und Erkenntnissen, die Technologiesprünge
ermöglichen.
Eine besondere Chance, sich extremen Herausforderungen zu stellen, bietet die Verwirklichung des Menschheitstraums zur Erforschung und Besiedlung anderer Himmelskörper. Dies erfordert, speziell bei längeren Missionsdauern bzw. dauerhaftem Stationsbetrieb, eine extrem effiziente und nachhaltige Nutzung aller Ressourcen (mineralische Rohstoffe, Energie, Wasser, Sauerstoff ...), ein hohes Maß an
Recycling, keinen Abfall, keine Emissionen, optimierten Raumbedarf, hohe Sicherheits- und Zuverlässigkeitsstandards, Robotik, IT und viele andere Technologien, die wir dringend auf der Erde benötigen, um bei wachsender Bevölkerung die Belastungsgrenzen des Planeten Erde nicht weiter zu überschreiten. Eine Station auf einem anderen Himmelskörper kann damit als nahezu perfektes
Reallabor für die Entwicklung und Erprobung von Technologien gesehen werden (LEAD-User-Umgebung), die auch auf der Erde ein nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen.
Ein Blick auf die letzten Jahrzehnte zeigt, dass Raumfahrt seit ihren Anfängen Inspirationsquelle und Innovationstreiber gewesen ist. Viele technologische Entwicklungen, die heute für gänzlich andere Anwendungen genutzt werden, haben ihre Ursprünge in der Raumfahrt bzw. wurden in ihrer Entwicklung durch die Raumfahrt gefördert. Bekannte Beispiele bilden Mikroelektronik und Computertechnik, Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik sowie Robotik. Andere Anwendungen von maßgeblicher Bedeutung für das Leben auf der Erde werden durch Raumfahrt und im Weltall installierte Infrastruktur erst grundlegend ermöglicht. Dazu gehören bspw. weltumspannende Kommunikations- und Datennetze sowie Erdbeobachtungs- und Navigationsdienste mit enormen Alltagsnutzen. Daneben liefert Raumfahrt wertvolle Erkenntnisse über und für das Leben auf der Erde und vermittelt den Menschen eine veränderte Wahrnehmung ihres Heimatplaneten sowie dessen Grenzen.
Für die Raumfahrt bildet die Erschließung und Nutzung der vor Ort („in situ“) verfügbaren Ressourcen (ISRU = in situ resource utilisation) eine Grundlage für weitere Fortschritte sowohl in Hinblick auf die Erkundung des Sonnensystems und astronautische Missionen zu anderen Himmelskörpern als auch für einen ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Betrieb der Weltrauminfrastruktur.
Am Beispiel der Errichtung von Habitaten auf zunächst erdnahmen Himmelskörpern, wie Mond und Mars, werden die Herausforderungen zur Beherrschung der extremen Umweltbedingungen (Temperaturen, Strahlung, Gravitation, Atmosphäre, Mikrometeoriten, ...) dargestellt. Dem Vortrag liegt das Konzept zum Aufbau einer europäischen Großforschungseinrichtung für Space Resources zugrunde.
Plenarsitzung am 13.5.2022
Diskussion zum Thema:
„Quo vadis Russland? Einsichten, Deutungen und Erfahrungen zum Krieg in der Ukraine“
mit Prof. Dr. phil. habil. Dan Diner, Prof. Dr. phil. habil. Christian Lübke Prof. Dr. rer. pol. habil. Hans Wiesmeth
Vortrag am 8.4.2022: Öffentliche Frühjahrssitzung
Prof. Dr. phil. habil. Norbert Frei (Jena)
Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Leiter des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts, am 11.02.2011 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt
Ein deutscher Katechismus? Anmerkungen zur postkolonialen Kritik am Umgang mit der NS-Vergangenheit
Die Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit gilt vielen Beobachtern seit langem als vorbildlich. Seit letztem Jahr wird diese Einschätzung allerdings massiv in Frage gestellt: Das Verständnis des Holocaust als „Zivilisationsbruch“ sei zu einem politisch implementierten Dogma geworden, das die Auseinandersetzung mit Deutschlands Kolonialverbrechen behindere. Norbert Frei widerspricht dieser These, indem er die wechselvolle Geschichte des Umgangs der Deutschen mit der Erinnerung an die NS-Vergangenheit als ein Projekt der gesellschaftlichen Selbstaufklärung schildert.
Vorträge am 11.3.2022
Prof. Dr. med. Joachim Thiery (Kiel)
ehem. Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik, Universitätsklinikum Leipzig; Dekan der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Vorstand Forschung und Lehre des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), am 11. Februar 2011 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Nachhaltige Medizin in Verantwortung für unsere Zukunft
Die Universitätsmedizin ist der gelingenden Forschung, der modernen Lehre, der Gesundheit des Individuums und der gesamtgesellschaftlichen Zukunft verpflichtet. Das Prinzip der Nachhaltigkeit, eines bewussten Umgangs mit limitierten Ressourcen in Verantwortung für die Zukunft, durchdringt heute viele Bereiche der Gesellschaft bis hin zum politischen Handeln. Bisher hat sich die Universitätsmedizin nur vereinzelt mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. Sie wird immer noch wesentlich durch eine symptomgeleite Krankenversorgung geprägt. Die Erkenntnisse der biomedizinischen Forschung, z. B. aus "big data" - Analysen großer Bevölkerungs- und Krankheitskohorten finden dagegen noch unzureichend den Weg zu einer präzisen und nachhaltigen klinischen Translation. Die Corona-Pandemie und die rasante Entwicklung der mRNA-Impfstoffe haben jedoch deutlich gemacht, wie wichtig Nachhaltigkeitskonzepte der Medizin für eine schnelle Verbindung modernster biomediznischer Analytik mit gezielter klinischer Forschung und der Umsetzung in die medizinischen Anwendungen geworden sind. Die COVID-19 Krise hat uns gerade in der Diskussion um die Impfung die notwendige Transparenz und Nachhaltigkeit ärztlicher und medizinischer Handlungen vor Augen geführt.
Die Nachhaltigkeit der Universitätsmedizin definiert sich inhaltlich mit Blick auf das Gesundheitssystem. Erste Ansätze finden sich in den Positionspapieren der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften (2012) und der Schriftenreihe "Denkanstöße" (2021) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Die Medizinische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich jetzt als erste Fakultät in Deutschland als Leitthema "Nachhaltige Universitätsmedizin am Meer: Präzisionsmedizin in Verantwortung für unsere Zukunft" gewählt. Eine nachhaltige Universitätsmedizin verbindet sich mit dem aktuellen Paradigmenwechsel von der organ- und symptombezogenen Patientenversorgung hin zu einer ursachenbezogenen, systemischen Präzisionsmedizin. Sie sieht den Menschen in seiner Gesamtheit. Medizinische Kompetenz muss mit Empathie und Partizipation vergesellschaftet sein, um individualisierte Prävention und nachhaltige Therapieerfolge auch bei chronisch und unheilbar kranken Patienten zu erreichen. Die moderne Medizin nutzt hier bereits innovative Verfahren in der Digitalisierung und der analytischen Spitzentechnologie, aber diese müssen weiter ausgebaut werden. Nur so wird eine nachhaltige Universitätsmedizin dazu beitragen können, dass mit modernster Diagnostik eine präzise und schonende Therapie auch bisher schwierig zu behandelnder Erkrankungen möglich wird, bis hin zu Einzeltherapieverfahren und individueller Prävention.
Eine nachhaltige Medizin wird auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren, zum Beispiel den demographischen Wandel. Sie schafft früh das Bewusstsein, Verantwortung für nachfolgende Generationen zu übernehmen, wie dies bereits in der Vermeidung nicht indizierter Antibiotika-Verordnungen zu erkennen ist. Grundsätzlich wird sich eine nachhaltige Universitätsmedizin an den Bedürfnissen unserer Patientinnen und Patienten und der Gesunderhaltung der Bevölkerung orientieren. Nachhaltige Medizin bedeutet in diesem Kontext daher auch eine Abkehr von gewinnorientiertem Streben und Hinwendung zu einer am Individuum und der Gesellschaft ausgerichteten bedarfsorientierten Medizin. Dies beinhaltet auch die verantwortungsvolle Nutzung ethischer, ökonomischer und ökologischer Ressourcen, auch über die Landesgrenzen hinweg. Nachhaltige Medizin stellt sich somit auch der Verantwortung für eine globale Medizin mit der Berücksichtigung medizinischer Kompetenz und Herausforderungen aus anderen Ländern und Kulturkreisen.
Zusammenfassend führt die nachhaltige Medizin zu einem Paradigmenwechsel der symptomgeleiteten Krankenversorgung hin zu einer systemmedizinischen Präzisionsmedizin, gezielter Prävention und dauerhaftem Therapieerfolg. Dieser Weg der medizinischen Nachhaltigkeit bleibt eine große Herausforderung für die Zukunft der Universitätsmedizin.
Dr. phil. habil. Susanne Müller-Bechtel (Würzburg)
Kunsthistorikerin, Lehrbeauftragte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und am CICS der TH Köln (WS 2021 /2022),
am 8. Dezember 2017 in das Junge Forum der Sächsischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen;
Arbeitsgebiete: Künstlerische Produktions- und Rezeptionsprozesse und ihre Medien; Zeichnung als Grundlage von Denken und Gestalten in Kunst und Wissenschaft in der (Frühen) Neuzeit; Friedrich Christian von Sachsen (1722–1763) und die Kunst; Wandmalerei 1300–1800. SAW-Tagung zu Friedrich Christian von Sachsen (3–5. Juni 2021).
Akademische Aktstudien – eine Neubewertung mittels epistemologischer Forschungsansätze
Die akademische Aktstudie, die Zeichnung nach dem lebenden Modell, ist in der Frühen Neuzeit eine künstlerische Aufgabe, bei der sich der Künstler allein auf die Darstellung des Menschen konzentrieren konnte. Im Wortsinn geht die Aktstudie auf die Studie des »actus«, des bewegten Körpers, zurück; »Aktstudie« bedeutet also »Studie des bewegten Körpers«. Der Modus der akademischen Aktstudie bündelt eine Reihe von Herausforderungen an Künstler, die sie beherrschen müssen, um überzeugend figürliche Kunst schaffen zu können. Das Erstellen einer korrekten Aktstudie erforderte erstens die technische Beherrschung der Möglichkeiten der Zeicheninstrumente, zweitens eine korrekte Darstellung des menschlichen Körpers unter drittens der Berücksichtigung des jeweiligen Blickwinkels des Zeichners auf das Modell mit allen Konsequenzen für perspektivisch verkürzte Körperteile.
Das Aktstudium gilt als Höhe- und Endpunkt in der Künstlerausbildung, ich werte es als wissenschaftlich-epistemische Praxis. In meiner Dresdener Habilitationsschrift habe ich knapp 300 Zeichnungen aus über 40 Sammlungen berücksichtigt (vorwiegend in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Vereinigte Staaten) – eine Auswahl aus dem Zeitraum zwischen 1650 und 1850. In dem Vortrag will ich zeigen, wie ich das Repertoire der kunsthistorischen Methoden mithilfe von epistemologischen Forschungsansätzen erweitern und so eine Neubewertung der verkannten künstlerischen Praxis vornehmen konnte. Grundlegend ist die Modelltheorie, mit der typische Strategien des Studiums nach dem lebenden Modell kategorisiert werden können. Die Überlegungen von Hans-Jörg Rheinberger zum Experimentalsystem (2006) dienten mir als Anleitung, um die gemeinsame Praxis im Aktsaal zu beschreiben und die Wechselbeziehung zwischen Praxisumgebung und Resultat produktiv in den Blick zu nehmen. Ludger Schwartes Äußerungen zu Performanz in experimentellen Räumen (2003) sowie Lambert Wiesings Auseinandersetzung mit »experimenteller Ästhetik« (2012) helfen, das akademische Aktstudium als wissenschaftliche Praxis mit eigenen Versuchsreihen zu verstehen. Mit Hartmut Böhmes Differenzierungen von Transformationsprozessen (2011) erhielt ich zudem ein Instrumentarium an die Hand, um sowohl das Übersetzen des Modell-Sehens in eine Zeichnung als auch die Aneignung antiker Vorbilder im Aktstudium kategorisieren zu können, also jeweils Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Referenz- und Aufnahmebestand präzise zu benennen. Aleida Assmanns Überlegungen zum Resonanzraum (2012), in dem Re-Mediationen Präfigurationen aufrufen und präsent halten, lassen sich hier anschließen, um anzusprechen, welche Wirkung der Bezug auf Referenzen erzielen kann. Mit Bruno Latours wissenschaftssoziologischen Beobachtungen (2000) schließlich lassen sich die wechselnden Akteure und Handlungen, die die Praxis des akademischen Aktstudiums kennzeichnen, systematisieren und kontextualisieren.
Vortrag am 11.2.2022
Prof. Dr. phil. habil Elisabeth Décultot (Halle/Saale)
Alexander von Humboldt-Professur für Neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Direktorin des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der europäischen Aufklärung (IZEA) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; am 8. Februar 2019 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt;
Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Kunsttheorie, Kunstgeschichtsschreibung und Ästhetik im 18.–19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Wissenstransfers; Gelehrte Lese- und Schreibpraktiken von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart; Deutsche Literatur der Aufklärung, Klassik und Romantik im europäischen Kontext
Text – Bild – Geschichte. Die antike Kunst in der Kunstgeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts
Gegenstand des vorliegenden Vortrags ist es, nach der Genealogie der Kunstgeschichte im langen 18. Jahrhundert unter dem besonderen Standpunkt der Produktion eines historischen Narrativs über die Entwicklung der antiken Kunst zu fragen. Um etwas Licht auf diese Entwicklungslinien zu werfen, sollen exemplarisch einige ausgewählte Akteure der Kunstgeschichtsschreibung einer näheren Betrachtung unterzogen werden, beginnend um 1700 bei Montfaucon über Caylus, Winckelmann und Herder bis hin zu Séroux d’Agincourt am Ende des 18. Jahrhunderts. Ein solcher Bogen versteht sich keineswegs als lückenlose Rekonstruktion der Genese der modernen Kunstgeschichte, sondern zielt darauf, zentrale Fragen der Kunstgeschichtsschreibung im 18. Jahrhundert zu beleuchten: Wie soll eine Geschichte der Antike, insbesondere der antiken Kunst aussehen? Welchen Platz sollen dabei Text und Bilder einnehmen? Wird man mit den Mitteln der Sprache der Spezifität der Artefakte überhaupt gerecht? Welchen Anspruch auf historische Wahrheit bzw. auf Wissenschaftlichkeit darf ein solches Unterfangen erheben? Die Geschichte der antiken Kunst, deren Verlauf uns oft durch fragmentarische, zum Teil später ergänzte oder gar verfälschte Objekte bekannt ist, bietet ein fruchtbares Feld, um diese grundlegenden epistemologischen Fragen der Geschichtsschreibung zu erörtern.
Der zweite Vortrag musste leider entfallen.
Die Sitzung am 14.1.2022 musste aufgrund der Corona-Pandemie leider entfallen.