Vortrag am 11.12.2009
Elmar Peschke (Halle), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Dr. med., Professor für Anatomie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; seit 2000 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften; am 12. Januar 1996 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt; Projektleiter des Akademieprojektes „Zeitstrukturen endokriner Systeme“.
Forschungsschwerpunkte: Chronoendokrinologie und experimentelle Diabetologie
Melatonin und Diabetes
Melatonin, ein phylogenetisch altes und weit verbreitetes Hormon (Indolamin), kommt bereits bei Pflanzen und Einzellern vor und findet sich in der gesamten aufsteigenden Wirbeltierreihe bis hin zu den Säugetieren. Es wird hauptsächlich in der Epiphysis cerebri gebildet, die bereits seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert bekannt ist (Herophilus von Alexandria, 335–280). Von Descartes (1596–-1650) wird sie als Quellort und Zentrum der Sinneswahrnehmung, des sensorium commune, und des erkennenden Teils der Seele verstanden. Schopenhauer (1788-1860) projiziert in sie den Sitz der Träume. Wissenschaftliches Interesse erlangt sie Ende des 19. Jh. durch Ernst Gutzeit (1863–1927), der bei Epiphysen-zerstörenden Tumoren vorverlagerte sexuelle Reife (pubertas praecox) beobachtete. 1958 wurde von dem Dermatologen Aaron Lerner (1920–2007) das Hormon Melatonin aus Rinderepiphysen isoliert und 1959 seine chemische Struktur aufgeklärt. Seitdem haben sich unendlich viele Untersuchungen mit der funktionellen Bedeutung des Melatonins beschäftigt, wozu auch äußerst widersprüchliche Aussagen zu einem möglichen funktionellen Zusammenhang zwischen Melatonin und Insulin gehören.
Vor diesem Hintergrund begannen 1995 eigene Untersuchungen (seit 2000 durch die Sächsische Akademie gefördert) zunächst zum Einfluss von Melatonin auf die Insulinsekretion pankreatischer Inseln, gefolgt von Untersuchungen an immortalisierten, Insulin-produzierenden β-Zellen sowie an Tiermodellen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Melatonin senkt die stimulierte Insulinsekretion sowohl in vitro als auch in vivo. Durch Folgeuntersuchungen konnte gesichert werden, dass die pankreatische β-Zelle über 2 Typen von Melatoninrezeptoren (MT1 und MT2) verfügt und dass die Effekte Rezeptor-vermittelt und damit hochspezifisch sind. Schließlich konnten die intrazellulären Signalwege charakterisiert werden, auf denen die Effekte mediiert werden. Ferner wurden Rhythmizitäten der Insulinsekretion erfasst und Aussagen über die protektive Bedeutung von Melatonin gegenüber Sauerstoff-Radikalen getroffen.
In Umkehrung wurde durch sich anschließende Untersuchungen das Ziel verfolgt, dem Einfluss von Insulin auf die Melatoninsynthese und -sekretion nachzugehen. Schon bald wurde deutlich, dass Insulin die Melatoninsynthese hemmt, Befunde, die ebenfalls in vitro als auch am Versuchstier gesichert wurden. Von entscheidender Bedeutung waren in diesem Zusammenhang Untersuchungen an Typ1- als auch Typ2-diabetischen Tiermodellen, die zweifelsfrei funktionelle Interaktionen (Antagonismen) zwischen Insulin und Melatonin belegten.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass bei Typ1-diabetischen Tiermodellen sowie inzwischen einbezogenen Patienten extrem erniedrigte Werte von Insulin mit erhöhten Werten von Melatonin im Blut koinzidieren. In Umkehrung gehen bei Typ2-diabetischen Individuen leicht erhöhte Insulinspiegel mit erniedrigten Melatoninwerten einher. Ferner lassen jüngst durchgeführte weltweite Assoziationsstudien einen engen Zusammenhang zwischen spezifischen „Single Nucleotid-Polymorphismen" (SNPs) des humanen Melatoninrezeptor-Locus MT2 und einem erhöhten Risiko, an Typ2-Diabetes zu erkranken, erkennen. Die vorgestellten Befunde unterstreichen die Relevanz des funktionellen Zusammenhanges zwischen beiden Hormonen, so dass davon auszugehen ist, dass Melatonin perspektivisch stärkere Bedeutung in der Klinik erlangen könnte.
Vortrag am 11.12.2009
Wolfram Hogrebe (Bonn), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Dr. phil., Professor für Philosophie an der Universität Bonn, zugleich Vorstandsvorsitzender des Internationalen Zentrums für Philosophie des Landes Nordrhein-Westfalen; am 11. März 1994 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt, (seit dem 1. Januar 1997 Korrespondierendes Mitglied), Mitglied der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und des Institute Internationale de Philosophie zu Paris.
Forschungsschwerpunkte: Metaphysik, Bedeutungstheorie, Semantik und Mantik
Geburtswehen der Moderne. Formen der Selbstzerrissenheit in der Renaissance
Die von Jacob Burckhard, Aby Warburg und Ernst Cassirer herausgearbeiteten ambivalenten Strukturen im kulturellen Profil der Renaissance gehen letztlich auf einen unentschiedenen Kampf um das rechte Subordinationsmodell zurück. Das Weltliche in der Vielzahl seiner expressiven Formen steht sowohl mit sich selbst aber auch mit dem Göttlichen in einem unentschiedenen Wettstreit um die Stellung als dominante Orientierungsgröße. Diese Ambivalenz läßt sich in expressiven Formen der Selbstzerrissenheit bis Mitte des 16. Jahrhunderts eindrucksvoll studieren in Kämpfen um die Vorherrschaft von Trieb, Gott und Stern, ja schließlich sogar von Gott mit sich selbst. Was hier mit sich selbst ringt, ist als nicht ausgestandene Erbschaft den Geburtswehen der Moderne zuzurechnen. Der Vortrag mündet in eine Bildinterpretation von Michelangelo. Seine Zeichnung des sogenannten Kruzifixus für Vittoria Colonna visualisiert eine Selbstzerrissenheit Gottes, die bislang unentdeckt ist. In dieser Zeichnung wird eine Problemstellung greifbar, mit der auch die Moderne selbst möglicherweise nicht fertig werden kann.
Vortrag am 13.11.2009
Dietmar Müller (Chemnitz), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse:
Dr.-Ing. habil., Prof. i.R. für Schaltungs- und Systementwurf an der Technischen Universität Chemnitz, am 10. März 2000 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Senior Expert Elektrik/Elektronik in der Verbundinitiative „Automobilzulieferer Sachsen" (AMZ)
Elektro-Mobilität - Chance oder Illusion?
Umweltverschmutzung, Klimawandel, Bevölkerungsexplosion, Erderwärmung, Abschmelzen der Polkappen; diese und weitere Begriffe sind täglich „in aller Munde“ bzw. in allen Medien! Neben einer Vielzahl von relevanten Einflussfaktoren wird aber als Verursacher oft nur auf den Individualverkehr mit dem PKW fokussiert. Die bekannten Vorgaben des maximalen CO2-Ausstoßes von PKW durch die EU sind nur eine Facette. In diesem Umfeld und vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen gewinnt neben den vielfältigen Formen der Energiegewinnung aus regenerativen Quellen und der Energieeinsparung insbesondere auch der Aspekt der Elektromobilität stark an Bedeutung.
Die Elektromobilität soll in diesem Vortrag näher betrachtet werden, jedoch nicht nur in Form des „Elektro-Pkw“; die Elektrifizierung wird alle Bereiche des Transportwesens durchdringen (Hybrid-Busse, Port- und Flughafen-GSE (Ground Support Equipment), Baumaschinen u.a.). Der Vortrag beruht auf den bekanntermaßen zahlreichen Konferenzbeiträgen und Fachartikeln auf diesem Gebiet, die teilweise auch im Rahmen der AMZ-Tätigkeit des Vortragenden bekannt wurden.
Eingangs wird auf der Basis der genannten Informationen im Überblick die gegenwärtige und die prognostizierte Entwicklung der Weltbevölkerung, der Erderwärmung und des CO2-Ausstoßes sowie des Verbrauches fossiler Brennstoffe dargestellt und daraus die Notwendigkeit abgeleitet, eine Vielzahl von „Stellschrauben“ in Form eines komplexen Ansatzes zu betätigen, um – zugespitzt formuliert – einen Kollaps des gegenwärtigen und besonders des zukünftigen Wirtschaftssystems zu vermeiden und/oder die Auswirkungen der bisherigen anthropogenen Veränderungen zu mindern oder ganz zu stoppen. Dazu werden die Anteile der größten Energieverbraucher weltweit und innerhalb der EU dargestellt, speziell die der unterschiedlichen Transportarten. Anschließend werden mögliche Verbesserungsansätze für einige dieser Transportarten gezeigt und deren Nutzung für den Individualverkehr und für den kommerziellen Transport behandelt.
Da das „E-Auto“ im Focus der Öffentlichkeit steht, werden mögliche Hybridvarianten (Micro-, Mild- und Full-Hybrid) (Serien-Hybrid, Parallel-Hybrid, Mischformen) und die dazu gehörigen Komponenten (Elektromotor, Batterie, Batteriemanagementsystem, Getriebe, Fahrzeugelektronik u.a.) näher erläutert.
Aus dem bereits großen Spektrum von Konzepten, Prototypen und industriell gefertigten E-PKW werden einige – teils exotische – Vertreter im Vortrag bildlich dargestellt. Für die genannten Komponenten eines Elektroautos werden deren erreichter Stand, aber auch die noch zu lösenden Probleme und die applikativen Möglichkeiten skizziert. Dies gilt besonders für die Li-Ionen-Technologie. Abgerundet wird dies durch die Darstellung visionärer Ansätze wie z.B.: Das Elektroauto als großer Energiespeicher für die Netzbetreiber.
Abschließend werden die bekannten Aktivitäten der Bundesregierung und Aktivitäten innerhalb Sachsen zur „Elektromobilität“ genannt.
Vortrag am 13.11.2009
Heiner Kaden (Meinsberg), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse:
Dr. rer. nat. habil., Honorarprofessor i. R. an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg, vormals Direktor, jetzt wissenschaftlicher Berater im Kurt-Schwabe-Institut für Mess- und Sensortechnik e.V. Meinsberg; am 11. Oktober 1991 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Elektrochemie, Sensorik; Wissenschaftsgeschichte
In-vivo-Einsatz von Sensoren zur pH-Messung in Medizin und Veterinärmedizin
Die Messung des Säuregrades in Körperflüssigkeiten spielt in der Medizin und der Veterinärmedizin nach wie vor eine bedeutende Rolle. Sie wird in vitro als Routinemessung, oft mit automatisierten Messapparaturen, durchgeführt. Anders verhält es sich, wenn Messungen in vivo erforderlich sind. Am Beispiel der pH-Messung im Magen beim Menschen, des Einsatzes in der Gynäkologie sowie insbesondere im Pansen von Kühen werden die Erfordernisse der Messung, Probleme der Messwert-gewinnung, der Auslegung und Eigenschaften der Sensoren und der Messwertübertragung besprochen.
Messgröße bei diesen Verfahren ist der pH-Wert, d.h. die Aktivität der Oxoniumionen H3O+ (veraltend Hydroniumionen genannt). H3O+-Ionen wiederum sind unter Bildung von H4O9+-Ionen hydratisiert. Auf diese Grundlage wird hingewiesen, weil es seit etwa zwei Jahrzehnten Pharmazeutika mit der Bezeichnung Protonenpumpenhemmer gibt, die seit Mitte 2009 sogar für die kurzzeitige Selbstmedikation freigegeben sind. Ihre Aufgabe ist es, zu hohe Konzentrationen von Magensäure abzubauen bzw. zu verhindern, wie es bei Refluxerkrankung oder Säure-assoziierten Magenschädigungen notwendig ist. Der Name der Medikamente lässt darauf schließen, dass Protonen, nicht Oxoniumionen „gepumpt“ werden. Die Existenz von Oxoniumionen im Magen, der Chemismus der Wasserstoffionen aus Protonenpumpen sowie die Funktion der Protonenpumpenhemmer werden kurz diskutiert.
Für die Bestimmung von pH-Werten im Magen können vorzugsweise pH-Glaselektroden oder Antimonelektroden verwendet werden. Ihre Funktionsweise und Applizierung wird erläutert. Ein anderes Anwendungsgebiet von pH-Messwertgebern ist die Gynäkologie, insbesondere, wenn in vivo gemessen werden soll. Hierzu wird auf Vorteile sehr kleiner Sensoren in Form von ionensensitiven Feldeffekttransistoren hingewiesen.
Der pH-Wert in der Pansenflüssigkeit von Milchkühen ist von großer Bedeutung für die optimale, effiziente Fermentation der Nahrungs-bestandteile. Um hohe Leistungen unter Erhalt der Tiergesundheit zu gewährleisten, müssen Kühe mit ausreichend Energie wiederkäuergerecht versorgt werden. Hohe Mengen an leichtverdaulichen Kohlenhydraten führen zum Absinken des pH-Wertes in der Pansenflüssigkeit unter die physiologische Norm. Je nach Futterkonsistenz (von grob bis fein) kann sich der pH-Wert im Rumen von 6,25 auf 5,4 erniedrigen. Es entsteht die Gefahr des Auftretens subakuter Pansenazidose (SARA). Die negativen tiergesundheitlichen Auswirkungen von SARA sind vielfältig, ihr Auftreten, bezogen auf die Gesamtzahl der Rinder, kann in größeren Herden über 20 % liegen. Da es keine einfachen und spezifischen Nachweismethoden für die Krankheit gibt, ist die Untersuchung des Panzensaftes in situ erforderlich. Für die kontinuierliche Messung des pH-Wertes im Pansen wurde eine endometrische Sonde entwickelt, deren Messwerte und Funktionsparameter telemetrisch an ein externes Empfangsgerät übertragen werden. Sie kann als autark funktionierende Einheit im Pansen appliziert werden. Voraussetzung waren eine kurze Ansprechzeit des Sensors sowie die Stabilität des Sensorsignals, die in vorherigen Untersuchungen nachgewiesen werden konnten. Außerdem muss der Einfluss von Temperaturschwankungen auf die Ergebnisse berücksichtigt werden. Die Sonde wurde unter Feldbedingungen an einer gefistelten Kuh getestet.
Vortrag am 9.10.2009
Hans-Joachim Solms (Halle), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse:
Dr. phil., Professor für Geschichte der Deutschen Sprache und älteren Deutschen Literatur, Direktor des An-Instituts „Deutsche Sprache und Kultur“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; am 8. Februar 2008 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Historische Grammatik, historische und Mundartlexikographie
Das Problem einer mittelhochdeutschen ‘Gemeinsprache’
Zu den großen Forschungsfragen der germanistischen Sprachgeschichtsforschung gehört die aus ganz unterschiedlichen Interessen heraus gestellte Frage nach der Entstehung unserer neuhochdeutschen (nhd) Schriftsprache. Aus einem schon bestimmten Vorverständnis heraus waren in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh.s (K. Müllenhoff, K. Burdach, Th. Frings) jeweils weitere Forschung provozierende Entstehungsthesen entwickelt worden. Erst mit den primär positivistisch-empirischen Forschungen u.a. von W. Besch, G. Ising oder E. Skala ist seit den 60er Jahren des vergangenen Jh.s der Gang der wesentlich in frühneuhochdeutscher (frnhd) Zeit (14.Jh.–17.Jh.) vollzogenen Herausbildung unserer Schriftsprache angemessen beschrieben und erklärt worden. Im Ergebnis der seitdem zahlreichen Forschungen zum Frnhd ist die in diesem Zusammenhang schon immer mit gestellte und seit dem Beginn der Diskussion im 19. Jh. ebenfalls stets kontrovers diskutierte Frage nach dem Status des Mhd (11.Jh.–14.Jh.) neu gestellt worden; dabei zeigte sich wiederum das auch außerhalb der Sprachgeschichtsforschung liegende Erkenntnisinteresse, insofern u.a. F. Maurer (1951) die Sprachentwicklung im 13./14. Jh. im Zusammenhang der „Entwicklung eines deutschen Nationalbewußtseins” sah. Mit der Frage nach dem Status des Mhd eng verbunden war und ist die Frage nach einer adäquaten Kenntnis des Mhd, deren Beantwortung seit nunmehr gut 10 Jahren zu einem Forschungsschwerpunkt der deutschen Sprachgeschichtsforschung geführt hat. Die Frage scheint auf den ersten Blick paradox, gehört doch das so scheinbar regelhafte Mhd seit dem Beginn einer wissenschaftlichen Germanistik zu jenem unzweifelhaften und in Grammatiken und Wörterbüchern beschriebenen und also sicheren und vermittelbaren Grundlagenwissen, das sich jeder Studierende mit Beginn seines Studiums unabdingbar aneignen musste und muss. Warum also die Frage nach dem Status und der Kenntnis des Mhd neu stellen? Die Antwort führt an die Anfänge der Germanistik. Aus der Hochschätzung einer staufischen Kultur im 12./13. Jh. heraus hatte K. Lachmann (1820) von einer von Dialektismen befreiten ‘unwandelbaren’ Sprache der Dichtungen dieser Zeit gesprochen; J. Grimm (1822) sah eine „am Rhein und an der Donau, von Tyrol bis nach Hessen schon [... waltende] allgemeine sprache, deren sich alle dichter bedienen”. Tatsächlich jedoch sind die Texte jener Zeit allein in Hs.s überliefert, die z.T. mehrere Jh.e nach dem Zeitpunkt der Dichtung selbst entstanden. In ihnen sah Lachmann die ‘unwandelbare’ Sprache der Dichter durch nachlässige Schreiber nurmehr dialektal ‘verderbt’, die Aufgabe der Philologie somit darin, die Texte in ihrer ursprünglichen und überregional gültigen Sprachgestalt zu rekonstruieren. Wie diese aussah, das hatte Lachmann mit seinem als ‘klassisches’ oder ‘Normal-Mhd’ benannten Konstrukt vorgegeben. Bezogen auf die Ausgangsfrage nach dem Entwicklungsweg unserer Schriftsprache deutet die Annahme einer solch „reinmittelhochdeutsche[n] Sprache” auf eine schon mittelalterliche deutsche Gemeinsprache hin, die sich somit auch unter anderen als nur den neuzeitlichen Bedingungen hat herausbilden können. Diese bis in die zweite Hälfte des 19. Jh.s herrschende Vorstellung wurde wesentlich durch den noch jungen H. Paul in Frage gestellt, der eine bis heute nicht abgeschlossene Diskussion eröffnete. In seinem 1872 an der Universität Leipzig gehaltenen Habil-Vortrag „Gab es eine mittelhochdeutsche Schriftsprache?” erwies er die vorherrschende Forschungsmeinung als eine, die erst durch das „vorurteil” entstanden sei, „es müsse eine einheitliche sprache gegeben haben”. Tatsächlich konstatierte Paul in der Wirklichkeit der überlieferten Hs.s „herrschaft der mundarten”, wohingen „die schriftsprache [... erst] erwiesen werden [muss]” (ebda.). Mit diesem programmatischen Aufruf zur vorurteilsfreien Forschung beginnt Paul die Diskussion um die Existenz einer mhd „Gemeinsprache oder, wie man gewöhnlich sagt, Schriftsprache”. Wenn er später (1916) im Zenit seiner wissenschaftlichen Wirkung resümiert, dass die Frage „Wie weit eine solche schon vor der nhd. Zeit vorhanden gewesen, [...] eine vielfach erörterte Streitfrage” geworden sei, dann konnte er nicht ahnen, dass ihre Beantwortung selbst zum Ende des 20 Jh.s abschließend noch nicht gelungen ist. Immer wieder wurde die Frage aufgenommen und als ‘alte Streitfrage’ neu diskutiert. Die Antwort bleibt bis heute unentschieden. Denn folgt man einer jüngeren Einschätzung von Kurt Gärtner (2004), dann scheinen wir heute wieder dort zu sein, wo wir vor Hermann Paul schon einmal waren: „Die in der 1. Hälfte des 13. Jhs. geschriebenen Handschriften [...] lassen jedoch eine [...] seit den Anfängen der Germanistik immer wieder diskutierte Vorstellung von einer ‘mittelhochdeutschen Schriftsprache’ [...] plausibel erscheinen”.
Der Vortrag wird die nicht alt gewordene Frage vor dem Hintergrund der neueren Forschungen zum Mhd, die im Rahmen eines DFG-Langzeitprojektes in Bochum, Bonn und Halle geleistet werden, neu diskutieren.
Vortrag am 9.10.2009
Stefan Odenbach (Dresden), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse:
Dr. rer. nat. habil., Professor für Magnetofluiddynamik an der Fakultät Maschinenwesen der Technischen Universität Dresden; am 8. Februar 2008 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Strömungsmechanik von komplexen Fluiden (insbesondere Ferrofluide/ magnetische Flüssigketen), Rheologie
Magnetisch kontrollierbare Flüssigkeiten - Grundlagen, Anwendungen und Perspektiven der Forschung an Ferrofluiden
Materialien, deren Eigenschaften durch äußere Felder geschaltet werden können, gewinnen zunehmend an Bedeutung in unterschiedlichsten Bereichen moderner technologischer Entwicklung. Fokussiert man das Interesse auf fluide Materialien, so kommt zu einer schaltbaren Veränderung der Eigenschaften des Fluids auch noch die Möglichkeit zur Kontrolle der Strömung durch steuerbare äußere Kräfte.
Besonderes Interesse haben in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren Flüssigkeiten erregt, bei denen die Beeinflussung über magnetische bzw. elektrische Felder erfolgen kann. Neben den elektro- und magnetorheologischen Fluiden sind dabei die Ferrofluide aufgrund ihres außerordentlich breiten Anwendungsspektrums zu nennen.
Ferrofluide sind Suspensionen magnetischer Nanopartikel in geeigneten Trägerflüssigkeiten, bei denen die Veränderung der Flüssigkeitseigenschaften und die Kontrolle von Strömungen über Magnetfelder moderater Stärke von ca. 20mT möglich ist. Die Besonderheit dieser Flüssigkeiten besteht einerseits darin, dass die thermische Energie der Partikel ausreicht, um langzeitig stabile Suspensionen zu erzeugen, die über Jahrzehnte sedimentationsstabil sind und deren Eigenschaften sich im Laufe der Zeit quasi nicht ändern. Andererseits sind die magnetischen Partikel aufgrund ihrer geringen Größe als magnetische Eindomänenteilchen zu behandeln, was zu den großen magnetischen Kräften führt, die bereits durch Magnetfelder geringer Stärke erzeugt werden können. Aufgrund dieser vergleichsweise einfachen Beeinflussung von Ferrofluiden durch relativ schwache Magnetfelder entsteht ein breites Feld für grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung. Während technische Anwendungen bereits in vielfältiger Form Einzug in das alltägliche Leben gehalten haben, stellen medizinische Anwendungen – insbesondere in der Krebstherapie – ein Gebiet intensiver, aktueller Forschung dar. Im Rahmen des Vortrags sollen zunächst die Ferrofluide, ihre spezifischen Eigenschaften und die Möglichkeiten zur magnetischen Kontrolle – auch anhand einiger Experimente – diskutiert werden. Anschließend werden spezielle Fragestellungen der aktuellen Forschung an Ferrofluiden, wie die magnetische Veränderung der Rheologie magnetischer Flüssigkeiten und die Erforschung des biomedizinischen Einsatzes magnetischer Nanopartikel in der Krebstherapie, im Zentrum des Vortrags stehen.
Vortrag am 12.6.2009
Bernd Meyer (Freiberg), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse:
Dr.-Ing., Professor für Energieverfahrenstechnik und Thermische Abfallbehandlung, Direktor des Instituts für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen sowie Rektor der Bergakademie Freiberg; am 8. Februar 2008 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Vergasungs- und Pyrolysetechnik, Thermisch-chemische Verfahrenstechnik, POX, Kraftwerkstechnik, Regenerative Energien.
Vergasungsforschung an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg
Die Vergasung von Energieträgern ist ein Schlüsselprozess der chemischen und der Energieindustrie. Kohlenstoffhaltige Einsatzstoffe werden bei hohen Temperaturen und teilweise hohen Drücken überwiegend in Kohlenmonoxid CO und Wasserstoff H2 überführt. Dieses Gasgemisch kann als Brenngas zur Strom- und Wärmeerzeugung, als Synthesegas zur Herstellung von Kraft- und Chemierohstoffen bzw. zur Wasserstoffgewinnung oder als Reduktionsgas in der Metallurgie genutzt werden. Einsatzstoffe der Vergasung sind kohlenstoffhaltige, fossile oder nachwachsende Energieträger und Rückstände, wie Erdgas, Erdölfraktionen, Kohle, Biomasse oder Abfallstoffe.
Technologien auf der Basis der Vergasung zeichnen sich durch eine hohe Ressourceneffizienz und eine vergleichsweise niedrige, primäre CO2-Bildung aus. Die Brutto-Reaktion der autothermen Vergasung von Kohle für die Erzeugung eines Synthesegases, beispielsweise für die Synthese von Methanol C3H5OH, lautet: CH0,81O0,06 + 0,4 H2O + 0,56875 O2 ↔ 0,5975 CO2 + 0,4025 CO + 0,805 H2.
Anhand dieser chemischen Gleichung wird deutlich, dass ca. 40% des Kohlenstoffes im Syntheseprodukt Methanol C3H5OH chemisch gebunden werden und nur 60% als CO2 anfallen. Es ist nahe liegend, dass die stoffliche Nutzung von Kohle gegenüber der Verbrennung einen um ca. 2/5 geringeren, primären CO2-Ausstoß ausweist. Auch im Falle der auf Vergasung basierenden Stromerzeugung in IGCC-Kraftwerken (IGCC: Integrated Gasification Combined Cycle) mit CO2-Abtrennung (CCS: Carbon Capture and Storage) werden im Vergleich zu den konkurrierenden Konzepten (Oxyfuel und Post-Combustion) höhere Wandlungswirkungsgrade und damit geringere spezifische CO2-Mengen erzielt. Über die Vergasung wird zudem der Weg für die Kopplung von stofflicher und energetischer Nutzung fossiler Energieträger eröffnet mit einem erheblichen Potential für die Flexibilisierung der Leistungsbereitstellung der Stromerzeugung im Kontext mit der Einspeisung regenerativ erzeugter Elektroenergie. Hierbei handelt es sich um zukünftige Konzepte, die mit den Begriffen „Stoff-Kraft-Wärme-Kopplung“ oder „chemiegeführtes Kraftwerk“ umschrieben werden. Das Thema Vergasung ist seit Gründung des heutigen Institutes für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen an der TU Bergakademie Freiberg im Jahre 1921 ein Schwerpunkt der Forschung, wobei aktuell großindustrielle Verfahren der nächsten Generation für die chemische Industrie im Mittelpunkt stehen.
Im Vortrag wird zunächst auf die am Institut vorhandene HP-POX-Technikumsanlage zur Spaltung von gasförmigen und flüssigen Kohlenwasserstoffen (max. 5 MW (th), max. 100 bar) und die damit verbundene Forschung, die gemeinsam mit der Firma Lurgi und mit finanzieller Unterstützung des BMWi, der SAB und der Muttergesellschaft von Lurgi durchgeführt wird, näher eingegangen. Die Versuchsanlage bietet die Möglichkeit, drei verschiedene Prozessvarianten zu untersuchen: HP-POX, d.h. Hochdruck-Partialoxidation von gasförmigen Kohlenwasserstoffen, ATR d.h. Autothermreforming von gasförmigen Kohlenwasserstoffen und MPG, d.h. Multi Purpose Gasification von flüssigen Kohlenwasserstoffen. Einige wesentliche Ergebnisse der thermochemischen Gleichgewichtsmodellierung mit ASPEN PLUS und der Simulation der reaktiven Strömung im Vergaser mit Fluent und OpenFoam werden vorgestellt.
Im Anschluss wird auf die Entwicklung der 3. Generation von Vergasungsverfahren für feste Energieträger eingegangen, speziell auf die Vergasung von aschereichen, niedrig inkohlten Kohlen in der intern zirkulierenden Wirbelschicht (INCI).
Neben der eigentlichen Forschungsarbeit kommt dem internationalen Wissenstransfer mit der Industrie sowie Universitäten und Forschungseinrichtungen eine große Bedeutung zu. Diesbezügliche Aktivitäten des Institutes umfassen u.a. die seit 2005 durchgeführten Intensivschulungen insbesondere für Industrieunternehmen zur Vergasung und die veranstalteten internationalen Konferenzen zu IGCC- und XtL-Technologien jeweils mit sehr guter Resonanz. Darüber hinaus wurde unlängst die Informationsplattform „Energierohstoff-Forschungsnetzwerk“ ins Leben gerufen.
Die Vergasungsforschung an der TU Bergakademie erhält neue Impulse durch zwei Forschungszentren, mit denen sich das Institut in den Jahren 2008 und 2009 in den Neuen Ländern im Exzellenzwettbewerb durchsetzen konnte. Es handelt sich dabei um das Zentrum für Innovationskompetenz „Virtuhcon“ und das Zentrum für Spitzenforschung und Innovation „Deutsches Energierohstoff-Zentrum – Technologien für das Nacherdöl-Zeitalter“, beide initiiert und finanziert durch das BMBF sowie unter finanzieller Beteiligung des Landes Sachsen und der Industrie.
Vortrag am 12.6.2009
Jan C. Simon (Leipzig), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse:
Dr. med., Professor für Dermatologie, Venerologie und Allergologie und Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Universitätsklinikums an der Universität Leipzig; am 8. Februar 2008 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Immunabwehr und Immunmodulation bei Hauterkrankungen, Photodermatologie, Transplantationsdermatologie, Interdisziplinäre Allergologi.
Umwelt und Gesundheit – Allergie
Die Einflüsse von Umweltfaktoren auf unsere Gesundheit werden aktuell intensiv diskutiert. Organe, die direkt mit der Umwelt in Kontakt stehen, sind die Haut, die Atemwege und der Verdauungstrakt. Gerade die Haut als Grenzfläche zwischen „Innen“ und „Außen“ wird wesentlich von Umweltfaktoren beeinflusst. Forschungen der letzten 15 Jahre haben ergeben, dass die Haut nicht nur eine passive Schutzhülle ist, sondern auch vielfältige Immunfunktionen besitzt. Die Haut ist sozusagen der „Wachposten des Immunsystems gegenüber der Außenwelt“. Im Vortrag soll die faszinierende Immunfunktion der Haut dargestellt werden, die einerseits unseren Organismus vor schädlichen Außeneinflüssen schützen kann, andererseits aber auch die Ursache für eine Reihe von Zivilisationskrankheiten darstellt. Besonders eingegangen werden soll auf die Volkskrankheit Allergie, die in ihrer Häufigkeit in den letzten 20 Jahren dramatisch zugenommen hat. Diese Zunahme von Allergien kann nicht nur durch erbliche Faktoren bedingt sein; Umweltfaktoren wird hier ein entscheidender Beitrag zugemessen. Abschließend sollen aktuelle eigene Forschungsergebnisse erstmals öffentlich präsentiert werden, in denen gezeigt wird, dass bestimmte Innenraumschadstoffe die Entstehung von Allergien begünstigen. Da zahlreiche Menschen in unserer Industriegesellschaft einen Großteil ihres Tages in Innenräumen zubringen, erlangen diese Daten eine signifikante Bedeutung für die Allergieentstehung.
Vortrag am 8.5.2009
Karl Peschel (Jena), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse:
Dr. phil., em. Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; am 11. März 1994 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Siedlungsgeschichte im sächsisch-thüringischen Raum 500 v. bis 500 n. Chr., Kelten- und Germanenforschung.
Der mitteldeutsche Raum im 3.–5. Jh. n. Chr. und die Thüringer
Dem Vortrag liegen archäologische und literarische Quellen zu Grunde. Ihre Kombination läßt zwei sich ablösende Linien erkennen, die – jede auf ihre Weise – zu Thüringern hinführen. Miteinander sind diese durch Zeugnisse der materiellen Kultur lose verbunden. Der Kern des älteren Abschnitts fällt in die Jahre von 250 bis nach 300, der jüngere Abschnitt erstreckt sich von etwa 350 an über ein Jahrhundert. Die Zeit des Thüringer Königreichs, dessen historisch bekannte Wirksamkeit um 500 einsetzt, ist nicht mehr Gegenstand des Vortrags. Die Kultur des 3. Jh. an Saale, Unstrut und Werra stellt mit der Hinwendung zu Elbe und Havel – bei Bewahrung alter weser-rhein-germanischer Tradition – ein allmählich sich wandelndes Kontinuum dar. Archäologisch heben sich Kleinräume ab, deren Bewohner auf Grund gemeinsamer Merkmale eine vergleichbare Gliederung aufweisen. Aussagefähig sind Grablegen mit abgestuften, mitunter sehr reichen Ausstattungen. Sie umgeben das Harzgebiet auf seiner östlichen Seite. Wahrscheinlich ist das Bestehen einer Pagus-Struktur mit jeweils örtlicher Spitze. Der Wandel zu einer gesellschaftlich veränderten Ordnung geht mit einem Wechsel der Führungsschicht überein. Wie wir nach Vorgängen bei Alamannen und Franken erwarten dürfen, gehört zu diesem Prozeß die Herausbildung neuer Namen. Innere Gliederung ist mit Abgrenzung verbunden und mag dem Namen nach außen Gewicht verschafft haben. Die Oberschicht unterscheidet sich im Erscheinungsbild von den Nachbarn genügend deutlich, und das wird auch die Festigung des Namens begünstigt haben: nach linguistischer Deutung „die Wagenden, die Mutigen".
Ein Einschnitt fällt in die Mitte des 4. Jh. Die vorherige Struktur zerfällt; zwischen Saale und mittlerer Elbe tritt eine einfachere an ihre Stelle. Auch dieses Gefüge ist zwar im Lande verankert, da man östlich des Harzes – im Gegensatz zu einem Besiedlungsschwund im westlichen Thüringen – nur von Lockerung der alten Verhältnisse sprechen kann. Auffällig aber erscheint ein Einfluß von Osten und Südosten. „Thoringi" werden in den siebziger Jahren des 5. Jh. an der Donau aktiv; sie überfallen die Stadt Passau, nachdem sie um 454, wie andere germanische Völkerschaften, die Vorherrschaft der Hunnen abgeschüttelt hatten. Thüringer stellen fortan die nördliche Gruppe im neu entstehenden Horizont der Reihengräber zwischen Karpatenbecken und Oberrhein. Im Verlauf des 5. Jh. formiert sich der thüringische Adel und ein Stammeskönigtum entsteht. Um 500 wird der „stirps regia", dem königlichen Geschlecht, ausdrücklich Geblütstradition bekundet. Die Königssippe pflegt Verbindungen zu Langobarden, Ostgoten, Warnen und Herulern, den im mittleren Donauraum agierenden germanischen Völkerschaften der Zeit. Dorthin orientiert sich die Führungsschicht. Ihre Grundlage hat sie östlich vom Harz, wo Wurzeln der Besiedlung über Gräberfelder in Großörner bei Mansfeld, Wulfen bei Köthen und Stößen bei Naumburg zurückverfolgt werden können. Entlang der Saale, sodann unstrutaufwärts bildet sich nach Ausweis der Reihengräberfelder eine Einheit von Personenverband und Territorium heraus. Mit den Thüringen der Zeit um 300 und ihren Kleinherrschaften hat das Stammeskönigtum der Thüringer 200 Jahre später nicht viel mehr als den Namen gemeinsam.
Vortrag am 8.5.2009
Svante Pääbo (Leipzig), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse: entfällt, dafür
Joachim Oelsner (Jena-Leipzig), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse: Vortrag vom 9.1.2009
Festvortrag zur Öffentlichen Frühjahrssitzung am 17.4.2009
Peter Offermann (Dresden), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse:
Dr.-Ing., Professor i.R. für Textiltechnik an der Technischen Universität Dresden; am 12. Februar 1999 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Textile Bewehrungen im Betonbau – Grundlagenforschung und Anwendungen
Der Vortrag spannt den Bogen vom Beginn grundlegender Forschungsarbeiten an der TU Dresden in den frühen 90iger Jahren bis zur Gegenwart. Die Überlegung, dass textile Gitterstrukturen aus Hochleistungsfäden zur bautechnischen Verstärkung völlig neue Möglichkeiten im Bauwesen eröffnen könnten, war der Ausgangspunkt für das heutige große Forschungsnetzwerk. Der Autor berichtet von den experimentellen Anfängen, aus denen sich die wissenschaftlichen Fragestellungen für den DFG-Sonderforschungsbereich „Textile Bewehrungen zur bautechnischen Verstärkung und Instandsetzung" ergaben. Exemplarisch wird an anschaulichen Beispielen der lange Weg der Grundlagenforschung zu dem neuartigen Verbundwerkstoff und dessen hervorragenden Wirkungen in Tragwerkkonstruktionen bis zu gesicherten Erkenntnissen beschrieben. Als Novum wird über parallel zur Forschung mit den erforderlichen Zustimmungen im Einzelfall umgesetzten Anwendungen – wie die beiden weltweit ersten Textilbetonbrücken und die Ertüchtigung von Schalenbauwerken mit dünnsten Textilbetonschichten – berichtet. Der Vortrag schließt mit einem Abriss zu noch offenen wissenschaftlich – technischen Fragestellungen und dem Ausblick auf die gemeinsam mit Unternehmen festgelegte Strategie einer wirtschaftlichen Umsetzung.
Vortrag am 13.3.2009
Udo Ebert (Jena), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse:
Dr. iur. habil., em. Professor für Strafrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; am 9. Februar 2001 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Strafrecht Allgemeiner Teil, Strafrechtsgeschichte, Römisches Recht und dessen Rezeption.
Die „Banalität des Bösen“ – Herausforderung für das Strafrecht
Adolf Eichmann war ein Massenmörder; als Organisator der Judendeportationen im Rahmen der sog. „Endlösung“ schickte er Millionen von Juden in den Tod. Das blutdürstige Ungeheuer und perverse Scheusal, als das die Jerusalemer Anklage ihn sehen wollte, war Eichmann indessen nicht. Er war ein normaler, durchschnittlicher Mensch von geradezu auffallender Unauffälligkeit. Seine Tatmotive waren weder Mordlust noch fanatischer Judenhass, sondern, neben Karrierestreben, unbedingter Befehlsgehorsam, Gesetzestreue und ein an Kants kategorischem Imperativ (so wie er ihn verstand) orientiertes Pflichtbewusstsein. Eichmann handelte mit gutem Gewissen. Dem von ihm bewerkstelligten Bösen fehlte, was nach herkömmlicher Anschauung das Böse erst zum (moralisch) Bösen macht: der böse Wille. Mit dem Fehlen dieses subjektiven Elements, mit der „Banalität“ des Bösen (Hannah Arendt), ist Auschwitz zum „Sinnbild für das zeitgenössische Böse“ (Susan Neiman) geworden; zum Sinnbild somit auch für jene neueren und gegenwärtigen Massenverbrechen in aller Welt, zu deren strafrechtlicher Ahndung vor einigen Jahren der Ständige Internationale Strafgerichtshof errichtet worden ist.
Wie aber ist strafrechtliche Ahndung von Taten möglich, die jene subjektiven Faktoren, an welche herkömmlich nicht nur moralische, sondern auch strafrechtliche Verantwortlichkeit anknüpft – deliktischen Willen, böse Absicht, Unrechtsbewusstsein –, vermissen lassen? Wenn Hannah Arendt meinte, im Falle Eichmanns habe angesichts der Ungeheuerlichkeit des Verbrechens schon die objektive Tat als solche die Todesstrafe zu rechtfertigen vermocht, so verkannte sie andererseits nicht, dass einer solchen Ansicht letztlich archaische Vorstellungen zugrundeliegen (wonach „die Erde selbst nach Vergeltung schreit“) und dass das Erfordernis individueller subjektiver Schuld zu den unhintergehbaren und unverzichtbaren Errungenschaften moderner Strafrechtskultur gehört.
Der Vortrag stellt dar, wie in totalitären Systemen ideologisch begründete Rechtfertigungen und Neutralisierungen der Taten, Entpersönlichungen der Opfer sowie Umkehrungen normativer Regel-Ausnahme-Verhältnisse die Einsicht in das Unrecht selbst schwerster Verbrechen behindern. Er stellt weiter dar, wie auch das andere Element strafrechtlicher Schuld, die Fähigkeit, gemäß vorhandener Unrechtseinsicht zu handeln, in totalitären Strukturen durch verschiedene Faktoren gemindert wird: durch Mechanismen von Autorität und Gehorsam, durch Verselbständigung von Rollen, durch gruppendynamisch begründete Erscheinungen wie Anpassung, Hemmungsabbau und Handlungsdruck. Im Anschluss an diese kriminologischen Feststellungen wird die juristische Frage gestellt, ob und in welchem Sinne angesichts derartiger Befunde der einzelne Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Da strafrechtliche Sanktionierung ohne Schuld für den Rechtsstaat nicht in Betracht kommt, verbleiben drei Möglichkeiten: partielle bzw. totale Exkulpation des Täters mit den entsprechenden sanktionsrechtlichen Konsequenzen, Vermeidung der Exkulpation mit Hilfe neuer Schuldkonzepte oder der Versuch, dem traditionellen Schuldbegriff Potential für eine akzeptable Lösung der in Rede stehenden Fälle abzugewinnen. Der Vortrag plädiert für die letztgenannte Möglichkeit. Davon ausgehend, dass zum einen Verbrechensursachen nicht per se Verantwortungszuschreibung hindern und dass zum anderen den externen kollektiven Faktoren Persönlichkeitsanteile wie individuelle Dispositionen, Tendenzen und Spielräume gegenüberstehen, soll gezeigt werden, dass eine normative Komponente, die auch dem traditionellen psychologischen Schuldbegriff nicht fremd ist, so aktiviert werden kann, dass sie vorschnellen Exkulpationen entgegensteht.
Vortrag am 13.3.2009
Thomas Bley (Dresden), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse:
Dr. rer. nat. habil., Professor für Bioverfahrenstechnik an der Technischen Universität Dresden; am 8. Februar 2002 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt
Arbeitsgebiete: Biomonitoring und Biosignale (Flow Cytometry), Modellierung und Steuerung von Bioprozessen, Biokatalyse in heterogenen Systemen, Weiße Biotechnologie, Pflanzenzellen in Bioreaktoren.
Welchen Beitrag kann die Biotechnologie zur Energieversorgung in der Zukunft leisten?
Die Biomasse von Pflanzen war über einen langen historischen Zeitraum die Grundlage der Energieversorgung, sei es das Holz zum Heizen und Kochen oder Hafer und Heu als „Treibstoff“ für die Pferde. Erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert haben Kohle und später auch Erdöl und Erdgas diese Funktion übernommen.
Mit dem Erschöpfen der fossilen Ressourcen und der im Wesentlichen durch CO2 verursachten Erderwärmung wird die energetische Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen wieder interessant. Wir sprechen nun von Bioenergie, die aus Biomasse erzeugt werden kann. Prognosen gehen davon aus, daß 2030 etwa 20% des Energiebedarfs in Deutschland durch Bioenergie gedeckt werden können.
Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist es interessant zu fragen, welches Potential die Biotechnologie hat, die Wertigkeit der Bioenergie durch eine mikrobielle Stoffwandlung zu erhöhen? Unter höherwertiger Energie sollen solche Energieformen verstanden werden, die sich gut speichern und transportieren lassen und insbesondere auch als Treibstoffe eingesetzt werden können. Auch der ökologische Wert im Sinne der Vermeidung von CO2-Ausstoß soll in Betracht gezogen werden.
Energieträger, die nach dieser Definition durch eine biotechnische Energieumwandlung erzeugt werden können, sind demnach offensichtlich: Biogas (BioMethan), Biowasserstoff, Bioethanol und -butanol, sowie Elektrizität aus mikrobiellen Brennstoffzellen. Eine wichtige Rolle kann die Biotechnologie beim Aufschluß von Pflanzenmaterial in Form der enzymatischen Hydrolyse spielen. Auch die Vermehrung von Zellen (Algen) in biotechnischen Systemen zur Treibstoffsynthese ist nach dieser Definition eine biotechnische Energieumwandlung.
Es wird gezeigt, dass die biotechnische Umwandlung von Biomasse in Ethanol (und das gilt vermutlich auch für die Treibstoffe der zweiten Generation) in Mitteleuropa nicht wirtschaftlich durchgeführt werden kann. In tropischen Ländern, die über große Flächenreserven verfügen, kann Bioethanol aber durchaus einen nennenswerten Beitrag zur Versorgung mit Treibstoffen leisten.
Biomethan (Biogas) ist eine echte Alternative. Die gegenwärtig vorrangig betriebene Umwandlung in elektrische Energie in Blockheizkraftwerken ist sicher nicht der ökonomisch und ökologisch beste Weg, da die Prozeßwärme häufig noch nicht effizient genutzt werden kann. Biogas kann aber ohne große Probleme als Erdgassubstitut oder als Treibstoff genutzt werden. Für den Transport von Biogas steht eine geeignete Infrastruktur zur Verfügung und Biogas kann gut – viel besser als Elektroenergie – gespeichert werden. Für die Biomethanherstellung kann eine Vielzahl unterschiedlicher Ausgangsstoffe eingesetzt werden, die zeitlich und räumlich in sehr veränderlichen Mengen anfallen.
Bioverfahrenstechnische Forschung und Entwicklung ist nötig, um dafür kompakte Minianlagen zu entwickeln, in denen dezentral alle verfügbaren Abfall- und Reststoffe durch eine biotechnologische Umwandlung einer energetischen Nutzung zugeführt werden können. Das gilt besonders für eine geschickte Kombination von verschiedenen verfahrenstechnische Grundoperationen für eine schnelle und vollständige Hydrolyse der Lignozellulosen für die Gewinnung von monomeren Zuckern, die von Mikroorganismen verwertet werden können.
Wasserstoff als Energieträger der Zukunft hat interessante Perspektiven. Da aber die offenen Fragen zur Speicherung und Distribution des Wasserstoffs noch nicht annähernd gelöst sind, sollten keine kurzfristigen Hoffnungen in eine biotechnische Wasserstoffproduktion gelegt werden. Langfristig ist aber keineswegs entschieden, ob die Wasserzerlegung mit Solarstrom oder eine biotechnische Wasserstoffproduktion mit Mikroorganismen das wirtschaftlichere und Ressourcen schonendere Verfahren ist. Dabei sollten keine allzu großen Erwartungen an neu konstruierte Mikroorganismen (Designer Bugs) oder biotechnisch in ihrer Leistungsfähigkeit gesteigerte Biokatalysatoren (Synzyme) geweckt werden. Viel entscheidender wird sein, technische Systeme und Verfahren zu entwickeln, in denen die Leistungsfähigkeit mikrobieller Systeme wirtschaftlich genutzt werden kann.
Algen eignen sich zur Synthese von Lipiden, die als Biodiesel genutzt werden können. Ihre Biotrockenmasse kann bis zu 70% davon enthalten. Algen sind aber auch geeignet, biotechnisch Wasserstoff herzustellen. Und nicht zuletzt kann mit Algen CO2 aus anthropogenen Quellen sequestriert werden. Die Techniken dazu sind natürlich noch nicht ausgereift, in vielen Fällen noch nicht einmal erdacht oder in den Grundlagen entwickelt. Aber sind sie wirklich exotischer, unrealistischer als andere breit diskutierte und in der Entwicklung öffentlich geförderte Verfahren zur CO2-Vermeidung? Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg bei der Übertragung neuer Techniken vom Labor in den industriellen Maßstab ist die Entwicklung neuer Bioreaktoren und Verfahren mit einer leistungsfähigen Meß- und Regelungstechnik.
Die Technikwissenschaften sind gefragt und werden gebraucht, um das Potential der biotechnologischen Energieumwandlung in Deutschland und der Welt nutzbar zu machen und einen wichtigen Beitrag zu einer umweltverträglichen nachhaltigen Energieversorgung zu erbringen.
Vortrag am 13.2.2009
Jochen Stark (Weimar), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse: (Vortrag wegen Krankheit ausgefallen)
Dr.-Ing. habil., Professor für Baustoffkunde an der Bauhaus-Universität Weimar; am 13. Februar 2004 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Schnittstelle Zement/Zementchemie, betontechnische Eigenschaften/Dauerhaftigkeit von Beton, Zementchemie/Zementhydratation, Grundlagenarbeiten zur späten Ettringitbildung und zum Frost-Tausalz- Widerstand von Beton, Hüttenzemente, Betoneigenschaften, Mörtel für historische Bauwerke, Injektionstechnik, Beton für Straßenbau, Gutachtertätigkeit Bauwesen, insbesondere Beton.
Ursachen der Schäden an den Betondecken von Autobahnen
In jüngster Zeit gab es verschiedentlich in der Presse Mitteilungen und Berichte, in denen mit reißerisch aufgemachten Überschriften wie „Säurealarm auf Autobahnen” auf Schadensfälle an deutschen Autobahnen aufmerksam gemacht wurde. Tatsache ist, dass schon seit Jahren Fahrbahndecken aus Beton teilweise schon wenige Jahre nach ihrer Herstellung beträchtliche Schäden aufweisen und aufwändig repariert oder erneuert werden müssen. Kein speziell deutsches, sondern ein weltweites Problem. Ursache dieser Schäden ist u.a. eine chemische Reaktion zwischen unterschiedlichen Formen der Kieselsäure aus Gesteinskörnungen (Zuschlagstoffen) und den Alkalihydroxiden der Porenlösung des Betons. Diese Reaktion wird als Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) bezeichnet. Das bei dieser Reaktion entstehende Alkali-Kieselsäure-Gel wirkt durch Volumenvergrößerung infolge Wasseraufnahme treibend und kann zu Betonschäden bis hin zur Zerstörung des Betons führen. Schäden infolge dieser Reaktion sind schon seit fast 100 Jahren bekannt und die Ursachen, die zu Betonschäden als Folge der AKR führen, sind heute im Wesentlichen bekannt.
In Deutschland wurde 1974 auf der Grundlage umfangreicher Untersuchungen eine Richtlinie mit Maßnahmen gegen schädigende Alkalireaktionen im Beton (Alkalirichtlinie) erarbeitet, die bis heute mehrfach überarbeitet und ergänzt wurde. Als AKR-auslösend gelten alle amorphen, kryptokristallinen (< 1 µm) und gittergestörten SiO2-Minerale innerhalb von Gesteinskörnungen. Ein verhältnismäßig neues Problem ist das der so genannten slow/late-Gesteine, bei denen es sich um Gesteine für Betonzuschlagstoffe handelt, die sehr langsam und oft erst nach einem sehr langen Zeitraum reagieren. Dazu gehören u.a. Rhyolithe (Quarzporphyre), Grauwacken, Granite und Quarzite, die häufig in den unterschiedlichen Lagerstätten Deutschlands vorkommen und als Betonzuschlagstoffe Verwendung finden. Die Alkalireaktivität dieser Gesteinskörnungen im Voraus richtig zu erkennen und einzuschätzen ist eine vordringliche Aufgabe. Das F.A. Finger-Institut für Baustoffkunde an der Bauhaus-Universität in Weimar besitzt seit vielen Jahren Erfahrungen bei dieser Aufgabe. Zur kurzfristigen Beurteilung wird dazu eine Kombination aus einem so genannten Mörtel-Schnelltest und umfangreichen petrographisch/mineralogischen Untersuchungen angewandt. Zur zuverlässigen Beurteilung eines AKR-Schädigungspotentials für bestimmte Projekte vorgesehene Betone (z.B. für Betonfahrbahnen) wird ein am F.A. Finger-Institut neu entwickeltes Performance-Prüfverfahren mittels einer speziellen Klimawechsellagerung angewandt, das durch röntgenographische und mikroskopische Untersuchungen unterstützt wird.
Vortrag am 13.2.2009
Hans-Joachim Knölker (Dresden), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse:
Dr. rer nat. habil., Professor für Organische Chemie an der Technischen Universität Dresden; am 10. März 2006 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsgebiete: Entwicklung neuer Methoden für die Organische Synthese, Metallorganische Chemie, Naturstoffchemie, Medizinische Chemie.
Membranaktive Wirkstoffe – in möglicher Weg zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit
Die Alzheimer-Krankheit ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, bei der die Funktionsfähigkeit von Nervenzellen zunehmend verloren geht. Betroffene Patienten verlieren ihr Erinnerungs- und Orientierungsvermögen. Derzeit gibt es keine erfolgreiche Behandlung dieser Krankheit. In einer Kooperation mit der Firma JADO Technologies GmbH (Dresden) sowie dem Dresdner Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik haben wir einen neuartigen Ansatz entwickelt. Charakteristisch für die Alzheimer-Krankheit sind flächenhafte Amyloid-Ablagerungen im Gehirn, so genannte Plaques. Diese Ablagerungen entstehen, wenn das Membranprotein APP (β-Amyloid-Precursor-Protein) von dem Enzym β-Sekretase (BACE1) gespalten wird. Genau an diesem Punkt haben wir angesetzt: Eine möglichst effiziente Inhibierung (Hemmung) der β-Sekretase sollte zu einer wirksamen Behandlung der Alzheimer-Krankheit führen oder zumindest eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufs bewirken. Die APP-Spaltung findet nur dann statt, wenn APP und die β-Sekretase zuvor von der Zellmembran in die Zelle eingeschleust werden. Dies geschieht über Endozytose – der gleiche Prozess, über den die Zellen auch Nährstoffe aufnehmen.
Quelle: http://www.alzheimer-forschung.de
Das Enzym β-Sekretase ist in floßartig umher schwimmenden Strukturdomänen der Zellmembran, den sogenannten lipid rafts, verankert. Demensprechend findet die Spaltung von APP durch β-Sekretase ausschließlich in den lipid rafts statt. Basierend auf diesen Erkenntnissen synthetisierten wir einen lipophil modifizierten β-Sekretase-Inhibitor. Dieser modifizierte Wirkstoff kann durch Anbindung an die lipid rafts direkt zum Wirkungsort in der Zelle, wo die β-Sekretase aktiv ist, transportiert werden. Erste Experimente haben gezeigt, dass diese spezifischen Inhibitoren um ein Vielfaches effektiver sind als die nicht lipophil-modifizierten Inhibitoren – und dies sowohl in Zellkulturen als auch in lebenden Organismen. In einem Tiermodell, in dem die Alzheimer-Krankheit simuliert wurde, konnte der neuartige Inhibitor die Bildung von β-Amyloid in nur vier Stunden auf die Hälfte reduzieren, während der bekannte Inhibitor keinerlei Wirkung zeigte. (Science 2008, 320, 520)
Vortrag am 9.1.2009
Harald Krautscheid (Leipzig), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse:
Dr. rer. nat., Professor für Anorganische Chemie an der Universität Leipzig; am 9. Februar 2007 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Aktuelle Arbeitsgebiete: Festkörperchemie, molekulare Precursorverbindungen, Cluster und polynukleare Verbindungen, Komplexverbindungen schwerer Hauptgruppenelemente, Koordinationspolymere; Synthese und Handhabung luftempfindlicher Materialien, Röntgenstrukturanalyse.
MOFs – Synthese, Strukturen, Eigenschaften
Als „Metal Organic Frameworks” (MOFs) wird eine neue Klasse von chemischen Verbindungen bezeichnet, die Metallionen enthalten, die von organischen Molekülen verbrückt werden. Dabei verknüpfen diese mehrfach funktionellen Liganden als „Linker” die Metallionen oder kleine Cluster als „Knotenpunkte” zu polymeren Netzwerken. Die so aufgebauten anorganisch-organischen Hybridmaterialien entstehen durch Selbstorganisation als schwerlösliche Feststoffe. Obwohl diese Verbindungen auch bei früher durchgeführten Reaktionen (eher unbeabsichtigt) entstanden sind, werden sie erst seit etwa zehn Jahren eingehend untersucht. Durch die große Anzahl verschiedener Metallionen und die große Palette an Linker-Molekülen ist eine nahezu unbegrenzte Vielfalt an MOFs denkbar, deren Eigenschaften naturgemäß von der Zusammensetzung, aber auch von der Struktur des Netzwerkes abhängen.
Charakteristisch für MOFs ist deren poröse Struktur und ihre große innere Oberfläche. Diese strukturellen Eigenschaften bewirken – ähnlich wie bei den Zeolithen – interessante Materialeigenschaften, die vielfältige Anwendungen erwarten lassen: In den Poren können Gasmoleküle (z.B. Wasserstoff, Methan, Propan, Kohlendioxid) adsorbiert werden. Dadurch können Gase unter vergleichsweise geringem Druck gespeichert werden. Durch unterschiedliche Adsorptionseigenschaften können Gasgemische mit Hilfe von MOFs getrennt werden, Gase gereinigt werden. Wenn sich durch die Adsorption die physikalischen Eigenschaften, beispielsweise die Farbe oder Lumineszenz, ändern, können MOFs als empfindliche Sensoren verwendet werden. Interessante Anwendungen werden bei katalysierten Reaktionen erwartet, die innerhalb der Poren ablaufen, vor allem bei der Synthese chiraler Verbindungen. Bereits berichtet wurde über Wirkstoffspeicherung in MOFs und die kontrollierte Wirkstofffreisetzung bei pharmazeutischen Anwendungen. Durch die Wahl der Metallionen und durch Modifikation der Linker-Moleküle sollte es möglich sein, die Eigenschaften des MOFs für den jeweiligen Verwendungszweck zu optimieren.
Als typisches Beispiel sei MOF-5 [Zn4O{O2C-C6H4-CO2}3] genannt, das in seiner kubischen Struktur einen Hohlraumanteil von etwa 60% und eine ähnlich große innere Oberfläche wie Aktivkohle aufweist (Abbildung 1).
Abb. 1: Ausschnitt aus der Kristallstruktur von MOF-5, [Zn4O{O2C-C6H4-CO2}3]. Die grauen Tetraeder symbolisieren die Zn4O6+-Knotenpunkte, die durch Terephthalat-Anionen verknüpft werden [H. Li, M. Eddaoudi, M. O'Keeffe, O. M. Yaghi, Nature 1999, 402, 276].
Vortrag am 9.1.2009
Joachim Oelsner (Jena-Leipzig), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse: (Vortrag am 9.1.2009 wegen Krankheit ausgefallen, gehalten am 8.5.2009)
Dr. phil. habil., Professor i.R. für Altorientalistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; am 16. April 1993 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Sprachen, Geschichte und Kultur der Länder Vorderasiens im Altertum (Schwerpunkte: Erschließung von Keilschrifttexten, Wirtschaft und Gesellschaft Mesopotamiens mit besonderer Betonung der hellenistischen Periode), Semitistik.
Sächsische Akademie der Wissenschaften und Erforschung des Vorderen Orients
Seit ihrer Gründung im Jahre 1846 zählt die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu ihren Mitgliedern prominente Forscher verschiedener Fachdisziplinen, die sich mit der wissenschaftlichen Erschließung der Länder des Vorderen Orients (Naher Osten, heute auch als „Westasien” bezeichnet) befassen (Altorientalistik bzw. Assyriologie, altorientalische Rechtsgeschichte oder Keilschriftrecht, alttestamentliche Wissenschaft, Semitistik, Arabistik, Islamwissenschaft und andere; die Ägyptologie, die an anderer Stelle dargestellt worden ist, wird im Vortrag nicht berücksichtigt). Die Forschungen der Mitglieder oder von ihnen vorgelegte Arbeiten wurden in den Akademieschriften veröffentlicht (Abhandlungen bzw. Sitzungsberichte). Im Unterschied zu den meisten der anderen deutschen Akademien der Wissenschaften gibt es in der SAW keine Orientalischen Kommissionen oder Forschungsstellen.
Anläßlich des 150. Jahrestages der Akademie erschien der Sammelband „Wege und Fortschritte der Wissenschaft” (Berlin 1996). Darin war auch ein Beitrag zum Vorderen Orient geplant, den der Vortragende damals infolge anderer Verpflichtungen nicht fertigstellen konnte. Die heutigen Ausführungen sind als Einlösung dieser Schuld gedacht.
Nach inhaltlicher Bestimmung des zu untersuchenden Bereichs (räumliche Abgrenzung, Charakterisierung und zeitliche Bestimmung der Quellen, inhaltliche und terminologische Abgrenzung der einzelnen Bereiche der „Orientalistik”) wird ein Überblick über die Leistungen von Akademiemitgliedern für die Entwicklung der Fachdisziplinen sowie der Charakter der in der Akademie vorgelegten Beiträge des Vorderen Orients gegeben.
Die Mehrzahl der in Sachsen (Leipzig) und Thüringen (Jena), seit 1948 auch in Sachsen-Anhalt (Halle/S.), tätigen Fachvertreter wurde zu Mitgliedern der SAW gewählt, beginnend mit Heinrich Leberecht Fleischer, eine die deutsche sowie die internationale Wissenschaft bestimmende Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts im Bereich der Arabistik/Islamwissenschaft, zugleich langjähriger Sekretär der Philologisch-historischen Klasse. Daneben stehen – um nur einige Namen zu nennen – mit vergleichbarer Ausrichtung u.a. Albert Socin, August Fischer, Carl Brockelmann, Johann Fück, Hans Stumme, ferner die Alttestamentler Albrecht Alt, Otto Eißfeldt, Rudolf Meyer, die Altorientalisten Eberhard Schrader (zugleich Alttestamentler), Friedrich Delitzsch, Heinrich Zimmern, Johannes Friedrich, Benno Landsberger, als Keilschriftrechtshistoriker Paul Koschaker und Herbert Petschow. Aus praktischen Gründen wird in zwei Abschnitte gegliedert: Forschungen zu Mittelalter und Neuzeit des Vorderen Orients einerseits und zum Altertum, d.h. dem Alten Orient, andererseits.
Bedenkt man, daß die Überlieferungen aus der Region alle menschlichen Lebensbereiche umfassen – in vergangenen Perioden greifbar durch schriftliche Überlieferungen bzw. Überreste der materiellen oder künstlerischen Kultur –, dann wird deutlich, daß auch von Vertretern von Wissenschaftsdisziplinen, die nicht unter die – Orientalistik – gerechnet werden, z.B. Religionswissenschaftlern oder Wissenschaftshistorikern, Arbeiten zum vorgestellten Bereich beigesteuert werden können und auch wurden, auch aus der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse. Daran wird erkennbar, daß bei der Erforschung des Vorderen Orients eine interdisziplinäre Sicht der Probleme einen wichtigen Faktor bildet, der im Bewußtsein der Forscher schon seit langem verankert ist.
Inhaltlich sind in den Schriften der SAW zu finden: Textpublikationen bzw. -bearbeitungen, grammatische und lexikalische Studien, allgemein historische sowie im weitesten Sinne kulturhistorische Untersuchungen und anderes.