Vortrag am 13.12.1954
Erich Strack (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für physiologische Chemie an Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 14. Februar 1949.
Die Ausnutzung des Glycerins im tierischen Stoffwechsel
Die Toxicität des Glycerins wird hauptsächlich auf seine osmotischen Störungen zurückgeführt. Gleichmäßig dauerinfundiert zeigen sich bestimmte Verwertungsgrenzen, die bei 8 g/kg/Tag als beginnende Ausscheidungsgrenze und bei 12–13 g/kg/Tag als maximale Umsatzgrenze gefunden werden. Ein Überschuß wird durch die Niere ausgeschieden. Mit der Dauerinfusion mit ihren gut einsichtigen Versuchsbedingungen werden Stoffwechselreaktionen beschrieben, die am Glycerin vor sich gehen und die das Glycerin beeinflußt. Insbesondere wird die Phosphorylierung als begrenzende Umsatzreaktion an Änderungen des Blutphosphorspiegels und der Harn-Phosphorausscheidung charakterisiert. Mit kontinuierlichen täglichen Wechselfütterungen wird der aktive Niereneinsatz für den Phosphorbedarf des Glycerinumsatzes gezeigt. An Fütterungstagen steigt der Quotient N : P auf über 100 an. Der Einfluß, der asymmetrischen Phosphorylierung für die Umsatzgröße des Glycerins wird besprochen. Die Wirkung des Glycerins bei der Beseitigung des hypoglykämischen Schocks wird auf den sekundär aus dem Glycerin gebildeten Zucker zurückgeführt. Die Sparwirkung auch großer Mengen Glycerin im Eiweißhaushalt wird deutlich, wenn alle Nebenbedingungen im Vergleichsversuch gleichgehalten werden. Die Dauerinfusion wird als gutes Untersuchungsverfahren intermediärer Umsetzungen in sonst uneinsichtigen physiologischen Bereichen hervorgehoben.
Vortrag am 13.12.1954
Martin Lintzel (Halle), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 1. Juli 1948.
Heinrich I. und die fränkische Königssalbung
Daß Heinrich I. bei seiner Wahl zum König 919 die Salbung durch den Erzbischof von Mainz ablehnte, bedeutete einmal einen Verzicht auf das unter Heinrichs Vorgängern bestehende enge Bündnis mit der Kirche, darüber hinaus aber einen Verzicht auf die geistige Legitimierung der neuen sächsischen Dynastie, eine Legitimierung, wie sie seit 751 im fränkischen Reich üblich war: sie bedeutete einen Bruch mit fränkischen Traditionen und mit einer Überlieferung, die auf das Alte Testament (Samuel, Saul, David) zurückblickte. Die Motive Heinrichs sind bei der Dürftigkeit unserer Quellen mit Sicherheit nicht zu erkennen; es handelt sich daher vor allem darum, die allgemeinen geistigen und politischen Voraussetzungen der Situation um 919 zu klären. Diese Voraussetzungen dürften in dem Bankrott des Bündnisses zwischen Königtum und Episkopat unter Konrad I. liegen, vor allem aber darin, daß für das sächsische Herzogshaus und den sächsischen Stamm, auf die jetzt das „regnum Francorum“ überging, die im Karolingerreich geltenden Anschauungen nur eine geringe Bedeutung hatten.
Vortrag zur Öffentlichen Sitzung am 13.11.1954
Arthur Simon (Dresden), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für anorganische und organische Chemie an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 1. Juli 1948.
Über Untersuchungen am ferromagnetischen Träger des Magnettonbandes
Nach einer kurzen Einleitung über den Aufbau des Magnettonbandes, seine Herstellung, die dazu nötigen Maschinen und seine Funktion als Schallspeicher wird das Prinzip der Wirkung des Magnettonbandes kurz besprochen. Durch nebeneinander Abspielen von einer Schallplatte und einem Magnettonband des gleichen Musikstückes werden die Verschiedenheit der Grundgeräusche akustisch demonstriert. An einem während des Vortages gesprochenen Satz wird gezeigt, daß sein Sinn durch cuttern in das Gegenteil verwandelt werden kann. Nach der Definition von Empfindlichkeit, Dynamik, Frequenzgang und Kopiereffekt werden an einem C-, an einem EN, an einem Schallband und nochmals am C-Band das Musikstück „Notre Dame“ von Franz Schmidt vorgeführt und die verschiedene Empfindlichkeit demonstriert. Beim Frequenzgang werden das „Capriccio italien“ von Tschaikowsky einmal auf Normalband, einmal auf einem Band, wo die höheren Frequenzen angehoben, das nächste Mal geschwächt sind, gespielt und gezeigt, daß die Tamburin-Töne verlorengehen. Dasselbe gilt für den 1. Satz der „Kleinen Nachtmusik“. Der Kopiereffekt wird nach Definition des db und der Dynamik zuerst mit 1 kHtz-Ton und dann an einem männlichen und an einem weiblichen Schrei demonstriert. Herumgereicht werden ein Gamma-Oxyd, ein Haberscher Magnetit und ein Alpha-Oxyd in drei geschlossenen Gläschen mit Dauermagneten. Es wird eine Reißapparatur zur Bestimmung der Remanenz beschrieben und die Hysteresis-Schleife bei der Magnetisierung erklärt. Vorgetragen werden Untersuchungen über verschiedenste Oxydationsmittel und ihre Wirkung. Es wird festgestellt, daß nur über Magnetite gewonnene Gamma-Oxyde elektroakustisch brauchbar sind. Die Untersuchung des Fällungs-Oxydationsvorganges des Ferrosulfats führt zu der Auffassung, daß zwei Reaktionen miteinander konkurrieren und daß je nach Menge des vorhandenen Oxydationsmittels und seines Oxydationspotentials man zu Magnetiten oder zu Alpha-Oxyden gelangt. Es wird aufgeklärt, daß die Unwirksamkeit des Lefortschen Magnetits darauf beruht, daß er viel amorphe Substanz enthält und enorm gesteigerte Gitterstörung hat. Der Vortragende bringt eine Erklärung über den Zusammenhang zwischen Remanenz und Fe304-Gehalt des Magnetits sowie auch über elektroakustische und magnetische Werte und Fälltemperatur. Er kann zeigen, daß die Empfindlichkeit eines Bandes von der Gitterstörung abhängt und mit steigender Fälltemperatur die Dichte und Teilchengröße steigt, die Gitterstörungen zurückgehen und dementsprechend die elektroakustischen Werte sich verhalten. Gitterstörungen und Remanenz gehen symbat. Der Kopiereffekt fällt mit steigender Temperatur. Es wird gezeigt, daß Teilchengröße und Empfindlichkeit eine Maximalkurve darstellen und Teilchen von 500 A solche größter Empfindlichkeit sind. Mit der Teilchengröße geht symbat die Dynamik und Empfindlichkeit. Bezüglich Teilchengröße und Kopiereffekt wird festgestellt, daß der Kopiereffekt mit wachsender Teilchengröße mehr absinkt als die Empfindlichkeit bei konstanter Teilchengröße. Kopiereffekt kann bei gleicher Teilchengröße durch Ausheilung von Gitterstörungen weitgehend unterdrückt werden. Es werden die Faktoren für die Herstellung eines optimalen Bandes angegeben. Der Vortragende geht noch kurz auf die hartmagnetischen Bänder ein und führt ein Musikstück auf einem hartmagnetischen und einem weichmagnetischen Band vor. Alle Ergebnisse werden durch elektroakustische Vorführungen ergänzt.
Vortrag am 18.10.1954
Walter König (Dresden), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
em. Professor für Farben- und Textilchemie an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 21. März 1949.
Die Umwandlung des Pyridins in Triazolderivate durch mehrfache successive Ringöffnungs-und schließungsvorgänge
Pyridin wird zunächst in sein ß-Aminoderivat umgewandelt. Dann erfolgt nach vorheriger Acylierung dieser Base deren Aufspaltung mittels der Bromcyan-Reaktion bei Gegenwart primärer Amine, wobei offenkettige Pentamethinfarbstoffe mit Acylaminogruppen am Mesochrom entstehen. Diese Farbstoffe lassen sich durch Wärmewirkung unter Rückschließung des Ringes in ß-Acylamino-N-aryl (bzw. -alkyl)-pyridiniumsalze überführen. Aus letzteren gehen durch Verseifung die entsprechenden quartären ß-Aminopyridiniumsalze hervor, die man diazotieren kann. Hierbei vollzieht sich alsbald spontan eine weitere Pyridinringöffnung unter Bloßlegung einer sekundären Aminogruppe, an der schnell intramolekulare Diazokupplung einsetzt unter Bildung einer cyclischen Diazoaminoverbindung. Das neue Ringgebilde stellt einen N-Aryl (bzw. N-Alkyl)-1, 1,3-Triazolabkömmling dar, der durch eine in 4. Stellung angeschweißte ß-Formylvinylgruppe charakterisiert ist, demnach als ein heterocyclisches Analogon des Zimmtaldehyds betrachtet werden kann, das in zwei verschiedenen – anscheinend cis-, transisomeren – Formen auftreten kann.
Vortrag am 18.10.1954
Martin Jahn (Halle), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Vor- und Frühgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 1. Juli 1948.
Gab es in vorgeschichtlicher Zeit bereits einen Handel?
Während die Vorgeschichtsforscher seit mehr als 50 Jahren einhellig die Existenz eines Handels in vorgeschichtlicher Zeit bejahen, sucht der Wirtschaftshistoriker H. Bechtel in seiner Wirtschaftsgeschichte Deutschlands (2. Aufl. 1951) nachzuweisen, daß es in Mitteleuropa einen regelrechten Handel erst seit den beiden letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung gegeben habe, da vorher die notwendigen ökonomischen Voraussetzungen für einen Handel gefehlt hätten. Diese gegensätzlichen Auffassungen sind einmal durch eine verschiedene Definition des Begriffs Handel zu erklären, dann aber dadurch, daß Bechtel sich ein unzutreffendes Bild von der wirtschaftlichen Entwicklung während der vorgeschichtlichen Zeit macht. Selbst wenn man den Begriff Handel nicht so weit faßt, wie es vielfach von Vorgeschichtsforschern geschieht, und ihn im Sinne der Wirtschaftsgeschichte einengt, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß mindestens seit dem Schlußabschnitt der Jungsteinzeit, d.h. seit dem Ende des 3. Jahrtausends, in Europa Handel getrieben wurde.
Vortrag am 10.5.1954
Erich Kähler (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Mathematik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 14. Februar 1949.
Über Raum und Zeit
Mit der Herausbildung der nicht-euklidischen Geometrie verliert der Raum seinen a-priori-Charakter. Dies wird anschaulich an dem Reflex dieser Entwicklung im Leben und Briefwechsel von Gauß. Nach einigen Andeutungen über die Riemannsche Geometrie wird berichtet, wie der absolute Zeitbegriff durch das Zusammentreffen von Galilei- und Lorentz-Gruppe entthront wird und sich im Einstein-Minkowskischen Raum-Zeit-Kontinuum eine neue Grundlage der Naturwissenschaft gebildet hat. Im Hinblick auf künftige Entwicklungen wird vorgeschlagen, die Begriffe Gruppe und Körper in ihrer durch die Galoissche Theorie angedeuteten gegenseitigen Bezogenheit, statt wie bisher die Gruppentheorie allein, bei der Erforschung des Raum-Zeit-Begriffes einzusetzen. Eine Synthese aus Arithmetik und Geometrie bietet die Möglichkeit, einen auch philosophisch verheißungsvollen Perspektivismus zu entwickeln, mit dem zu den Hypothesen, die der Geometrie zugrunde liegen, von neuem Stellung genommen werden kann.
Vortrag am 10.5.1954
Friedrich Zucker (Jena), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für klassische Philologie und Papyruskunde an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 1. Juli 1948.
Isokrates’ Panathenaikos
Das letzte Werk des Isokrates, aus den Jahren unmittelbar vor dem Ende der griechischen Freiheit, in seinen zwei ersten Hauptteilen der Form nach eine Lobrede auf Athen und Verurteilung Spartas, ist durchzogen von Beziehungen zu politischer Aktualität, die bei der jahrzehntelangen, zeitlich dicht heranreichenden publizistischen Tätigkeit des Verfassers es unabweisbar erscheinen lassen, daß es der politischen Publizistik zuzurechnen ist. Andererseits: ein schwerer Widerspruch zwischen dem ersten im Jahre 342 und dem zweiten im Jahre 339 v. Chr. abgefaßten Hauptteil, vor allem aber im dritten die rücksichtslose Darlegung der Problematik der Grundsätze, auf denen Isokrates’ Publizistik beruht, von seiten eines Beurteilers aus seiner Schule selbst, dem sie in den Mund gelegt ist, und seine Erklärung, die Schrift sei absichtlich zweideutig gehalten, und der Tadel Spartas könne von Einsichtigen als Lob aufgefaßt werden, scheinen jene Absicht politischer Einwirkung unmöglich zu machen. Es wird versucht, eine früher vor geschlagene Lösung, derzufolge das Ganze als theoretische Lehrschrift auf Grund eines Musterstücks zu betrachten wäre, als nicht haltbar zu erweisen und zu zeigen, daß die eigentümliche Verquickung publizistischer Absicht und dieser scheinbar widersprechender theoretischer Auseinandersetzung weder von Isokrates noch von seinem Publikum als unvereinbar empfunden wurde. Gleichzeitig werden manche bisher unbeachteten Momente herausgestellt, vor allem die durch ein großes Ganzes hindurchgehende Zweideutigkeit als rhetorisches Darstellungsmittel.
Festvortrag zur Öffentlichen Sitzung am 10.4.1954
Walter Baetke (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Nordische Philologie und Religionsgeschichte an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 19. Juni 1943.
Probleme der Sagaforschung
Indem die Sagaforschung der letzten Jahrzehnte sich in der Hauptsache auf die Frage „Tradition und (oder) Verfasser“ konzentriert hat, hat sie grundsätzlich die ,Freiprosa‘-Theorie (Existenz mündlicher Sagas) preisgegeben, schreibt aber immer noch der mündlichen Überlieferung einen unberechtigt großen Anteil an der Entstehung der Sagas zu. Dabei macht sich die Problematik des Begriffes Tradition geltend. Es ist schärfer als bisher zwischen der gepflegten geschichtlichen Tradition (Konungatals, Genealogien und dergleichen), deren Niederschlag wir in einem Teil der Königssagas und anderer Geschichtswerke finden, und der freien mündlichen Überlieferung zu unterscheiden, die notwendig den epischen Gesetzen der Volksdichtung unterliegt und, soweit überhaupt bewahrt, zur Sage wird. Für die Familiensagas, die Kunsterzählungen sind, ist die Frage der Tradition zweitrangig. Jede wissenschaftlich exakte Bestimmung des Begriffes „Geschichtlichkeit“ schließt sie ihres Inhaltes wegen aus der Kategorie der Geschichtswerke aus: Begebenheiten aus dem privaten Lebensbereich bilden keinen Gegenstand historischer Tradition. Für Island hier eine Ausnahme anzusetzen, verwehrt die Tatsache, daß die Isländer selbst zwischen geschichtlichen Darstellungen, die politische Vorgänge, Gegenstände des öffentlichen Interesses behandeln, und unterhaltenden Erzählungen, die menschliche Schicksale zum Gegenstand haben, klar unterschieden haben. Die volkskundliche Betrachtungsweise, welche die Familiensagas von norwegischen Familien- und Dorfüberlieferungen her zu erklären sucht (Liestøl), verkennt den ganz anderen Charakter der isländischen Erzählungen, die sich durch Inhalt und Stoffgestaltung als Werke bewußt schaffender Künstler erweisen. Die Familiensagas müssen in der Hauptsache als literarische Schöpfungen des 13. Jahrhunderts betrachtet und aus den kulturellen Bedingungen ihrer Zeit verstanden werden. Sie gehören nicht zur heroic poetry (Ker), sondern nehmen in der altnordischen Literatur, die es nicht zu einem Epos gebracht hat, die Stelle ein, die nach dem Versiegen der Heldendichtung dort leer geworden war. Die Saga ist eine im wesentlichen originale isländische Schöpfung. Die Entstehung dieser durch die einzigartige Realistik ihres Erzählstils von der Literatur des gleichzeitigen Europas weit abweichende Kunstform erklärt sich aus den besonderen gesellschaftlichen Zuständen Islands als einer bäuerlichen Republik (mit aristokratischem Einschlag, jedoch ohne Ritteradel), die in den ersten Jahrhunderten auch die Kirche sich einzufügen verstand. Für eine Literatur, die ein den überfeinerten Bedürfnissen einer herausgehobenen Gesellschaftsklasse entsprechendes ästhetisch-ethisches Lebensideal in den Bildern einer fernen Traumwelt gestaltete, fehlten auf Island alle Voraussetzungen. Hier gab es ein im wesentlichen auf sich selbst gestelltes bäuerliches Volkstum, dessen freiheitliche gesellschaftliche Zustände ihm ein Selbstbewußtsein verliehen, das es befähigte, seine eigene Wirklichkeit zum Gegenstand dichterischer Behandlung zu machen. So wie die höfischen Epen des Festlandes Ausdruck der Ideale des Ritterstandes, der höfischen Gesellschaftskultur sind, ist die Saga ihrer Absicht nach ein Schein der Wirklichkeit erweckendes Spiegelbild der bäuerlichen Welt Islands und bleibt insofern mit der gebotenen Kritik betrachtet eine wichtige Quelle für die Kulturgeschichte zwar nicht des germanischen Altertums, aber des vorhöfischen nordischen Mittelalters.
Vortrag am 15.3.1954
Kurt Schwabe (Dresden), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Physikalische Chemie und Elektrochemie an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 11. Dezember 1950.
Chemische Kinetik und Polarographie
Es werden die Möglichkeiten der Bestimmung von Geschwindigkeitskonstanten mit Hilfe der Polarographie erörtert. Neben der Aufnahme von Einzelpolarogrammen wird die Methode des Registrierens des Diffusionsstromes bei festgehaltenem Potential erörtert und auf verschiedene Beispiele der Säure-Basen-Katalyse angewendet. Ferner wird die Methode von Koutecky und Delahay besprochen und über vergleichende Messungen berichtet, welche die Zuverlässigkeit dieses Verfahrens erweisen. Durch umfangreiche Messungen über den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeitskonstanter und Halbstufenpotential bzw. thermodynamischem Potential wird nachgewiesen, daß bei ähnlichen Reaktionen (Reduktion mit verschiedenem Wasserstoffdonator) die Beziehung 1n k = c· π½ + L gilt, wobei k die Geschwindigkeitskonstante, π½ das Halbstufenpotential und c und L Konstanten sind, die mit dem Reaktionstyp, dem Wasserstoffdonator und dem Lösungsmittel veränderlich sind. Auf den Zusammenhang zwischen dieser Beziehung und der Brönstedschen Gleichung für die Säure-Basen-Katalyse wird hingewiesen.
Vortrag am 15.3.1954
Eberhard Hempel (Dresden), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Kunstgeschichte und Geschichte der Baukunst an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 14. Februar 1949.
Zum Problem von Struktur- und Materialechtheit in der Architektur
Die Forderung, daß die Gestalt der Bauwerke dem verwandten Material und der inneren Struktur entsprechen müsse, taucht in der Theorie des 15. Jahrhunderts auf und hat seit 1900 in steigendem Maß auch die Praxis als Grundsatz beherrscht. Antike und Mittelalter waren sich zwar des künstlerischen Wertes des Materials und der Struktur durch bodenständige Baustoffe und handwerkliche Technik wohl bewußt, entscheidend aber war für sie das Bemühen, die jenseitige Idee des vollkommen Schönen im Bau widerspiegeln zu lassen, wobei sie durch die aristotelische Feststellung, daß alles Auffassen von der Art des Auffassenden abhängig sei und durch die Sinne geschehe, die Verbindung mit der menschlichen Sphäre wahrten. In der Weise, wie einem Bauwerke durch Farbe und Gliederung ohne Rücksicht auf Material und Konstruktion der „Glanz des Schönen“ verliehen wurde, gingen Renaissance und Barock noch über Antike und Mittelalter hinaus. Die Opposition setzte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Namen der Natur und Wahrheit ein. Demgegenüber hatte Goethe nur die innere Wahrheit gefordert und auf die künstlerische Berechtigung, ja Notwendigkeit der Fiktion und des „schönen Scheins“ auch beim Bauwerk hingewiesen. Ihm schließt sich Semper an, der die Vernichtung des Stofflichen fordert, wo die Form als bedeutungsvolles Symbol hervortreten soll. Vorher aber sei seine vollständige Bemeisterung notwendig. Nur vollkommene Technik und Berücksichtigung der Eigenschaften des Stoffes bei der Formgebung könnte ihn vergessen machen. Zu einem ähnlichen Standpunkt gelangt auch ein maßgebender moderner Architekt wie Fritz Schumacher.
Vortrag am 15.2.1954
Anton Arland (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Acker- und Pflanzenbau an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 1. Juli 1948.
Am ‘Puls’ der Pflanze
Der Vortragende zeigte auf, daß es verfehlt wäre, im Transpirationsvorgange lediglich die Abgabe von Wasser in Dampfform zu sehen, Er führte aus, daß man durch sachgemäße Messung der Transpiration unter bestimmten Voraussetzungen in das Wesen der Pflanze und in ihre Nöte einzudringen vermag. Die Pflanzen antworten in den Werten der Transpirationsintensität auf die Frage, die man an sie richtet, wenn sie in Entsprechung bestimmter Voraussetzungen zur Anzucht gelangen. Sie zeigen hohe Transpirationsintensität, wenn ihnen eine Anbaumaßnahme oder Einwirkung nicht zusagt oder wenn sie krank sind. Man könnte an Fieberzustände und dadurch bedingtes starkes Schwitzen denken. Die Pflanzen zeigen niedrige Transpirationsintensität, wenn ihnen eine Maßnahme oder Einwirkung entspricht. Je niedriger sich die Transpirationsintensität gestaltet, je weniger Wasser also die Pflanze je 100 g grüne Masse in Dampfform abgibt, um so günstiger ist die Auswirkung. Man kann sagen: In der Transpirationsintensität erfaßt man indirekt den „Pulsschlag“ der Pflanze. Ganz besonders deutlich antwortet sie in den Werten, die man erhält, wenn die Transpirationsbestimmung minutenweise durchgeführt wird. Man stellt dann ein Pulsieren fest, das sich in einem kurzfristig in ziemlich regelmäßigen Abständen erfolgenden Ansteigen und darauf eintretenden Abfallen der Transpirationswerte äußert. Damit erscheint der bekannte Befund, demzufolge die Zellen der Pflanze unaufhörlich Volumenveränderungen durchlaufen, indem sie stetig Wasser einsaugen und wieder abgeben, in besonderem Lichte. Hungernde oder kranke Pflanzen zeigen im Gegensatz zu gesunden stärkere und unruhige Ausschläge. In dem Bestreben, diese Erkenntnisse im Rahmen des praktischen Pflanzenbaues zu nutzen, wurden dörfliche Untersuchungsstationen in Prießnitz, Kohren-Sahlis und Linda eingerichtet. In diesen gelangen an Hand von jungen, vor dem feldmäßigen Anbau im Boden des betreffenden Feldes oder Gartens gezogenen Pflanzen „Puls“messungen zur Durchführung, mit dem Ziele zu ermitteln, welche Anbaumaßnahme jeweils zu höchstmöglichen Erträgen führt. Die Bemühungen erwiesen sich als erfolgreich. Junge, ein bestimmtes Stadium der Entwicklung aufweisende Pflanzen verhalten sich in der Tendenz ihrer Werte wie die Pflanzen des freien Feldes. Beabsichtigt man z.B. den Düngerbedarf festzustellen, dann bringt man Boden des betreffenden Feldes oder Gartens in Schalen bestimmter Größe, düngt schalenweise verschieden und kann dann den Transpirationswerten der in diesem Boden gezogenen Pflanzen der betreffenden Art entnehmen, welche Düngung die beste ist. Führt man die so in kurzfristiger Vorprüfung ermittelte Anbaumaßnahme auf dem Felde durch, dann sind höchstmögliche Erträge gewährleistet. Im Vergleich zu dem derzeit üblichen Verfahren der Düngung konnten bisher Ertragssteigerungen im Ausmaße bis zu 38 % festgestellt werden. Es ist demnach nunmehr möglich, die Pflanzen unserer Feldbestände und Gärten leicht und mühelos dahingehend lenken zu können, daß sie ihr Bestes geben. Es gilt lediglich, den jeweils vorliegenden Boden in die erwähnte, vor dem feldmäßigen Anbau durchzuführende kurzfristige Vorprüfung der geplanten Anbaumaßnahme einzubeziehen. Der Weg, der zu dem aufgezeigten Ziele führt, mündet ein und aus am „Puls“ der Pflanze.
Vortrag am 15.2.1954
Friedrich Behn (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Vor- und Frühgeschichte an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 14. Februar 1949.
Vorgeschichtlicher Maskenbrauch
Aller Maskenbrauch geht in vorgeschichtliche Zeiten hinauf. Er gliedert sich in drei selbständige Funktionskreise, die Schreckmaske apotropäischen Charakters, die ku1tische Tiertanzmaske und die Totenmaske. Der apotropäische Gedanke ist am folgerichtigsten entwickelt im griechischen Sagen- und Bildmotiv des Gorgoneions. Jungsteinzeitliche Hausmodelle aus Ton tragen am vorderen Ende des Firstbalkens einen plastischen Tierkopf, doch mag hier bereits eine Begriffswandlung zum Schutzgedanken vor sich gegangen sein. Die Tiermaske hat ihren Bereich in kultischen Tänzen totemistischer Bedeutung, sie ist in mehreren altsteinzeitlichen Bildern dargestellt, die dem Gedankenkreis der Bildmagie entstammen. Aus Bocksmaskentänzen erwuchs das griechische Drama. In einigen besonders konservativen Kulten, wie dem des Mithras, ist der Gebrauch der Tiermaske bis in römische Zeit hinein lebendig geblieben. Die größte Verbreitung hat die Totenmaske vor allem in Ägypten mit Ausstrahlungen nach Syrien und in den mykenischen Kulturkreis. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im 7. Jh. v. Chr. in Etrurien, ist aber auf das Gebiet um Chiusi beschränkt. Zuerst wurde der Aschenurne eine bronzene Maske vorgebunden, später der Stülpdeckel der Urne zum Gesicht geformt. Von den Etruskern übernahmen andere italische Stämme den Brauch der Totenmaske, vor allem die Römer, in deren pomphaftem Bestattungsritual die „imagines majorum“ eine große Rolle spielten. Diese wurden in republikanischer Zeit aus Wachs, seit der Kaiserzeit aus Metall gebildet. Diese möchte der Vortragende in den sog. „Gesichtshelmen“ wiedererkennen (einige sind sicher weiblich!), die erst sekundär und gelegentlich mit dem Paradehelm zusammengewachsen sind, in Wirklichkeit also gentile Porträts. Ein drittes Zentrum regelmäßiger Verwendung von Totenmasken bemerkenswert durch die Nachbarschaft zu der anzunehmenden Urheimat der Etrusker liegt im südlichen Sibirien und im Altai, wo aus Gräbern der Nomadenfürsten um die Zeitwende bereits mehr als 200 Totenmasken bekannt geworden sind, teils im mechanischen Abgußverfahren unmittelbar über dem Gesicht des Toten gewonnen, teils frei aus Ton modelliert wie die etruskischen. Von hier haben die Skythen den Brauch übernommen, seine Ausstrahlungen nach Osten sind dagegen gering.
Vortrag am 25.1.1954
Heinrich Prell (Dresden), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
em. Professor für Zoologie an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 12. Februar 1951.
Die Tiere des Hercynischen Waldes
Caesars Bericht über die drei Arten von merkwürdigen Großtieren, welche außer dem üblichen Wild im Hercynischen Walde vorkommen, spielt in der Geschichte der Jagdtierkunde eine große Rolle. Es handelt sich dabei um Ren, Elch und Wisent, deren Beschreibungen aber viele abwegig erscheinende Angaben enthalten. Diese Fehler sind nicht als Folge einer kritiklosen Hinnahme willkürlicher Irreführung anzusehen, sondern sie lassen sich als Mißverständnisse aufklären, welche dem Wissen der Zeit Rechnung tragen. Da der Hercynische Wald im Sinne Caesars sich vom Oberrhein bis zum Südural hinzieht, kann es nicht überraschen, daß die Nachrichten von Elch und Wisent offenbar aus Preußen und Litauen stammen, diejenigen vom Ren vielleicht sogar aus dem östlichen Hinterlande des alten Skythien. Spätere Verengerung des als Hercynischer Wald bezeichneten Gebietes führte zu irrtümlicher Lokalisation des Vorkommens der drei Wundertierarten im linkselbischen Deutschland, wo keine derselben zu historischer Zeit noch vorkam. Viele Schriftsteller haben, oft ohne Angabe des Gewährsmannes, Caesars Bericht ausgewertet oder verarbeitet. Auch der Dichter des Nibelungenliedes gehört zu diesen Nutznießern der römischen Überlieferung, so daß seine berühmte Schilderung von Siegfrieds Jagdbeute nicht ohne weiteres als jagdtierkundliche Quelle gewertet werden darf. Wisent und Ur sind Wollrind und Haarrind von Plinius (welche Caesar nicht unterscheidet); ihr Lebensraum ist Ostdeutschland, ebenso wie derjenige vom Elch und dem rätselhaften Schelch, dessen Name neben dem Elo (Elch) als Schelo auch in einer Jagdurkunde König Ottos I. (944) erscheint und wohl als slawische Bezeichnung für ein Wildrind (scelo) zu verstehen ist.
Vortrag am 25.1.1954
Franz Dornseiff (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für klassische Philologie an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 14. Februar 1948.
Zur Augustusideologie der augusteischen Dichter
In den Werken der dem Kaiser Augustus nahestehenden Dichter Vergil und Horaz fallen einige auf, die mit dem Kaiserkult zusammenhängen. Wenn man die Ereignisse der Jahre 45–13 v. Chr. verfolgt, so erläutern sich Hauptstellen bei Vergil (Ekloge 4, Ekloge 1, Culex, Georg. III 10–48, Aeneis VI 791–805) gegenseitig in einleuchtender Weise. Eine gewisse intellektuelle Reserviertheit, die besonders im Culex bis zur Ironie geht, ergibt bei allem guten Willen zur gläubigen Hingabe eine charis im Pathos, die dem gefeierten Herrscher anscheinend besonders reizvoll erschien. Das horazische Gegenstück (carm. I 12 Augustus als auf die Erde geschickter Gott Hermes, III 3, 9–16 Augustus als unsterblicher Zecher im Himmel zusammen mit Polydeukes, Herakles, Dionysos, Romulus; carm. IV 15, 25–32 Augustus zusammen mit den Göttern vom ganzen Volk mit Liedern verehrt) zeigt genau dieselbe höfisch zurückhaltende Formulierung eines Dogmas, das an höchster Stelle vielleicht mehr für die breiteste Propaganda gedacht war.