Vortrag am 8.12.1958
Robert Schröder (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 1. Juli 1948.
Über die Plazenta
Die Absicht des Vortragenden bestand darin, die sehr komplizierte Verbindung zwischen der wachsenden Frucht und der Mutter während der Zeit der Schwangerschaft aufzuzeigen. Es wurde nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Implantation und die Anatomie der Frühschwangerschaft, über die Entwicklung der Plazenta bei den Plazentaliern berichtet und gezeigt, daß die Verbindung zwischen Frucht und Mutter mit aufsteigender Entwicklungsreihe dauernd enger wird, so daß bei den Primaten die Chorionzotten der Frucht unmittelbar in einen Blutraum, der vom mütterlichen Blut durchspült wird, hineinreichen. Über die Einzelheiten dieses Plazentabaues wird an Hand von Abbildungen gesprochen.
Das Schema von Spanner wird als das richtige angesehen. Danach fließt mütterliches Blut vom Uterus her in die Plazenta ein und wird seitlich am Rand der Plazenta in der Vene wieder abgeleitet. Die Zirkulation in der Plazenta wird für die kindlichen und die mütterlichen Teile je für sich genauer besprochen mit vielerlei Einzelheiten. Um den Eigenbau der Plazenta näher zu charakterisieren, werden die sehr gründlichen Untersuchungen von Mischel, die in der Universitäts-Frauenklinik durchgeführt wurden, im einzelnen besprochen. Vor allem der Mineraliengehalt, aber auch die Werte für Wasser, Trockensubstanz und Asche werden berücksichtigt. Die Plazenta ist Ersatz für Lunge, Darm und Niere. Es wird der Gasstoffwechsel, insbesondere der Sauerstoffbedarf und die Kohlensäureabfuhr, näher erörtert. Der Kohlehydratstoffwechsel, die Fette und die Lipoidsubstanzen, ebenso der Eiweißstoffwechsel, werden einer genauen Erörterung unterzogen. Für das Verständnis der Regelung all dieser Vorgänge ist es von Wichtigkeit, festzustellen, daß die Plazenta völlig frei von Nerven ist, daß also nervöse Regulationen hier nicht stattfinden. Fermente spielen eine große Rolle. Der Salzstoffwechsel, die Vitamine und vor allem die Hormone werden einem genauen Bericht unterworfen. Über die Oestrogene werden Zahlen angegeben, ebenso über die Chorionhormone, und ihre Bedeutung erörtert. Wichtig ist sodann die Plazenta als Schranke zwischen Mutter und Kind für nützliche und schädliche Stoffe. Viele Einzelheiten werden darin gebracht.
Die Plazenta ist trotz ihrer nur 280 Tage währenden Lebenszeit ein äußerst kompliziertes und viele wichtige Funktionen umfassendes Organ. Es ist vom Kinde selbst gebildet. Es vermittelt sein Leben und sein Wachstum und zwingt den mütterlichen Körper zu allen dafür nötigen Funktionen.
Vortrag am 8.12.1958
Walter Baetke (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
em. Professor für Nordische Philologie und Religionsgeschichte an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 19. Juni 1943.
Skaldenstrophen religiösen Inhalts
Während der mythologische Stoff, der in der Skaldendichtung steckt, von jeher das Interesse der Forschung auf sich gelenkt hat, ist das, was sie an Material für die praktische und institutionelle Religon der norrönen Völker enthält, wenig beachtet worden. Unter diesem Gesichtspunkt sind vor allem einige Gedichte des 10. Jahrhs von Wichtigkeit, die nicht, wie die der ältesten Schicht, Götterfabeln erzählen oder mythologische Bilder beschreiben, sondern sich im Fürstenpreis ergehen.
Ihr historisch-politischer Inhalt ist der Grund dafür, daß sie auch etwas über die politische Seite der Religion aussagen. Sie setzen die Taten und Erfolge der Fürsten, die sie besingen, in Beziehung zu dem Walten der göttlichen Mächte und eröffnen Einblicke in die religiöse Stellung der Häuptlinge, insbesondere der Könige. Sieg, gute Herrschaft, Wohlstand und Friede werden den „guten“ Herrschern zugeschrieben, allerdings nicht weil sie im Besitze eines magischen „Königsheils“ wären, sondern weil sie die Heiligtümer schützen und die öffentlichen Kulte nach Gesetz und Sitte wahrnehmen.
In der Vellekla preist Einar Skálaglamm den Jarl Hakon von Lade, daß er durch die Wiederherstellung der von den Eirikssöhnen zerstörten Kultstätten Fruchtbarkeit und Friede gegeschaffen habe, und auch die Hákonarmál von Eyvind skáldaspillir rühmen König Hakon den Guten als Wohltäter des Landes, weil er die Heiligtümer geschont hatte. Beide Gedichte sind Schöpfungen der Übergangszeit; sie legen ein Bekenntnis für die heidnische Kultreligion ab. Als politische Kampflieder richten sich beide – direkt und indirekt – gegen die (christlichen) Eirikssöhne, die als Verderber des Landes gelten, aber sie kleiden die politische Polemik in das religiöse Gewand. Terminologisch ist beachtenswert, daß in den Skaldenstrophen religiösen Inhalts für die göttlichen Mächte fast ausschließlich anonyme Kollektiva wie gođ, bǫnd, hǫpt, rǫgn (neutra pluralis) gebraucht werden, während die Götter als persönliche Gestalten in den mythologischen Gedichten auftreten. Darin drückt sich der Unterschied zwischen zwei Erscheinungsformen der Religion aus, die wir als die kultische und die mythische bezeichnen können. Quellen für die Kultreligion haben wir außer in den Fürstenpreisliedern in einigen Gelegenheitsstrophen (lausavisur) der Übergangs-(Bekehrungs-)zeit. Auf diesen beiden Gruppen – wobei wir verlorene Gedichte in Rechnung stellen müssen – basieren auch die Mitteilungen der Geschichtsschreiber über religiöse Dinge.
Vortrag zur Öffentlichen Sitzung am 15.11.1958
Ernst Neef (Dresden), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Geographie an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 17. November 1956.
Über die Veränderlichkeit unserer geographischen Umwelt
Die weitverbreitete Auffassung, daß man gegenüber dem bunten Wechsel historischer Ereignisse und der raschen Umgestaltung der Landschaft durch Landeskultur und Bautätigkeit die Naturverhältnisse eines geographischen Gebietes für historische Zeiten als konstant ansehen könne, erweist sich als unzutreffend. Denn für die Landschaft als komplexes, stoffliches System ist die Veränderlichkeit ein notwendiges Wesensmerkmal. Selbst in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen ist das geographische Milieu Veränderungen unterworfen. Nicht mehr die Frage nach Konstanz oder Veränderlichkeit der geographischen Umwelt, sondern die Ermittelung von Maß und Geschwindigkeit, von Erscheinungsformen, Wirkungen und schließlich Ursachen dieser Veränderlichkeit zu klären, ist heute die Aufgabe der Forschung.
Zwei verschiedene Gruppen verändernder Prozesse können unterschieden werden: 1. solche, die auf der Veränderung von Naturelementen ohne Zutun des Menschen beruhen, wie sie in tektonischen Bewegungen oder in Klimaschwankungen vorliegen. 2. solche, die durch Eingriffe des Menschen in den stofflichen Haushalt hervorgerufen werden, dessen quasi-stationären Gleichgewichtszustand stören und oft zu irreversiblen Umstellungen führen, die meist sehr rasch verlaufen und daher vielfach in ökonomischer Wertung als schädlich beurteilt werden mussen.
Am deutlichsten läßt sich die Veränderlichkeit in Grenzgebieten nachweisen, wie im Küstenbereich, an der Trockengrenze und an der Schneegrenze, da dort kleine Veränderungen schon große und deutlich sichtbare Wirkungen zeitigen können. Als Beispiel der ersten Gruppe von Veränderungen wurden die Klimaschwankungen der historischen Zeit an Hand der Gletscherschwankungen und der Erwärmung des Nordmeergebietes für die Gegenwart, des Klimacharakters des Mittelalters, der Klimaverschlechterung am Beginn der subatlantischen Periode nach dem postglazialen Klimaoptimum zur Zeit des Neolithikums behandelt.
Die Beziehungen zwischen Gletscherhaushalt und Gesamtwasserhaushalt der Erde, die sich in Meeresspiegelschwankungen äußern müssen,wurden hierbei gestreift. Die durch den Menschen ausgelösten verändernden Prozesse wurden demonstriert am Aulehmproblem, das eine auch für die Vor- und Frühgeschichtsforschung bedeutsame Veränderung des geographischen Milieus in unseren Talauen behandelt.
Die durch die modernen technischen Eingriffe der Wasserwirtschaft hervorgerufenen Veränderungen lassen die Wirkungen jener bis in das vergangene Jahrhundert anhaltenden Sedimentationsvorgänge heute nicht mehr deutlich ins Bewußtsein treten. Kurze Ausblicke auf die Folgen der Entwaldung im Mittelmeergebiet während der Römerzeit, die Bodenzerstörung in den Steppengebieten und die entscheidenden Probleme der Erhaltung der tropischen Bodenfruchtbarkeit führten zu der Schlußfolgerung, daß in der Erforschung der Veränderlichkeit der geographischen Umwelt nicht nur bei uns, sondern im weltweiten Maßstab eine zentrale Aufgabe der geographischen Forschung gesehen werden muß.
Vortrag am 13.10.1958
Erich Kähler (Leipzig), Korrespondierendes Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Mathematik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 14. Februar 1949, seit 31. August 1958 Korrespondierendes Mitglied.
Bemerkungen zur Monadologie von Leibniz
Vortrag am 13.10.1958
Martin Jahn (Halle), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Vor- und Frühgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 1. Juli 1948.
Der älteste Bergbau in Europa
Die erste bergmännische Betätigung in Europa baute nicht Metalle ab, sondern hochwertigen Feuerstein. In der jüngeren Steinzeit und frühen Bronzezeit, also rund um 2000 v.d.Ztr., gewann der Mensch den für ihn wichtigsten Werkstoff an primärer Lagerstätte, da der bergfrische Feuerstein besser zu bearbeiten ist als das ausgetrocknete, an der Erdoberfläche aufgesammelte Gestein.
In der fortgeschrittenen Wirtschaftsform der Jungsteinzeit war außerdem der Bedarf an Feuerstein viel größer als unter den primitiveren wirtschaftlichen Verhältnissen früherer Epochen. Über die Arten der Feuersteingewinnung ist die Forschung durch erfolgreiche Grabungen gut unterrichtet. Kennzeichnende Beispiele aus Dänemark, Belgien, England und Polen lassen den Abbau von Strandwällen an den Kreidesteilküsten der Ostsee, den einfachen Mardellen-Grubenbau nach flachliegenden Feuersteinschichten und schließlich den entwickelten Untertagebau mit bis zu 20 m tiefen Schächten und ganzen Systemen von Stollengängen klar erkennen. Nicht nur die technische Entwicklung des Bergbaues in so früher Zeit ist beachtenswert, sondern auch der beträchtliche Umfang dieses Großgewerbes.
Vortrag am 15.9.1958
Anton Lissner (Freiberg), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für anorganische Chemie an der Bergakademie Freiberg, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 11. Februar 1957.
Charakteristische Eigenschaften der Braunkohlen
Da die Deutsche Demokratische Republik mit ihrer jährlichen Braunkohlenförderung an erster Stelle steht, wurde den Wissenschaftlern unseres Landes die Leitung einer Fachexpertengruppe „Braunkohle“ der ECE in Genf übertragen, und den Freiberger Forschungsinstituten wurden Braunkohlenproben aus der ganzen Welt zur Ermittlung ihrer charakteristischen Eigenschaften zur Verfügung gestellt.
Aus den erzielten Untersuchungsergebnissen teilte der Vortragende mit, daß weder Farbe und äußere Struktur noch die Hygroskopizität als typisch anzusehen sind. Auch mikroskopische Untersuchungen und die physikalischen Eigenschaften der Braunkohlen, wie Brikettierfähigkeit, Verbrennungswärme und Festigkeit, sind nicht eindeutig genug. Aus der chemischen Elementaranalyse, die übrigens noch mit zu viel Fehlern behaftet ist, ließen sich keine sicheren Schlüsse ziehen. Es mußte deshalb versucht werden, aus den Braunkohlen charakteristische Stoffgruppen zu isolieren. Ihre in Benzol-Alkohol löslichen Bitumina stehen in einem direkten Verhältnis zu den Teerausbeuten. Demgemäß kann darin eine typische Eigenschaft erkannt werden. Die mit brauner Farbe in Laugen löslichen Huminstoffe sprechen nicht eindeutig genug für Braunkohlen, doch sind Kohlen mit mehr als 10% alkalilöslichen Huminsäuren unter die Braunkohlen einzureihen. Verläßlicher hat sich die quantitative Auswertung der Salpetersäurereaktion nach Donath und Ditz erwiesen. Die Braunkohlen ergeben mit 1:9 verdünnter Salpetersäure orangerote Lösungen, die in geeigneten Kolorimetern das Licht bis zu höchstens 70% durchlassen. Die Lichtdurchlässigkeit von Salpetersäureextrakten der Steinkohlen liegt stets über 70 bis 100%.
Ein weiteres Bestimmungsverfahren wurde auf die Fluoreszenzintensität von Benzolextrakten gegründet. Die Intensität wird im Vergleich zu der einer benzolischen Perylenlösung festgestellt. Die Fluoreszenzwerte für alle Braunkohlen liegen stets unterhalb 35%, während sie sich für Steinkohlen über 42 bis 135% bewegen. Weitere chemische und physikalisch-chemische Untersuchungen haben keine bessere Charakterisierung erbringen können. Bestimmt man aber die Fluoreszenzintensität und außerdem die Lichtdurchlässigkeit der bei der Salpetersäure- und Laugenreaktion erhaltenen Lösungen, so kann in allen Fällen eindeutig festgestellt werden, ob eine untersuchte Kohlenprobe unter die Braunkohlen einzureihen ist.
Vortrag am 15.9.1958
Karl Barwick (Jena), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für klassische Philologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 16. Mai 1949.
Martial und die zeitgenössische Rhetorik
In seinen „Zerstreuten Anmerkungen über das Epigramm“ fordert Lessing von einem guten Epigramm 2 Teile, die er „Erwartung“ und „Aufschluß“ nennt; am besten habe Martial dieser Forderung genügt. Den geschichtlichen Ursprung der beiden Teile sucht Lessing aus der Verwendung des Epigramms als Aufschrift zu erklären: Das die Aufschrift tragende Denkmal entspreche der Erwartung, die Aufschrift auf diesem Denkmal dem Aufschluß.
Diese Erklärung ist mit Recht allgemein – und schon von Herder – abgelehnt worden; aber bisher hat es niemand unternommen, sie durch eine andere zu ersetzen. Eine erneute Untersuchung hat davon auszugehen, daß nur Martial die Zweiteilung der Epigramme mit fast konsequenter Regelmäßigkeit durchgeführt hat und daß sie vor ihm häufiger nur bei Epigrammatikern der ersten Kaiserzeit begegnet. Das erklärt sich aus der Tatsache, daß seit der augusteischen Zeit unter dem Einfluß der damaligen Rhetorik in der Beredsamkeit und Literatur ein neuer Stil aufkommt, der durch eine Fülle von Sentenzen charakterisiert ist. Dabei verstand man damals unter Sentenzen nicht nur, wie früher, Sinnsprüche (Gnomai), sondern darüber hinaus auch Gedanken, die inhaltlich und vielfach auch formal pointiert sind. Diese Sentenzen wurden mit Vorliebe an dem Schluß eines gedanklichen Abschnittes angebracht. Beide, der gedankliche Abschnitt und die ihn beschließende Sentenz, entsprechen den 2 Teilen in den Epigrammen Martials, deren Aufschluß nur aus Sentenzen neuerer Art besteht.
Die Zweiteilung seiner Epigramme ist daher offenbar in Anlehnung an den sentenziösen Modestil seiner Zeit durchgeführt. Es mag sein, daß Martial daneben auch an gewisse Vorgänger angeknüpft hat, die ebenfalls schon von jenem Stil beeinflußt waren. Aber entscheidend dürfte sein, daß er selbst im Banne des neumodischen Stiles stand und so sich eine eigene feste Form für seine Epigramme geschaffen hat,wobei er bewußt noch über die schon von seinen Vorgängern durchgeführte Zweiteilung der Epigramme hinausgegangen ist.
Vortrag am 12.5.1958
Fritz Deubel (Jena), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Geologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 11. Februar 1957.
Über die Gewinnung von Erdgas und über unterirdische Gasspeicherung
In dem Vortrag wurde ausgeführt, daß es in den nächsten 5 Jahren darauf ankommt, die gegenwärtige Gaserzeugung im Gebiet der DDR zu erhöhen. Die erforderliche Steigerung der Gasproduktion ist möglich durch eine verstärkte Erzeugung von Industriegas und durch eine Erhöhung der Erdgasproduktion. Es wurde besonders darauf hingewiesen, daß sich die Situation in der Gasversorgung voraussichtlich in etwa 5 Jahren wesentlich ändert. Bis zu diesem Zeitpunkt sind große BraunkohlenIndustriewerke in der Lage, Gasmengen abzugeben, die – jahreszeitlich bedingt – nur in größeren unterirdischen Speichern aufgenommen werden können. Gegenwärtig werden die Vorarbeiten für eine unterirdische Industriegasspeicherung in größerem Rahmen durchgeführt.
Vortrag am 12.5.1958
Rudolf Fischer (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Slawistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 14. März 1955.
Aufgaben der slawistischen Namenforschung
Daß die Arbeit der Slawisten auch anderen wissenschaftlichen Disziplinen zugute kommt, ist aus germanistischen, geschichtswissenschaftlichen und landeskundlichen Publikationen zu ersehen, in denen Ergebnisse der slawistischen Namenforschung verwendet werden. Dazu gehören insbesondere Abhandlungen, die aus den slawisch-deutschen Ersatzlautverhältnissen Aufschlüsse für die Chronologie des Lautwandels gewisser Mundarten gewinnen wollen. In fruchtbarer Wechselwirkung erhielten die Slawisten wiederum von den anderen Wissenschaften Hilfe und Anregung. Dies bezeugen die Bände der Schriftenreihe „Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte“, hrsg. im Auftrag der Historischen Kommission der Sächs. Akad. der Wiss. zu Leipzig. Es geht um mehr als bloße Namen. Es geht hier um die Verpflichtung, die Geschichte des Landes in einem entscheidenden Abschnitt aufzuhellen und die Beziehungen des deutschen Volkes zu seinen Nachbarn tiefer zu ergründen. Es geht um die Klärung des Verhältnisses der Deutschen zu den Slawen, um die Betrachtung der mittelalterlichen „Kolonisation“ unter gesellschaftlichem Aspekt und um die Würdigung des gemeinsamen Werkes slawischer und deutscher Bauern in den Gebieten östlich der Saale.
Auch im sprachlichen Bereich ist Slawisches und Deutsches oft kaum zu scheiden, wie R. Fischer bereits in seiner Schrift „Probleme der Namenforschung“ dargetan hat. Erforderlich ist auch eine gründlichere Untersuchung der Familiennamen, die gegenüber den Orts- und Flurnamen bisher noch zurückstanden. Urkundenbücher und andere Quellen beinhalten ein reiches Material an Belegen, das planmäßig gesammelt und geordnet werden muß. An den Familiennamen, die oft verändert und in großer Zahl in andere Landschaften getragen wurden, zeichnen sich die Schicksale der einzelnen Familien ab, doch auch die Umgestaltungen in der Struktur des ganzen Volkes. Viele Deutsche haben Namen slawischer Herkunft, wie umgekehrt viele Slawen Namen deutscher Herkunft besitzen. Kulturgeschichtlich auszuwerten sind besonders jene Familiennamen, die Benennungen für ehemals ausgeübte Berufe und Gewerbe darstellen. So vermag die Namenforschung auch gesellschaftswissenschaftlichen Studien zu dienen, und dies in weitestem Ausmaß.
Festvortrag zur Öffentlichen Sitzung am 12.4.1958
Friedrich Zucker (Jena), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für klassische Philologie und Papyruskunde an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 1. Juli 1948.
Ägypten im römischen Reich
Das vielseitige Thema wurde unter dem Aspekt der Verwaltung des Landes in der Kaiserzeit mit Beschränkung auf die ersten drei Jahrhunderte behandelt, und zwar in der Form der Vorführung charakteristischer Einzelerscheinungen mit der besonderen Absicht, das Niveau der Verwaltungstechnik und gewisse Rechtsverfahren erkennen zu lassen. Ihrem Wesen nach wurde die römische Verwaltung gekennzeichnet als das Bestreben, im rücksichtslosen Fiskalismus einen größtmöglichen Betrag aus dem Land herauszuwirtschaften, ohne das geringste Risiko einzugehen; ihrer Methode nach eine despotische Bürokratie, die von den einheimischen Pharaonen geschaffen und von den Ptolemäerkönigen verfeinert, von den Römern übernommen und in besonderer Weise ausgestaltet wurde.
Die wichtigste Leistung Ägyptens ist die Getreideversorgung von Rom. Der Vorführung der Einzelerscheinungen werden zwei Hinweise vorausgeschickt: einmal der auf die Quellen unserer vielfach bis in letzte Details gehenden Kenntnis, nämlich in die Tausende gehende Papyrusurkunden und Inschriften in griechischer Sprache als Hauptquellen, neben denen die in lateinischer Sprache zahlenmäßig weit zurückstehen, während Urkunden in einheimischer ägyptischer Sprache für die Verwaltung gerade der römischen Zeit wenig ausgeben. Zweitens der Hinweis auf Hauptpunkte der allgemeinen von den Römern getroffenen Ordnungen, betreffend die Beamten der Zentralregierung und die Einteilung des Landes und der Bevölkerung. Folgende Einzelerscheinungen dienten zur Charakterisierung der Verwaltungstechnik: Organisation des Getreidetransportes von den staatlichen Dorfmagazinen zu den Verladehäfen am Nil und den Kanälen und des Transports bis zu den großen Hafenmagazinen in Alexandria; das Ackerland in seiner Aufteilung auf verschiedene Verwaltungsressorts der Zentralregierung und die Bewirtschaftungsformen, mit hauptsächlicher Berücksichtigung des Königslandes, des Staatslandes, die dem Fiskus unterstehen, und der Patrimonialgüter des Kaisers; die Förderung der Entstehung und Erweiterung von Privateigentum an Ackerland, eine Neuerung der römischen Verwaltung; der Kataster; Intensität und Vielseitigkeit des Gundstücksverkehrs und überhaupt des Geschäftsverkehrs; Evidenzhaltung der Rechtsverhältnisse des privaten Grundbesitzes durch die als Grundbuch zu bezeichnende Besitzbibliothek; die behördliche Ordnung des Verfahrens der Vollstreckung in die zwei Arten der Hypothek; die Liturgie, d.h. das staatliche und kommunale Zwangsbeamtentum: Haftung, genauer konkurrierende Haftung, Gliederung, Einsetzungsverfahren.
Vortrag am 10.3.1958
Herbert Staude (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Physikalische Chemie an Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 17. November 1956.
Versuche zur Theorie des photographischen latenten Bildes
I. Untersuchungen an Bromsilber-Gelatine-Emulsionen (unsensibilisiert).
Das latente photographische Bild wird durch passend gewählte Belichtung einer photographischen Schicht erzeugt. Zur Herstellung einer solchen Schicht soll dabei nur eine reine Bromsilber-Gelatine-Emulsion verwendet werden, die sich von den handelsüblichen Schichten nur graduell, nicht prinzipiell unterscheidet. Eine solche Schicht verhält sich nach der Belichtung wie folgt: 1. Geeignet zusammengesetzte Lösungen (Entwicklerlösungen), die ein bestimmtes Redoxpotential haben, reduzieren bevorzugt die vom Licht geeigneter Wellenlänge getroffenen Bromsilberkörner der Schicht. Es findet dabei eine Verstärkerwirkung von etwa 1:108 statt. 2. Das latente Bild wird durch Oxydationsmittel (Salpetersäure, Kaliumpersulfat, Kaliumpermanganat, Kaliurnferricyanid) völlig zerstört, ohne daß in der Lösung eine neue Substanz (Ag+) nachweisbar wäre. 3. Das latente Bild kann durch Belichtung mit rotem Licht (~700 mµ) weitgehend abgebaut werden (Herscheleffekt). 4. Behandelt man die belichtete Schicht zunächst mit einem Oxydationsmittel, bestrahlt anschließend mit rotem Licht, so ist wieder ein latentes Bild nachweisbar (Debet-Effekt). Verfährt man bei der Behandlung in vertauschter Reihenfolge, also zunächst Belichtung und dann Oxydationsmittel, so ist kein latentes Bild mehr vorhanden.
II. Untersuchungen an Einkristallen:
1. Beim Belichten steigt die Leitfähigkeit mit Einschalten des Stromes unmittelbar auf den 2 ½ fachen Wert an und sinkt bei währender Belichtung auf einen konstanten Wert ab (Gleichgewichtsstrom). Sowohl das Maximum als auch der Gleichgewichtswert hängen von der Intensität des bestrahlenden Lichtes ab. Nach Abschalten des Lichtes stellt sich der ursprüngliche Dunkelwert mit einer Verzögerung ein. Eine Wiederholung der Belichtung ergibt dieselben Werte. Gegenüber dem elektrischen Strom ist also der Kristall nach Belichtung wieder in dem gleichen Zustand wie vorher. Voraussetzung dabei ist: niedrige Spannung, Zimmertemperatur, beschränkte Lichtmenge. Dieser Verlauf der Kurve gilt für den Bromkörper. Beim Silberkörper tritt bei Einschalten des Lichtes kein Maximum auf. 2. Durch Belichten entsteht eine zusätzliche Absorption im langweiligen Gebiet (FBande), deren Maximum sich mit zunehmender Belichtungszeit nach längeren Wellen verschiebt. Es wird ein Grenzwert in bezug auf die Höhe der Absorption erreicht. Der Silberkörper unterscheidet sich vom Bromkörper durch höhere Extinktionswerte. Einstrahlen von Licht, dessen Wellenlänge um das Maximum der Bande herum liegt, bewirkt einen Abbau der Bande (Herscheleffekt). Die Absorptionsmessungen zeigen, daß eine dauernde Veränderung durch Belichtung stattfindet.
III. Untersuchungen an gefälltem, bindemittelfreiem Bromsilber:
Da die unter II angegebenen Effekte Volumeneffekte sind, der für die Photographie wichtige Entwicklungsprozeß unter Einfluß des latenten Bildes aber an der Oberfläche der Bromsilberkörner beginnt, wurde versucht, ob es möglich ist, Veränderungen an der Oberfläche nachzuweisen, wenn man sich mit der Belichtung in derselben Größenordnung bewegt, wie sie zur Herstellung eines normalen latenten Bildes nötig ist. Es wurde gefunden, daß Chinon zwar an belichtetes Bromsilber absorbiert wird und daß die Abhängigkeit der absorbierten Menge von der Belichtung eine der Schwärzungskurve analoge Kurve mit Solarisation ergibt. Ferner ließ sich auch der Herscheleffekt durch Absorption von Chinon nachweisen: Belichtet man mit Chinon beladenes Bromsilber mit rotem Licht, so findet Desorption statt. Weiterhin zeigte sich, daß ein mit Chinon versetztes, belichtetes Bromsilbersol paramagnetisch ist, ein unbelichtetes dagegen bleibt diamagnetisch, wie es auch die Komponenten im einzelnen sind.
IV. Deutung:
Alle diese Erscheinungen, besonders aber das Verhalten bei den Leitfähigkeitsmessungen und bei der Adsorption von Chinon. Jassen sich erklären, wenn man annimmt, daß durch Licht befreite Elektronen an Störstellen der Oberfläche – besonders an Bromionenlücken – eingefangen werden. Diese Farb-(F-)-Zentren sind das latente Bild. Sobald aus den F-Zentren atomares Silber (kolloidales Silber) entsteht, setzt Solarisation ein. Mit der Annahme, daß das latente Bild aus atomarem Silber besteht, lassen sich die angegebenen Erscheinungen nicht oder nur durch Zusatzannahmen teilweise deuten.
Vortrag am 10.3.1958
Helmut Kretzschmar (Leipzig), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für historische Hilfswissenschaften und Landesgeschichte an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 17. November 1956.
Karl von Weber (1806–1879)
Karl von Weber war weder gelernter Archivar noch Historiker, ist aber durch die Zeitentwicklung und die Auswirkung seiner persönlichen Interessen auf beide Bahnen gelenkt worden. Daneben hat er als dauernder geheimer Referent des Gesamtministeriums einen bedeutsamen Einfluß auf die Politik seiner Zeit genommen. Von seinem Posten aus stellte er die Vermittlung zwischen den Fachministerien einerseits und dem Könige (von 1854–73 Johann) dar. Für die Probleme der Zeit weit aufgeschlossen, hat er durch Jahrzehnte quellenmäßig höchst interessante Tagebücher geführt, die für die allgemeine Geschichte, für die Milieuschilderung des Dresdener Hofes und der Dresdener Behördenwelt aufschlußreich sind. Durch seine engen Freundschaftsbeziehungen zu dem Minister Friedrich Ferdinand v. Beust, aber auch zu Männern wie Robert Schumann, Ludwig Richter, zahlreichen Künstlern und Schriftstellern erhält das Zeitbild, das seine Tagebücher bieten, eine breite Grundlage. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind in vielen Einzelzügen festgehalten.
Der Höhepunkt der Bedeutsamkeit seiner Berichterstattung fällt in die Jahre von vor 1864 bis nach 1871, wobei die Revolutionsepochen 1830/31 und 1848/49 eine aufschlußreiche Einleitung abgeben. Im Kriege 1866 war er Sekretär der vom sachkundigen König eingesetzten Landeskommission. Seine Beobachtungen geben ein besonderes Bild von dem preußisch-sächsischen Verhältnis. Die historischen Arbeiten Webers sind heute inhaltlich zumeist überholt. Vieles noch methodisch aus dem Geiste des 18. Jahrhs schöpfend, haben sie vorzugsweise biographischen Charakter. Kurfürstin Maria Antonie, der Herzog Moritz von Sachsen und die Kurfürstin Anna sind die Gegenstände seiner stofflich gut fundierten Lebensberichte. Bei diesen Studien begegnen sich Archivar und Historiker in ihm auf engem Raume.
Auch als Zeitschriftenherausgeber, des „Archivs für Sächsische Geschichte“, hat er sich betätigt. Aber sein Hauptverdienst ist doch, zumindest für die heutigen Bedürfnisse, in der Reichhaltigkeit und Vielseitigkeit seiner Tagebücher zu suchen. Nur gelegentlich in Teilabschnitten sind sie bisher von der Wissenschaft benützt worden.
Vortrag am 10.2.1958
Friedrich Leutwein (Freiberg), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Mineralogie, Petrographie und Geochemie an der Bergakdemie Freiberg, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 17. November 1956.
Das Alter der erzgebirgischen Uranvorkommen. Ein Beitrag zur Methodik geochronologischer Arbeiten
Nach einem Überblick über die älteren Auffassungen über die Uranvererzung im Erzgebirge wurde eine kurze Schilderung der modernen Auffassung über die verschiedenen Erzabfolgen und die für sie charakteristischen Paragenesen gegeben. Es wurde festgestellt, daß kristallisierter Uraninit im Erzgebirge überhaupt nicht vorkommt.
Die Uranführung ist an kollomorphe Pechblende geknüpft, die zum erstenmal in der sogen. Eisen-Baryt-Formation (eba) vorkommt. Sie ist zweifellos aus sulfidfreien Hydrothermen abgesetzt worden, die ein etwas höheres Oxydationspotential hatten, als das normalerweise der Fall ist, da hier Uran zwar 4wertig, Eisen aber stets 3wertig vorliegt. Alle anderen Vererzungsphasen enthalten nur Pechblende, die aus dieser ersten mobilisiert wurden. Da Pechblende sehr leicht mobilisierbar ist, war von vornherein zu erwarten, daß jede spätere hydrothermale Beanspruchung der Gänge zu einer Wanderung dieses Minerals führen würde. Aus einer sehr großen Zahl von Pechblendeproben wurde mit äußerster Sorgfalt eine Reihe von Mustern gewonnen, die frei von Verwitterung durch gewöhnliches Blei waren. Die nach der Uran-Blei-Methode durchgeführten Altersbestimmungen zeigten, daß die älteste Vererzung etwa 260 Mill. Jahre alt ist, daß aber Mobilisationen bis herunter in das Tertiär, 30 bis 40 Mill. Jahre, nachweisbar sind.
Vortrag am 10.2.1958
Otto Eißfeldt (Halle), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Altes Testament und Semitische Religionsgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 1. Juli 1948.
Psalm 78
Psalm 78, der in v. 1–8 die von einem älteren, erfahrenen Manne – nach der Überschrift „Maskil von Asaph“ von Asaph, dem Zeitgenossen Davids “ an sein Volk gerichtete Mahnung enthält, seiner Erzählung von den vergangenen Tagen aufmerksam zuzuhören und sich dadurch zu treuem Festhalten an Gottes Geboten leiten zu lassen, und in v. 9–72 einen von Israels Auszug aus Ägypten bis zur Bestellung Davids als König reichenden Ausschnitt aus Israels Geschichte bringt, wird von der überwiegenden Mehrheit der Erklärer ziemlich später Zeit zugewiesen. Kittel (1914), Gunkel (1926) und Hans Schmidt (1934) leiten ihn aus der Zeit der deuteronomischen Reform König Josias (621 v.Chr.) oder den folgenden Jahrhunderten, in denen die Gedanken dieser Reform weiterleben, her, und Duhm (1899) läßt ihn gar erst im 2. Jahrh. v.Chr. entstanden sein.
Begründet wird diese Ansetzung einmal mit der Meinung, der Psalm weise deutlich deuteronomische Ideen auf oder setze – so Duhm – die mit dem 3. Jahrh, v.Chr. anhebende Spannung zwischen den Samaritanern und den Juden voraus, sodann mit der Behauptung, er sei nicht nur von den uns vorliegenden Pentateuchquellen J, E und P, sondern auch von ihrer erst im 5. Jahrh, v.Chr. vollendeten Zusammenarbeitung abhängig. Beide Argumente sind hinfällig. Die als deuteronomisch in Anspruch genommenen Ideen sind älter und viel älter, und die Anspielungen an die vom Auszug aus Ägypten bis zu David reichende Geschichte Israels, die vielfach von unseren Pentateuchquellen abweichen, setzen wohl die vor diesen liegende mündliche oder auch schon schriftliche Überlieferung voraus, aber nicht die Form, die sie in ihnen erhalten hat. Da der von dem Psalm gebotene Rückblick bis David reicht, ist die nächstliegende Annahme die, daß er unter David oder unter Salomo, jedenfalls vor der um 930 v.Chr. eingetretenen Reichstrennung, d.h. dem Bruch der israelitischen Nordstämme mit der Dynastie Davids, entstanden ist, und dieser Annahme steht auch kein ernsthaftes Hindernis im Wege. Stützen läßt sie sich aber auch durch einen Vergleich unseres Psalms mit dem 5. Buch Mose 32, 1–43 stehenden „Mose-Lied“, mit dem er formal und inhaltlich allerlei gemein hat. Dieses Lied führt den von ihm gebrachten Rückblick auf Israels Geschichte bis auf die Bedrückung der Israeliten durch die Philister, die in der ersten Hälfte des 11. Jahrhs v.Chr. ihren Höhepunkt erreicht hat, herab, verheißt, daß Jahwe seinem Volke trotz aller seiner Mängel gegen diesen seinen Erbfeind beistehen werde, und bereitet damit die von Saul begonnene Auflehnung Israels gegen die philistäische Oberherrschaft vor (vgl. DLZ 76, 1955, Sp. 388).
Unser Psalm blickt auf diese von Jahwe trotz aller ihm von Israel erwiesenen Untreue gewirkte Rettungstat zurück und stellt fest, daß die Führung des befreiten Israel nun nicht mehr wie früher bei einem der Nordstämme, sondern bei dem Südstamm Juda liegen soll, wie der Norden mit der von den Philistern vorgenommenen Zerstörung des Heiligtums von Silo auch seinen kultischen Mittelpunkt verloren hat und nun Jerusalem an Silos Stelle getreten ist. Wenn das Mose-Lied um die Mitte des 11. Jahrhs v.Chr. anzusetzen sein wird, so gehört Psalm 78 in das Ende dieses oder den Anfang des folgenden, des 10. Jahrhunderts.
Vortrag am 27.1.1958
Ernst Neef (Dresden), Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Professor für Geographie an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse seit 17. November 1956.
Über die ökologische Varianz geographischer Komplexe
Um über die erklärende Beschreibung geographischer Zusammenhänge hinauszukommen, ist es notwendig, die einzelnen Komponenten geographischer Komplexe mit Maß und Zahl zu erfassen. Das ist nur an stofflich einheitlichen Komplexen möglich, an den Physiotopen. Mehrjährige Beobachtungsreihen des Geographischen Instituts der Karl-Marx-Universität Leipzig an verschiedenen Standorten im Osten von Leipzig auf verschiedenen Bodenarten und Bodentypen werden ausgewertet.
Ausgehend vom Bodenwasser, dessen Verteilung über das Jahr und bis 80 cm Tiefe in Isoplethen für drei Physiotopentypen dargestellt wird, werden Beziehungen zu den übrigen Komponenten der untersuchten Standorte aufgedeckt. Die Beispiele zeigen, daß im Wechsel der Witterungsverhältnisse die Typen charakteristische Abweichungen (Varianz) der ökologischen Wertigkeit zeigen, am stärksten die gleyartigen Böden. Die Standardreihen geben Hinweise auf verschiedene Zusammenhänge, aus denen Testverfahren für großflächige Aufnahmen abgeleitet werden sollten. Die Bodendynamik spielt für die ökologische Wertigkeit eine dominante Rolle. Die pflanzensoziologischen Aufnahmen geben vielfach Varianten der Physiotope, die auf die beständigeren Physiotope als ökologische Grundlage zurückgeführt werden können. Der Wasserhaushalt für das Jahr (Bodenwasserregime) zeigt in kalten Wintern Abweichungen vom Grundwasserregime. Während der Grundwasserspiegel über das Winterhalbjahr ansteigt, erfolgt im Boden unter Einfluß des Frostes eine Wanderung der Bodenfeuchte nach oben. Erst das Frühjahr gibt mit der entstehenden Sickerwasserfront die Basis für die Bodenfeuchteverhältnisse des folgenden Jahres. Neben der ökologischen Varianz der Physiotopen treten in längeren Zeiträumen Veränderungen auf, die zu neuen und andersartigen ökologischen Komplexen führen können. Maß und Geschwindigkeit dieser Veränderungen sind offenbar bereits in historischer Zeit von Bedeutung.
Vortrag am 27.1.1958
Eberhard Hempel (Dresden), Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Professor für Kunstgeschichte und Geschichte der Baukunst an der TH Dresden, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse seit 14. Februar 1949.
Unbekannte Skizzen von Wolf Caspar von Klengel (1630–1691), dem Begründer des sächsischen Barock
Der Vortrag bot einen Überblick, inwieweit sich das bisher nicht recht faßbare Werk des kursächsischen Oberlandbaumeisters Wolf Caspar von Klengel durch seine zahlreichen, bisher noch nicht veröffentlichten Skizzen der Landesbibliothek in Stuttgart klären läßt. Es ist dies um so wichtiger, als Klengel in der noch vielfach nicht aufgehellten, aber doch für die Entstehung des sächsischen Barock grundlegenden Zeit der 2. Hälfte des 17. Jahrhs an entscheidender Stelle stand. Dr. Walter Boll, der jetzige Direktor des Stadtmuseums in Regensburg, hatte die wissenschaftliche Bearbeitung der Stuttgarter Skizzen schon nach dem ersten Weltkrieg begonnen, seine Ergebnisse und Aufnahmen aber jetzt dankenswerterweise der Dresdner Forschung übergeben, da nur hier die Voraussetzungen für einen Abschluß seiner Arbeit gegeben sind.
Im einzelnen wurde ausgeführt, inwieweit die Skizzen nicht nur Reiseerinnerungen festhalten, sondern auch seine künstlerischen Absichten zeigen, so daß sie vielfach einen Entwurfscharakter annehmen. Darüber hinaus liefern sie mannigfache Beiträge und Ergänzungen zum Werke Klengels, so seine Entwürfe für ein Mausoleum der Wettiner und für die Innenausstattung des Dresdner Schlosses. Klengel ist durchaus ein Vertreter der italienischen Richtung des deutschen Barocks und fand in der Arbeit des genialen, leider früh verstorbenen Marcus Dietze eine direkte Fortsetzung, die zum Bau des Dresdner Zwingers führte. So kann ihm die Bezeichnung eines Begründers des sächsischen Barocks, die Ernst Sigismund ihm gab, mit Recht zugebilligt werden. Der Umschwung von manieristischen zu barocken Formen setzte um 1655 ein. Besonders hervorzuheben ist, daß Klengel bereits 1664 in seinem Komödienhaus in Dresden im Emporenbau die freistehende Säule brachte, was dann Bähr im Kirchenbau viel später verwirklichte. Erstaunlich ist auch der Entwurf eines Lusthauses, der einen freistehenden mittleren Ovalsaal verbunden mit zwei Flügeltrakten bringt, ein Motiv, das erst 1795 bei Fischer von Erlach und Zuccalli auftaucht. Klengels Einfluß wirkte auch insofern weiter, als er August den Starken im Zeichnen unterrichtete.