Plenarvorträge 2011

Vortrag am 9.12.2011
Hartmut Worch (Dresden), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse

Dr.-Ing. habil, Professor i. R. für Werkstoffwissenschaft und Biomaterialien am Institut für Werkstoffwissenschaft, Max-Bergmann-Zentrum für Biomaterialien an der Technischen Universität Dresden; am 9. Januar 1998 zum Ordentlichen Mitglied gewählt; Sekretar der Technikwissenschaftlichen Klasse.
Forschungsschwerpunkte: Werkstoffentwicklungen und Funktionalisierungen von Oberflächen für Anwendungen in der Medizin und der Technik, Eisabweisende Beschichtungen

 

Materialentwicklungen für den osteoporotischen Knochen

Frakturen des osteoporotischen Knochens, wie etwa am Oberschenkelhals, sind deshalb so gefürchtet, weil ihre Heilung deutlich verlangsamt ist oder auch ganz unterbleibt und bei Implantaten gehäuft Versagen auftritt. Die primäre Osteoporose (Knochenschwund) tritt in der zweiten Lebenshälfte des Menschen durch den Rückgang von Östrogenen und Androgenen, durch verminderte körperliche Aktivität, häufigere relative Mangelernährung bezüglich Vitamin D und Calcium sowie geringere Lichtexposition auf. Zum negativen Nettoeffekt tragen auch Nierenschädigungen bei, die zum Beispiel durch Diabetes oder Arteriosklerose hervorgerufen werden können. Angesichts vielfältiger Einflussfaktoren erhebt sich die Frage, welchen Beitrag die Materialwissenschaft zur Heilung osteoporotischer Frakturen leisten kann. Der Stand der gegenwärtigen Forschung verdeutlicht, dass die Osteoporose im Kern die Folge einer verminderten Anzahl von kolonieformenden Stammzellen ist. Sowohl ihre Rekrutierung als auch ihre Migration sind gestört, ihre Mechanosensitivität ist vermindert und frühzeitig wirken auch autoinhibitorische Proteine mit. Biomaterialentwicklungen müssen dieser Situation Rechnung tragen. Dazu sind völlig neue Herangehensweisen notwendig, die vom Molekül bis zum Biomaterial (Nanometer bis zum Zentimetermaßstab) reichen. Einige ausgewählte Beispiele aus dem DFG-Transregio 79 (Werkstoffe für die Geweberegeneration im systemisch erkrankten Knochen) und dem DFG-Transregio 67 (Funktionelle Biomaterialien zur Steuerung von Heilungsprozessen in Knochen- und Hautgewebe – vom Material zur Klinik) werden vorgestellt.

 

Vortrag am 9.12.2011
Horst Kunz (Mainz), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse

Dr. rer. nat., Professor für Organische und Bioorganische Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; am 9. Januar 1998 zum Korrespondierenden Mitglied gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Synthese von Glycopeptiden, Oligosacchariden und Neoglycoproteinen von biologischem Interesse, Festphasensynthese, Stereoselective Synthese

 

Auf dem Weg zu Antitumor-Impfstoffen durch chemische Synthese

Tumorzellen unterscheiden sich stark von normalen Zellen der weichen Organe in ihren Glycoproteinen auf den äußeren Zellmembranen. Die Nutzung dieser Unterschiede zu einem gezielten immunologischen Angriff auf Tumorzellen mit Hilfe von aus Tumorgewebe isolierten Glycoproteinen, Verbindungen aus Kohlenhydrat- und Eiweißbestandteilen, scheiterte bisher an der Strukturvielfalt der natürlich gebildeten Glycoproteine. Durch chemische Synthese gelingt es uns heute, typische Glycoprotein-Strukturelemente aufzubauen, die praktisch nur auf den Epitheltumorzellen vorkommen. Die Herausforderung ist nun: Können wir aus diesen synthetischen Glycoprotein-Teilstrukturen Impfstoffe, gewinnen, durch die im Organismus eine selektiv gegen Tumorzellen gerichtete Immunantwort ausgelöst wird? Kann man eine so starke Immunantwort auslösen, dass die natürliche Toleranz des Immunsystems gegen körpereigene Strukturen durchbrochen wird? Kann die Immunantwort so ausgerichtet werden, dass die Tumorzellen durch die induzierten Antikörper nicht nur markiert, sondern auch durch das Immunsystem zerstört werden. Erreicht man diese Ziele, so würde eine neue Form der Tumortherapie, eine Aktiv-Immunisierung von Patienten gegen ihr eigenes Tumorgewebe ermöglicht.

 

Vortrag am 11.11.2011
Harald Krautscheid, (Leipzig) Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse

Dr. rer. nat., Professor für Anorganische Chemie an der Universität Leipzig; am 9. Februar 2007 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Festkörperchemie, molekulare Precursorverbindungen, Cluster und polynukleare Verbindungen, Koordinationspolymere (MOFs); Synthese und Handhabung luftempfindlicher Materialien, Röntgenstrukturanalyse

 

Poröse Koordinationspolymere – Aufbau und Eigenschaften

Koordinationspolymere sind Komplexverbindungen, in denen Metallionen durch verbrückende Liganden zu unendlichen Ketten oder zwei- bzw. dreidimensionalen Netzwerken verknüpft werden. Durch geeignete Wahl der Kombination aus Metallionen und Brückenliganden lassen sich nach dem Prinzip der Selbstorganisation dreidimensionale, poröse Netzwerke erzeugen, die in kristalliner Form vorliegen und damit eine regelmäßige Struktur aufweisen. Röntgenbeugungsuntersuchungen an Einkristallen liefern einerseits detaillierte Strukturinformation über das Netzwerk, lassen andererseits auch eine Abschätzung der Porosität und der zum Teil extrem großen inneren Oberfläche (z.T. einige 1000 m2/g) zu.

Von großem Interesse sind poröse Koordinationspolymere ("Metal-Organic Frameworks", MOFs), die chemisch und thermisch stabil sind, so dass sie für auf der Porosität beruhende, technische Anwendungen wie Gasspeicherung, Trennung von Gasgemischen, in der Sensorik oder Katalyse eingesetzt werden können. An ausgewählten Netzwerkverbindungen aus der eigenen Arbeitsgruppe sollen Synthese, Kristallstrukturen, Eigenschaften und Überlegungen zu potentiellen Anwendungen vorgestellt werden. Beispielsweise kann die Verbindung [Cu(L)] (siehe Abbildung 1; L = 5-(3-Methyl-5-(pyridin-4-yl)-1,2,4-triazol-4-yl)isophthalat) nicht nur in Form von Einkristallen, sondern auch in größeren Mengen in mikrokristalliner Form erhalten werden; sie adsorbiert nach geeigneter Aktivierung (Extraktion und Trocknung im Vakuum) bereits bei 0 °C und Atmosphärendruck 40 Massen-% CO2 und bei 77 K und Atmosphärendruck 3,1 Massen-% Wasserstoff. Nach unserem Kenntnisstand existiert bisher kein anderes poröses Material mit höherer Speicherdichte.

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Abb. 1: Ausschnitt aus der Kristallstruktur von [Cu(L)] mit Wasserstoff-Adsorptionsisotherme bei 77 K; bei Atmosphärendruck (1 bar) werden 3,1 Massen-% H2 aufgenommen.

 

Vortrag am 11.11.2011
Hellmut Flashar (München) Mitglied der Philologisch-historischen Klasse

Dr. phil., em. Professor für Klassische Philologie an der Universität München; am 16. April 1993 zum Korrespondierenden Mitglied gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Griechische Philosophie (besonders Aristoteles), Antikes Drama und dessen Rezeption auf der Bühne, Antike Medizin, Wissenschaftsgeschichte.

 

Die Akademie Platons

Für das Selbstverständnis einer Akademie der Wissenschaften mag eine Rückbesinnung auf die erste Akademie, die diesen Namen trägt, die Akademie Platons, sinnvoll sein.

Erörtert wird zunächst, welche Gründe Platon dazu bewogen haben, eine Akademie zu gründen, welche Ziele und Absichten er damit verbunden hat.

Sodann wird dargelegt, was in den vierzig Jahren (387–347 v. Chr.) geschah, in denen Platon die Akademie geleitet hat. Wie war das Leben in der Akademie? Was bedeutet die Akademie für die Entwicklung von Philosophie und Wissenschaft?

Gab es politische Aktivitäten? Was geschah in den zwanzig Jahren (367–347 v. Chr.), in denen Aristoteles Mitglied der platonischen Akademie war? Sodann wird das Schicksal der Akademie nach Platons Tod kurz charakterisiert und schließlich angedeutet, ob die Akademien der Wissenschaft heute noch Irgendetwas mit der platonischen Akademie verbindet.

 

Vortrag am 14.10.2011
Kai Brodersen (Erfurt), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse

Dr. phil., Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und deren Präsident; am 12. Februar 2010 zum Ordentlichen Mitglied gewählt.
Schwerpunkte: Forschungen zur griechischen und römischen Historiographie und Geographie, zu antiken Inschriften, Orakeln und Wundertexten, zur Wirtschafts- und Wirkungsgeschichte der Antike - und ein Buch für Kinder


Die Sieben Weltwunder – Antike Zeugnisse und modernes Bildungswissen

Was sind die Sieben Weltwunder der Antike? Die Pyramiden von Memphis, die Mauern von Babylon, die Hängenden Gärten, die Zeus-Statue von Olympia, das Mausoleum von Halikarnassos, der Artemis-Tempel von Ephesos, der Koloss von Rhodos, der Pharos von Alexandreia – aber dies sind bereits acht als Weltwunder angesehen Bau- und Kunstwerke.

In dem Vortrag soll zunächst anhand der seit der Antike überlieferten Weltwunderlisten, die im Vortrag präsentiert werden, der Frage nachgegangen werden, was man in der Antike zu den Weltwundern gezählt hat, welche Gründe dafür maßgeblich waren, wie sich die Wunderlisten veränderten und wie die christliche Spätantike und das Mittelalter mit diesem Bildungsgut umgingen, das ja nichtchristliche Wunder (Tempel, Götterstatuen) umfasste. Da bis auf die Pyramiden keines der Weltwunder erhalten ist, soll schließlich gefragt werden, woher Gebildete bis heute “wissen”, wie die Sieben Weltwunder der Antike aussahen.

 

Vortrag am 14.10.2011
Klaus Drechsler (Augsburg), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse

Dr.-Ing., Professor für Carbon Composites an der Technischen Universität München; am 12. Februar 2010 zum Korrespondierenden Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsgebiete: Werkstofftechnologie, Fertigungstechnik und Bauweisen für Hochleistungs-Faserverbundwerkstoffe


Carbon Composites – der Werkstoff der Zukunft?

Faserverstärkte Kunststoffe mit belastungsgerechter Carbonfaserverstärkung (CFK) zeichnen sich durch ein überragendes Leichtbaupotential aus. 25% Gewichtseinsparung gegenüber Aluminium und 60% gegenüber Stahl wurden in vielen Anwendungsbeispielen nachgewiesen.

Im Flugzeugbau und bei Nischenfahrzeugen kommt CFK daher schon seit vielen Jahren zum Einsatz. Bei den in diesen Anwendungsbereichen kleinen Stückzahlen sind auch die vergleichsweise geringen Werkzeugkosten von großem Vorteil.

Die Hauptmotivation für den Einsatz von FVK besteht jedoch neben dem Gewichtseinsparpotential auch in den guten Fatigue-Eigenschaften, der geometrischen Gestaltungsfreiheit im Zusammenspiel mit einem hohen Integrationsgrad, den Möglichkeitenzur Funktionsintegration sowie der Korrosionsbeständigkeit.
Eine Nutzung dieses Potentials z.B. im Großserienautomobilbau scheitert bisher vor allem an den hohen Werkstoff- und Fertigungskosten sowie den viel zu langen Zykluszeiten. Ein wichtiges Ziel besteht daher darin, die bisher durch große manuelle Arbeitsanteile geprägte Fertigung zu automatisieren. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist jedoch auch, dass die gesamte Entwicklungs- und Prozesskette auf die besonderen Belange der Faserverbundwerkstoffe ausgerichtet ist. Dies beginnt beim optimalen Strukturkonzept und endet bei der Qualitätssicherung und dem Recycling.

Durch eine konsequente Umsetzung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse in die industrielle Fertigung ist der Einsatz von Hochleistungsfaserverbundwerkstoffen im Großserienfahrzeugbau in greifbare Nähe gerückt. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund weiter steigender Systemgewichte durch Hybrid- und Elektroantriebe von großer Bedeutung. Gerade die Elektrofahrzeuge bieten ein sehr interessantes Einstiegsszenario für CFK, da sie völlig neue, faserverbundgerechte Strukturkonzepte ermöglichen.

Der Vortrag fasst den Stand der Anwendungen im Flugzeugbau, im Automobilbau und in der Windenergie zusammen und beschreibt die aktuellen Forschungsthemen in den Bereichen Werkstofftechnologie, Strukturmechanik, Bauweisen und Prozesstechnik. Auf dieser Basis erfolgt eine Diskussion des Zukunftspotentials sowie des weiteren Forschungs- und Entwicklungsbedarfs.

 

Vortrag am 10.06.2011
Jochen Stark (Weimar), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse

Prof. Dr.-Ing. habil., Prof. h.c. mult., Dr.-Ing. e.h., Bauhaus-Universität Weimar, F. A. Finger-Institut für Baustoffkunde, am 13. Februar 2004 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsgebiete: Zementchemie, Dauerhaftigkeit von Beton

 

Alkalikieselsäure-Reaktion

Unter dem Begriff Alkali-Kieselsäure-Reaktion, abgekürzt AKR, versteht man die Reaktion von SiO2 in seinen verschiedenen Varianten aus den Gesteinskörnungen im Beton mit den Alkalien aus dem Zement und aus den als Taumittel eingesetzten Enteisungsmitteln NaCl im Straßenverkehr bzw. den Na- und K-acetaten und formiaten auf den Flughäfen. Dabei bildet sich ein Alkalisilicatgel, das bei Einbau von Calcium ein quellfähiges Gel bildet. Das führt nach mehreren Jahren zur Rissbildung im Beton.

In die so gebildeten Risse dringt dann verstärkt Taumittel ein, wodurch die Reaktion beschleunigt wird.

Alle Bemühungen, aus dem Zustand der Quarzkristalle auf die Alkaliempfindlichkeit der Gesteinskörnungen zu schließen, waren bisher wenig erfolgreich. Auch Schnelltests an Mörtelprismen mit erhöhten Temperaturen in hochalkalischen Lösungen erlauben nur eine grobe Einstufung der Gesteine. Erfolgreich wird gegenwärtig die sogenannte Performance-Prüfung angewandt, bei der der vorgesehene Beton einer Klimawechsellagerung und einer Alkalizufuhr von außen ausgesetzt wird. Damit kann in einem Prüfzeitraum von ca. vier Monaten das Langzeitverhalten des Betons prognostiziert werden.

Stark, J., Wicht, B.: Dauerhaftigkeit von Beton Birkhäuser Verlag Basel 2001
Stark, J. et al: Alkali-Kieselsäure-Reaktion Schriftenreihe des F. A. Finger-Institutes 2008

 

Vortrag am 10.06.2011
Stefan Jurga (Poznań), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse

Dr. rer. nat. habil., Dr. h.c., Ordentlicher Professor für Makromolekulare Physik und Resonanzspektroskopie, Fakultät für Physik der Adam-Mickiewicz-Universität (UAM) Poznań, Direktor des Interdisziplinären Zentrums „NanoBioMedizin“ der UAM, Rektor der UAM von 1996 bis 2002; am 14. Februar 2003 zum Korrespondierenden Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsgebiete: Dynamik, Struktur und molekulare Diffusion in makro-molekularen Systemen. Phasenübergänge und Relaxationsprozesse in Festkörpern, Flüssigkeiten und in weicher Materie. Untersuchungen mittels Kernspinresonanz, dielektrischer Spektroskopie, Infrarot-Spektroskopie, Rheologie, Röntgenkleinwinkelstreuung (SAXS), Differential-Scanning-Kalorimetrie (DSC). Anwendung von Monte Carlo-Methoden zum Studium der molekularen Dynamik

 

Structure and Dynamics of Polymer Systems as Studied by NMR and Complementary Methods

Polymer science research is focused on macromolecules with different topologies and chemical structures. Compounds built from several monomer species show complex dynamical properties. It is a challenging task in polymer science to relate structure and dynamics of a polymeric system. In this talk I will discuss structure and dynamics of flexible polymer networks with arbitrary architecture using NMR, Dielectric and Mechanical Relaxations, as well as DSC, XRD and FTIR techniques. Application of these various methods makes possible to characterize the structure and dynamics of polymers in a wide frequency and temperature range.

As the first example a block copolymer, the poly(styrene-b-isoprene) diblock copolymers (SI) will be discussed (1). The immiscible polystyrene (PS) and polyisoprene (PI) systems exhibit the ability to self-organize by phase separation. We studied diblock copolymer (SI) nearly symmetric in composition, comprising PS and PI chain blocks of a different molecular weights. With NMR and dielectric methods we were able to analyse the dynamics of a SI copolymer and its neat components as well as different relaxation processes. Additionally, the size of PS domains could be estimated by NMR spin-diffusion technique.

The second example is referring to linear and modified (grafted) PDMS. With NMR, dielectric, mechanical relaxations and DSC techniques, the effect of random incorporation of different type of side chains on the PDMS backbone, its structure and molecular relaxations will be presented. It was found that grafted PDMS have semicrystalline morphology, in which the crystalline part is formed by an arrangement of long side chains (2).

Finally, molecular dynamics and crystallization processes of star polymers with mixed arms – miktoarms – made of poly(butyl acrylate) (PBA) and poly(ethylene oxide) (PEO) arms connected to one core, of different molar ratios of PBA/PEO, and of linear homopolymers, as well as with star homopolymers of PEO and PBE will be discussed.

1. Jenczyk J, Makrocka-Rydzyk M, Wypych A, Głowinkowski S, Jurga S, Radosz M, The phase structure and molecular dynamics in poly(styrene-b-isoprene) diblock copolymer, JOURNAL OF NON-CRYSTALLINE SOLIDS 356: 582–588, 2010
2. Jancelewicz M, Nowaczyk G, Makrocka-Rydzyk M, Wypych A, Fojud Z, Jurga S, Maciejewski H, Molecular dynamics in grafted polydimethylsiloxanes, JOURNAL OF NON-CRYSTALLINE SOLIDS 356, 669–675, 2010

 

Vortrag am 13.05.2011
Eike Brunner (Dresden), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse

Dr. rer. nat., Professor für Bioanalytische Chemie an der Technischen Universität Dresden, am 12. Februar 2010 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsgebiete: Biomineralisation, NMR-spektroskopische Untersuchungen an Proteinen sowie Metall-Organischen Gerüstverbindungen (MOFs)

 

Silikatbiomineralisation bei Diatomeen

Biomineralisationsphänomene, d.h. die Bildung anorganischer Materialien durch biologische Prozesse, finden derzeit großes Interesse. Einerseits ist die Biomineralisation medizinisch wichtig, zum Beispiel im Hinblick auf Knochen- oder Zahnersatz. Andererseits sind Biomineralien auch aus materialwissenschaftlicher Sicht sehr interessant. Die biochemischen und biophysikalischen Prozesse, welche ihrer Entstehung zugrunde liegen, können möglicherweise zu neuen und umweltschonenden Syntheseverfahren für technisch relevante Materialien führen.

Diatomeen sind wichtige Modellorganismen für das Studium der Biomineralisation, weil sie außerordentlich filigrane, hierarchisch strukturierte Zellwände aus Biosilikat besitzen (s. Abbildung 1) und zudem leicht im Labor gezüchtet sowie inzwischen auch genetisch manipuliert werden können. Diatomeen sind wesentliche Bestandteile des Phytoplanktons. Weltweit existieren etwa 200.000 verschiedene Diatomeenspezies, sowohl im Salzwasser als auch im Süßwasser. Man nimmt an, dass Diatomeen für mindestens ein Viertel der Biomasse-Primärproduktion in den Weltmeeren verantwortlich sind.

Abbildung 1: REM-Aufnahmen einer extrahierten, gereinigten Zellwand der Spezies Stephanopyxis turris [Kammer et al. 2010].

Diatomeenzellwände sind ein komplexes Hybridmaterial, das aus amorphem Siliziumdioxid sowie organischen Komponenten mit Spezies-spezifischer Zusammensetzung besteht. Diese silikathaltigen Zellwände werden aus Kieselsäure gebildet, die in natürlichen Gewässern in geringer Konzentration vorhanden ist (in den Ozeanen im Mittel etwa 70 mM). Die Kieselsäure wird von den Diatomeen aktiv durch spezielle Proteine aufgenommen und zur Zellwandbiosynthese in ein hochspezialisiertes Kompartiment, das sogenannte SDV (silica deposition vesicle) transportiert. Das SDV ist also gewissermaßen der „Silikatsynthesereaktor“ im Inneren der Zelle, dessen Beobachtung kompliziert aber besonders interessant ist. Das gegenwärtige Verständnis der dort ablaufenden Silikatsyntheseprozesse und die Funktion der dabei aktiven Biomoleküle sind Gegenstand des Vortrages. Brunner, E. et al. (2009) Angew. Chem. Int. Ed. 48, 9724–9727. Sumper, M. & Brunner, E. (2008) ChemBioChem 9, 1187–1194. Kammer, M. et al. (2010) Anal. Bioanal. Chem. 398, 509–517.

 

Vortrag am 13.05.2011
Uwe Schirmer (Jena), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse

Dr. phil. habil., Professor für Thüringische Landesgeschichte am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena; am 12. Februar 2010 zum Ordentlichen Mitglied gewählt; Vorsitzender der Historischen Kommission.
Hauptarbeitsgebiete: Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des mitteldeutschen Raumes vom Spätmittelalter bis in die frühe Neuzeit


Der Formationsprozess landständischer Verfassung im spätmittelalterlichen Thüringen

Die Herausbildung, Entwicklung und Entfaltung landständischer Verfassung gehört untrennbar zur Geschichte der politischen Mitbestimmung, denn aller Herrschaft in Alteuropa war genossenschaftliche Mitsprache inhärent. Zentrale Foren politischer Diskussion waren die Gerichts- und Hoftage, späterhin Hofgerichte sowie der Herrscherhof selbst. Jenseits des Lehns¬wesens bestanden zwischen den Herrschaftsträgern soziale und verfassungsrechtliche Bindungen, die mittels Freundschaft, Verwandtschaft und/oder das Dienstrecht konstituiert waren. Bereits im Sachsenspiegel weist Eike von Repgow auf diese Zusammenhänge hin; explizit erwähnt er die Landstände (lant gemeine). Die Stände definierten sich als „Land“ bzw. „Landschaft“. Diese Begriffe beschrieben keine geographischen oder kulturlandschaftlichen Sachverhalte, sondern in erster Linie die soziale und regionale Zugehörigkeit zu einer Genossenschaft von Freien, deren Herrschaft durch ein gemeinsames Rechtsverständnis begründet und normiert ist. Die Landschaft war somit eine Rechts- und Friedensgemeinschaft, die ein konkretes Landrecht einte. Fix- und Orientierungspunkt der Stände war im Reich der König, in den Territorien schließlich jene Dynastie, der es gelang, erfolgreich Landesherrschaft aufzubauen bzw. zu verwirklichen.

Im 14. und 15. Jahrhundert gelang es den Landgrafen von Thüringen, Mark¬grafen von Meißen sowie späteren Kurfürsten von Sachsen aus dem Haus Wettin durchaus erfolgreich, Landesherrschaft zwischen Creuzburg und Radeberg sowie Wittenberg und Coburg aufzubauen. Es ist umstritten, ob dieser Prozess infolge dynastischer Teilungen (1263/65, 1382, 1410, 1445, 1485) verzögert wurde. Gesichert scheint indessen, dass die dynastischen Teilungen den landständischen Formationsprozess nicht forciert haben. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts bestanden eigenständige, obgleich noch nicht institutionalisierte landständische Sozialformationen in Thüringen, Sachsen (sc. Kurkreis), Meißen, dem Osterland sowie teilweise in Franken (Coburger Pflege) und im Vogtland. Die Stände unterteilten sich in die Kurien Grafen, Herren, Prälaten; Ritterschaft (Landadel) und in die Städte. Auf den Landtagen erörterten die Landesherren einerseits sowie die Stände anderseits alle relevanten Probleme des Landes bzw. des Territoriums. Die Landstände Sachsens, Meißens sowie teilweise aus Franken und dem Osterland haben sich auf dem Landtag zu Leipzig (1438) vereint. Dieser Landtag sowie die Zusammenkunft der thüringischen Stände zu Weißensee (1446) sind leidlich erforscht. Der landständische Formationsprozess in Thüringen, insbesondere zwischen 1446 und 1482 ist ein Desiderat der Forschung. Die Diskussionen und der Verlauf der Landtage zu Gotha (1457) und Weißensee (1462), des thüringischen Städtetages zu Roßla (1471) sowie der Zusammenkünfte (Tage) zu Weißensee (1472), Coburg (1472) und Weimar (1481) sind Grundlage und Gegenstand des Vortrags.

Es wird zu zeigen sein, dass die Landtagsverhandlungen zunehmend formalisiert wurden. Nach dem Verlesen der Proposition durch den Fürsten präsentierten die Stände ihre Forderungen und Gravamina in einer Präliminarschrift, die der Fürst mit der Resolution erwiderte. Die Resolution war rechtsverbindlich. In ihr sicherte der Fürst die Beseitigung der in den Gravamina angeführten Missstände zu. Damit besaßen die Stände eine pragmatische Handhabe, um auf die Abstellung der vorgetragenen Mängel zu drängen. Da eine erfolgreiche Umsetzung während der Zeit des Landtages jedoch kaum möglich war und auch sonst Zeit und Geduld benötigt wurden, um verschiedene Übelstände abzustellen, verzögerten sich so manche ungelösten Probleme. Allerdings enthielt die Resolution feste Zusagen, so dass die Stände spätestens auf dem nächsten Landtag bereits erörterte Angelegenheiten ansprachen und die erfolgreiche Umsetzung der vorangegangenen Resolutionen anmahnten; andernfalls drohten sie, Vorgaben des Landesherrn nicht mit umzusetzen. Auf diese Weise haben die Stände nicht nur politischen Druck ausgeübt, sondern sie griffen aktiv und gestaltend in alle Sphären landesherrlicher Innenpolitik ein.

 

Festvortrag zur Öffentlichen Frühjahrssitzung am 15. 04. 2011
Klaus Manger (Jena), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse

Dr. phil., Professor für Neuere deutsche Literatur an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Präsident der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt; am 14. Februar 2003 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.

 

Goethes Künstlerdrama

Wofür ist eigentlich im Unterschied zum Experten der Künstler, der Dichter zuständig? Der junge Goethe feiert die Künstlerrebellen, die sich gegen verkrustete Verhältnisse stemmen. Doch daneben wird auch schon ihre poetische Sendung deutlich, ohne daß ihnen eine bestimmte Funktion zugewiesen würde. „Des Künstlers Erdewallen“ oder „Vergötterung“, insbesondere der Rebell Prometheus oder ein Publizist wie Clavigo scheinen jedoch nur Vorbereitung zu sein, wenn man Goethes „Torquato Tasso“ in den Blick nimmt. Dieses Künstlerdrama, das eigentlich trotz Goldoni o.a. wirklich das erste der Weltliteratur ist, weil es den an den historischen Tasso (1544–1595) angelehnten Stoff offensichtlich mit einer kunst- und künstlerspezifischen Aussage verbindet, verlangt nach besonderer Würdigung. Eines der handlungsärmsten Stücke von betörend schöner Sprache, dessen Hintergründe, Anregungen, Quellen vielfach behandelt und ausgebreitet sind, verlangt jedoch hinsichtlich der Frage, worin sich Experte und Künstler unterscheiden, eine Neubetrachtung. Der Urtasso in Prosa muß als verloren gelten. Die Betrachtung des Künstlerdramas orientiert sich deshalb an jener Gestalt, die Goethe nach der Entstehung zwischen 1780 und 1789, also u.a. in Italien, dem Schauspiel gegeben hat. Seine Vers- und Sprachbehandlung stehen im Vordergrund. Was haben sich jene fünf Personen in der arkadischen Umgebung des Lustschlosses Belriguardo zu sagen? Inwieweit darf man annehmen, daß sie in dem, was sie sich gegenseitig in den schönsten Versen, die Goethe für die Bühne poliert hat, sagen, sich auch verstehen? Schließlich geht es um die Frage, inwieweit ein Dichter sich zur Politikberatung eignet. Oder anders gefaßt: wie sehr ist ein Dichter, scheinbarer Bewohner zweier Welten, von seinem Werk eingenommen, in seine Arbeit versunken? Und wie sehr ist er wacher Zeitgenosse? Goethe macht sich mit einer Doppelkompetenz in Empirie und Fiktion an sein Drama. So bleibt es eine herausfordernde Frage, was der Dichter und Politiker tatsächlich gestaltet hat und welche Funktion darin dem Dichter und Künstler zukommt.

 

Vortrag am 11.03.2011
Karlheinz Blaschke (Dresden), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse

Dr. phil., Professor i.R. für Sächsische Landesgeschichte und Geschichte der frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden; am 8. Februar 1991 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
In der Nachfolge meines akademischen Lehrers Rudolf Kötzschke (1867–1949) und in der Tradition der Begründer der Sächsischen Landesgeschichte, des Geographen Friedrich Ratzel und des Historikers Karl Lamprecht, sehe ich Geschichte in ihren geographischen Dimensionen. Sie wird in der Erfahrung des Raumes von unten ausgehend aufgebaut, worin sich gesellschaftliche Tatsachen und Bewegungen ausdrücken. Die Vermittlung geschichtlichen Wissens erfordert die Karte als Medium bildlicher Information. Historischer Atlas von Sachsen als Akademie-Vorhaben 1992 bis 2010 (50 Blätter). Kursächsischer Ämteratlas, 2009 mit Uwe Ullrich Jäschke. Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen. 1957; Neubearbeitung 2006. Geschichte Sachsens im Mittelalter, 1990. Sachsen im Zeitalter der Reformation, 1967.

 

Dresden und Leipzig – Sachsens beide Hauptstädte im geschichtlichen Vergleich

Im Spannungsfeld zwischen dem Kleinsten und dem Größten, zwischen der historischen Biographie und der Weltgeschichte, nimmt die Landesgeschichte eine Mittelstellung ein. Sie gründet sich „von unten" auf quellengesättigte Sachkenntnis und öffnet sich „nach oben" Zusammenfassungen und theoretischen Konzeptionen. Aus einer seit 60 Jahren laufenden Arbeit an der sächsischen Landesgeschichte haben sich auf einer „diachronischen" Entwicklungslinie Beobachtungen über die Bedeutung der beiden führenden Städte des Landes ergeben, an denen sich beispielhaft wesentliche Tatsachen und Entwicklungen festmachen lassen.

Dieser Blick auf die Landesgeschichte ist neu. Er geht auf das allgemeine Problem der Hauptstadt und das Verhältnis von Mittelpunkt und Fläche in der Gesamtleistung einer geschichtlichen Einheit ein. In grober Vereinfachung steht Leipzig für „Geld und Geist", Dresden für „Macht und Pracht", womit vier auffallende Erscheinungsformen und Wirkungskräfte sächsischer Geschichte ausgedrückt werden. Die beiden „Hauptstädte" sind in den Voraussetzungen und Triebkräften für ihre geschichtliche Wirkung zu untersuchen und in ihrem jeweiligen Anteil an der Gesamtleistung des Landes Sachsen darzustellen. Das betrifft auch ihren unterschiedlichen Anteil an der Wirtschaftsgeschichte und die Sitzorte der Bildungseinrichtungen, ebenso wie die dezentralisierten Standorte öffentlicher Machtausübung. Im Gegensatz zur „normalen" Konzentration staatlichen und gesellschaftlichen Handelns und zum Kult der Hauptstadt herrschte in Sachsen seit der Ausbildung eines staatlichen Gefüges im ausgehenden Mittelalter eine Verteilung der Standorte, die sich wohltuend von der rüden Konzentration der Kräfte (Preußen, Frankreich) unterschied und sich im eher ausgeglichenen Aufbau des öffentlichen Lebens als eine für Sachsen typische Erscheinung äußerte.

 

Vortrag am 11.03.2011
Günter Höhne (Ilmenau), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse

Dr.-Ing. habil., Professor für Konstruktionstechnik i. R. an der Fakultät für Maschinenbau der TU Ilmenau, Institut für Maschinen- und Gerätekonstruktion, am 9. Januar 1998 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt. Hauptarbeitsgebiete: Grundlagen der Konstruktion, Konstruktionsmethoden, rechnerunterstütztes Konstruieren, Konstruktion von Produkten der Präzisionstechnik.

 

Die digitale Mechanismen- und Getriebebibliothek – DMG-Lib

Mechanismen sind unverzichtbare Bestandteile technischer Produkte, deren Funktion durch mechanische Bewegungen charakterisiert ist. Sie benötigt man in zahlreichen Industriebranchen, aber auch in der Medizin, im Haushalt, bei der Freizeitbetätigung und anderen Bereichen.

Nach den überlieferten Erkenntnissen aus der Antike und des Mittelalters begann Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in Deutschland die systematische Untersuchung von Mechanismen und Getrieben. Die Notwendigkeit hierfür ergab sich aus dem großen Forschungs- und Lehrbedarf, der vor dem wirtschaftlichen Hintergrund des schnell wachsenden deutschen Maschinenbaus entstand.

Besonders hervorzuheben sind die theoretischen Überlegungen und praxisnahen Arbeiten des deutschen Ingenieurs F. Reuleaux, der mehr als 1000 Getriebeanordnungen ausführlich beschrieb sowie eine international bekannte Sammlung von über 800 Funktionsmodellen aufbaute.

Das vorhandene, umfangreiche getriebetechnische Wissen steht der Öffentlichkeit nur stark eingeschränkt und örtlich weit verstreut zur Verfügung. Es entspricht auch nicht den heutigen Anforderungen an eine schnelle Informationsgewinnung. Die zugängliche Fachliteratur (Fachbücher, Fachzeitschriften, Getriebeatlanten, Fachaufsätze etc.) genügt in Inhalt, Umfang und Medium nur noch selten heutigen Ansprüchen. Sehr alte, einzigartige, in nur wenigen Ausgaben vorhandene und der Öffentlichkeit nicht zugängliche Wissensbestände müssen erschlossen, digital aufbereitet und zusammengeführt werden. Hinzu kommt ein immer größer werdender Druck seitens der Industrie und von Forschungseinrichtungen, auf Kenntnisse über Mechanismen und Getriebe in ihrer gesamten Breite internetbasiert zugreifen zu können, da ausgewiesene Getriebeexperten nicht mehr ausgebildet werden und somit die Anfragen an die entsprechenden Fachgebiete der Hochschulen und Universitäten nicht mehr im vollen Umfang bedient werden können.

Die Bewahrung des erreichten Wissenstandes und der didaktischen Erfahrungen bei der Wissensvermittlung auf dem Gebiet der Mechanismen- und Getriebetechnik ist von sehr großer Bedeutung, da, wie sich in den letzten Jahren zeigte, die Gefahr groß ist, dass mit dem Ausscheiden von Professoren dieses Wissen verloren geht. Zudem werden durch Sparmaßnahmen Lehrstühle mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammengelegt. Als Folge gehen häufig didaktisch wertvolle Lehrmaterialien verloren.

Ein Ausweg ist die Sammlung und Veröffentlichung von Wissensbeständen und Lehrmaterialien auf einer geeigneten Internet-Plattform. Das Ziel der digitalen Bibliothek DMG-Lib besteht in der Sammlung, Bewahrung, Systematisierung, Vernetzung und geeigneten Präsentation des umfangreichen Wissens über Mechanismen und Getriebe. Die Quellen der DMG-Lib sind sehr umfangreich und verschiedenartig. Sie umfassen Funktionsmodelle, Getriebekataloge, technische Reporte, Forschungsberichte, Fachbücher, Fachaufsätze, Videos, Fotos etc. Diese Originalquellen werden beschafft, digitalisiert und in geeignete Formate konvertiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten im Bereich digitaler Bibliotheken, die lediglich die digitalen Rohdaten zugänglich machen, erfolgt hier eine sachgerechte Aufbereitung und Anreicherung der digitalen Rohdaten mit Zusatzinformationen wie beispielsweise verbalen Beschreibungen, animierten Abbildungen oder constraint-basierten Modellen. Somit lassen sich Bewegungsvorgänge der Mechanismen erkennen und weitergehende Simulationen sowie Analysen vornehmen.

Die in körperlicher Form als Unikate in großer Zahl existierenden Funktionsmodelle, die der Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht zugänglich sind, sollen als computerunterstützte Funktionsmodelle zur Verfügung gestellt werden.

Für die Recherche bietet die DMG-Lib neben den üblichen Funktionen einer Suchmaschine die funktions- und strukturorientierte Suche nach Mechanismen sowie weitere Hilfen zur Problemlösung beim Entwurf von Mechanismen und Getrieben an. Wissenschaftler dieses Gebietes sind mit ihren Lebensläufen und wichtigen Publikationen erfasst. Das von Spezialisten der Medienproduktion und Informatik gestaltete nutzerfreundliche Portal bietet auch einen virtuellen Rundgang in der Getriebesammlung. Ein interaktiver Zeitstrahl visualisiert die Entwicklungsgeschichte des Fachgebietes mit Bezug zu den historisch bedeutenden Persönlichkeiten sowie zu den wegweisenden Erfindungen und bietet ebenso Zugang zu den in der Bibliothek vorhandenen Inhalten. Links zu den aktuell tätigen Getriebe-Lehrstühlen eröffnen weitere Quellen für Forschung und Lehre.

Der Vortrag berichtet an Beispielen über Inhalt, Aufbau und Erfahrungen mit dieser Bibliothek, die sich einordnet in die Bemühungen zur Entwicklung eines Internets der Dienste. Die IFToMM (International Federation for the Promotion of Mechanism and Machine Science) unterstützt die DMG-Lib. In einem EU-Projekt werden die Bestände zurzeit in Zusammenarbeit mit vier europäischen Ländern erweitert und in die Europäische digitale Bibliothek Europeana eingebunden.

 

Vortrag am 11.02.2011 »Menschenbilder – Wurzeln, Krise, Orientierung« (veranstaltet von der Kommission „Wissenschaft und Werte“)

Heinz Penzlin (Jena), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse

Dr. rer. nat. habil., Dr. h.c., Professor i.R. für Allgemeine Zoologie und Tierphysiologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena; am 9. Oktober 1981 zum Ordentlichen Mitglied gewählt.
Forschungsgebiete: Neurobiologie und Endokrinologie der Evertebraten, Neuropeptide, Entwicklungsbiologie, theoretische und philosophische Grundlagen der Biologie, Geschichte der Biologie.


Das Rätsel Mensch

Es wird versucht, sich dem gewaltigen (unlösbaren?) Thema „Was ist der Mensch“ von drei Seiten her zu nähern: 1. von der biologischen Seite: Frage nach dem „Woher“, 2. von der anthropologischen Seite: Frage nach dem „Wer“ und 3. von der ethischen Seite: Frage nach dem „Wohin“. Während beim ersten Teilthema von fundierten Erkenntnissen aus der Molekularbiologie, Paläontologie und Zoologie ausgegangen und ein relativ genaues Bild der Entstehungsgeschichte des modernen Menschen gezeichnet werden kann, verlassen wir beim zweiten Teilthema notwendigerweise das Feld der Naturwissenschaften, die „Was-ist-Fragen“ generell meiden. Es ist auffällig, dass in der Geschichte bis auf den heutigen Tag, fast ausschließlich gefragt wir: „Was ist der Mensch?“, aber nicht: „Wer ist der Mensch?“, obwohl wir genau wissen, dass der Mensch nicht nur Gegenstand ist, sondern gleichzeitig „Person“, Wesenheit, die sich selbst in ihrem Handeln, ihren Absichten, Wünschen und Gefühlen erfährt und kritisch zu hinterfragen versteht. Entsprechend dürftig fielen die bislang gegebenen Antworten auf die Frage, was der Mensch sei, aus. Sie wurden in der Mehrzahl in plakativer Art und Weise als Substantiv Homo mit einem griffigen Adjektiv formuliert. Das „Wesen“ des Menschen liegt jedoch nicht in einzelnen Merkmalen oder Merkmalkombinationen, sondern in seiner „Persönlichkeit“ als physisch-psychisch-geistige Einheit verborgen. Auch das „Wesen des Lebens“ lässt nicht durch Aufzählung einiger seiner Leistungen, wie Stoffwechsel, Reizbarkeit, Wachstum, Reproduktion etc., definieren. Bei der Behandlung des dritten Teilthema, schließlich, kann man sich auf keine Wissenschaft und ihre Ergebnisse mehr beziehen. Es ist das moralische Handeln und die Perspektive des Menschen, die er sich selber geben muß, gefragt. Der Mensch ist immer nur das, was er aus sich selber macht – heute und in Zukunft.

Vortrag am 11.02.2011

Wolfgang Fritsche (Jena), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse

Dr. rer. nat., Professor i.R. für Technische Mikrobiologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; am 8. Februar 1991 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt; Mitglied der Strukturbezogenen Kommissionen für „Wissenschaft und Werte” und „Umweltprobleme”;
Hauptarbeitsgebiete: Ökologische Mikrobiologie, Mikrobieller Abbau von Fremdstoffen und Umweltsanierung, Ökologische Biochemie der Mikroben-Pflanzen-Wechselwirkungen, Umweltethik.


Das Menschenbild der Humanökologie – Gelingt die Entwicklung vom Homo faber zum Homo sapiens?

Warum gefährdet der Mensch, das zur Vernunft befähigte Wesen, seine natürlichen Existenzgrundlagen? Es wird versucht, aus den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur im Verlauf der kulturellen Evolution auf diese Frage eine Antwort zu finden. Die Menschwerdung ist aufs Engste mit dem Gebrauch von Werkzeugen und Waffen gekoppelt. Diese instrumentelle Auseinandersetzung mit der Natur mündet mit zunehmender Technisierung in einer immer umfassenderen Naturbeherrschung. Der mit der wissenschaftlich-technischen Revolution erreichte zivilisatorische Fortschritt ist mit Umweltbelastungen verbunden. Homo faber, dessen Wesen durch pragmatische und instrumentelle Vernunft bestimmt wird, hat die Mittel perfektioniert, ohne zu hinterfragen, ob auch die Zwecke vernünftig und sinnvoll sind. Die Umweltkrise ist im Grunde eine geistige Krise unserer Wahrnehmung von Natur und uns selbst. Unbegrenztes Wachstum führt auf einer begrenzten Erde zu sozioökonomischen und ökosystemaren Spannungen. Die gegenwärtigen Krisen bieten die Chance zur Neuorientierung auf die das Dasein bestimmenden Werte. Die Macht über die Natur sollte uns bewusst machen, was wir zu verantworten haben. Aber erst, wenn wir emotional empfinden, dass es sich bei der Natur um ein sensibles Lebensgefüge handelt, in das wir eingebunden sind, werden wir angemessen handeln. Ein charakteristisches Merkmal des Homo sapiens ist die Selbsterkenntnis. Es gilt zu erkennen, dass den materiellen Bedürfnissen Grenzen gesetzt sind, nicht jedoch den geistigen, kulturellen und sozialen Aktivitäten.

 

Vortrag am 11.02.2011

Dr. rer. pol., Professor für VWL, insbes. Allokationstheorie, an der Technischen Universität Dresden; am 13: Februar 2004 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Grundsätzliche Fragestellungen der Allokationstheorie, Anwendungen auf verschiedene Sektoren der Wirtschaft, insbesondere Umwelt und Medizin; Analyse praxisrelevanter Problemkreise in diesen Bereichen.


Die Ökonomisierung unseres Lebens: Notwendig und unabänderlich?

Die Ökonomie hat über die gewöhnlichen wirtschaftlichen Aktivitäten hinaus viele weitere Aspekte unseres alltäglichen Lebens erfasst. Unter dem Stichwort „Ökonomisierung“ gehören dazu beispielsweise das Gesundheitssystem im Allgemeinen und die Medizin im Besonderen, verschiedene Bereiche unseres Bildungssystems, hier vor allem (aber nicht nur) die Weiterbildung, sowie die Privatisierung weiterer vormals staatlicher Aufgaben.
Wenngleich diese Ökonomisierung mit ihrer Fokussierung auf Ertrag und Kosten zu einer effizienten Ausrichtung der Wirtschaft beiträgt, was in Zeiten einer zunehmenden Globalisierung auch notwendig zu sein scheint, so hat die „Vereinnahmung“ wichtiger gesellschaftlicher Bereiche durch die Ökonomie sowie die noch stärkere Fokussierung auf ökonomische Belange im Umgang der Menschen untereinander nicht nur zu allseits erwünschten Ergebnissen geführt. Zu erwähnen sind die Auswüchse in der Führung von Unternehmen, die in Folge der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise sichtbar wurden, aber auch die gelegentlichen Diskussionen um eine „Zwei-Klassen-Medizin“ oder das Meinungsbild um die Einführung von Studiengebühren, sowie die um sich greifende Konsumorientierung.
Das Leitbild des „Homo Oeconomicus“ – ob es als „das“ heutige Menschenbild der Ökonomie zu betrachten ist, bleibt zu diskutieren – mit seinen Rationalitäts- und Eigennutzannahmen, wird für verschiedene dieser offensichtlichen Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht.
Der Beitrag soll auf diese Zusammenhänge eingehen und die dennoch nach wie vor wichtige Rolle des Homo Oeconomicus in unserer Wirtschaftswelt erläutern. Die angesprochenen problematischen Aspekte sollen thematisiert und analysiert, die Grenzen des Homo Oeconomicus offen gelegt werden.

 

Vortrag am 11.02.2011

Ulrich Kühn (Leipzig), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse


Aspekte eines christlichen Menschenbildes

Die an der Bibel orientierte christliche Tradition lässt den Menschen in einem doppelten Licht erscheinen. Einerseits wird seine Größe gerühmt, der zufolge er geradezu die Würde eines „Bildes Gottes“ hat und beauftragt ist, die nichtmenschliche Welt zu erforschen, zu gestalten und sie sich nutzbar zu machen. Auf der anderen Seite wird die Begrenztheit und Schuldhaftigkeit des Menschen unterstrichen. Der Mensch ist sterblich, Krankheit und andere Schicksalsschläge beeinträchtigen ihn. Und er hat sich in zerstörerischer Weise gegen Gott und seine Mitmenschen gewandt. Deshalb ist das Hauptthema der biblischen Botschaft die Geschichte der Errettung und Heilung des Menschen, auf die er – als „krummes Holz“ (Kant) – in seiner Erlösungsbedürftigkeit angewiesen ist. Er ist bestimmt zu neuem Leben in der Hinwendung zum Nächsten in der Liebe und zur Gemeinschaft derer, die miteinander im Kampf für das Gute unterwegs sind. Ihn erfüllt die Hoffnung auf die endgültige Erlösung, die ihm in diesem vom Tod gezeichneten Leben noch verwehrt ist, wenn sie sich auch in zeichenhafter Gestalt immer wieder andeutet.

 

Vortrag am 11.02.2011

Udo Ebert (Jena), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse

Dr. iur. habil., em. Professor für Strafrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; am 9. Februar 2001 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Strafrecht Allgemeiner Teil, Strafrechtsgeschichte, Römisches Recht und dessen Rezeption.


Das Menschenbild des Grundgesetzes

Der Mensch ist egoistisch und böse („homo homini lupus“) und doch zu verantwortungsvoller Gestaltung gemeinschaftlichen Lebens imstande („zoon politikon“); wie trägt die Verfassung des Staates diesen verschiedenen Seiten des Menschen Rechnung? Um des gedeihlichen Zusammenlebens willen müssen die Bürger bestimmte Grenzen einhalten; doch bedarf es zuweilen der Überschreitung solcher Grenzen, um Fortschritt zu erreichen und Erstarrung aufzubrechen; wie geht das Recht mit diesem Zielkonflikt um? Erziehung und Bildung liegen in der Verantwortung des Staates; inwieweit ist der Staat legitimiert, hier Ziele vorzugeben und auf einen bestimmten Menschentyp hinzuwirken, ohne totalitär zu werden? Zur Wahrung des Rechts und der Sicherheit der Bürger ist der Staat darauf angewiesen, Rechtsbrecher zur Verantwortung zu ziehen; wie soll er sich dann dazu stellen, dass die modernen Neurowissenschaften dem Menschen Willensfreiheit und damit Verantwortlichkeit absprechen? Der Staat hat der Freiheit des Individuums größtmöglichen Raum zu lassen, zugleich muss er um der Gemeinschaft willen den Einzelnen vielfachen Bindungen unterwerfen; wie ist die Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft am besten zu lösen? Mit solchen Problemen, Konflikten und Widersprüchen ist konfrontiert, wer nach dem Menschenbild des Grundgesetzes fragt.

 

Vortrag am 11.02.2011

Hannes Siegrist (Leipzig), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse

Dr. habil., Professor für Vergleichende Kulturgeschichte/Europäische Moderne am Institut für Kulturwissenschaften der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig; am 9. Februar 2007 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Arbeitsgebiete: Gesellschafts- und Kulturgeschichte Europas (18.–20. Jahrhundert).


„Autonomie“ in der Wissenschaft und Kultur

„Autonomie“ gehört zu den Leitprinzipien moderner dynamischer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaften. Der Vortrag zeigt exemplarisch und systematisch, wie in den letzten zwei Jahrhunderten das Leitbild des „autonomen Menschen“ in der Wissenschaft und Kultur konzipiert, institutionalisiert und internalisiert wird; und warum die einen das Bild und die Rolle des „autonomen Menschen“ exklusiv für ihre Berufs- und Statusgruppe reklamieren, die anderen für alle Bürger oder Menschen.
Wissenschaftliche, kulturschaffende und künstlerische Berufe regeln und begründen individuelle und kollektive Autonomieansprüche unter Bezugnahme auf Begriffe und Institutionen wie „akademischer Beruf“, “Profession“, „Berufsstand“, „Wissenschaft“, „Disziplin“, „Kunst“, „Kultur“, „kreative geistige Arbeit“, „Autorschaft“ und „geistiges Eigentum“. Diese symbolisieren und verkörpern den Anspruch, die eigenen Verhältnisse selbst zu regeln. Sie dienen dazu, Macht-, Einfluss-, Gestaltungs-, Status- und Erwerbschancen tendenziell unter dem Gesichtspunkt der Autonomie zu institutionalisieren. Zentrale und typische Aspekte davon werden früher oder später auch im Berufs-, Arbeits-, geistigen Eigentums-, Verwaltungs-, Verfassungs- und Völkerrecht abgesichert.
Institutionen wie „akademischer Beruf“, „Wissenschaft“ und „geistiges Eigentum“ regeln soziale, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zunächst unter den Gesichtspunkten der Exklusion und Hierarchisierung. Liberale und demokratische Systeme erwarten von (partiell) autonomen Gruppen indessen auch einen allgemeinen Beitrag zur Moralisierung und Integration der Gesellschaft. Unter den Bedingungen wirtschaftlicher Konkurrenz, sozialer Ungleichheit, technischer Dynamik und kultureller Spannungen wird wissenschaftlichen und künstlerischen Professionen zugemutet, aufgrund von „Wissen und Gewissen“ zwischen „Eigeninteressen und Allgemeinwohl“ zu vermitteln und zur kulturellen Inklusion aller beizutragen.
Im Vortrag werden diese Fragen anhand langfristiger historischer Kontinuitäten und Brüche sowie gegenwärtiger Herausforderungen behandelt.

 

Vortrag am 14.01.2011
Hans Wiesmeth (Leipzig), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse

Dr. rer. pol., Professor für VWL, insbes. Allokationstheorie, an der Technischen Universität Dresden; am 13: Februar 2004 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Grundsätzliche Fragestellungen der Allokationstheorie, Anwendungen auf verschiedene Sektoren der Wirtschaft, insbesondere Umwelt und Medizin; Analyse praxisrelevanter Problemkreise in diesen Bereichen.


Ökonomische Analyse von Rahmenbedingungen für technische Innovationen: Beispiele aus Deutschland (mit Dennis Häckl)

Das Innovationsgeschehen beeinflusst die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes wesentlich und ist daher von zentraler Bedeutung für die Sicherung des Wohlstands. Dies gilt umso mehr, je ärmer ein Land an natürlichen Rohstoffen ist, weshalb gerade Deutschland ein besonderes Interesse an der Invention und Diffusion neuer Produkte und Dienstleistungen haben sollte. Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage nachdenkenswert, warum das Innovationsgeschehen in Deutschland im internationalen Vergleich Defizite aufweist und inwiefern diese Situation verbessert werden kann.

Vorliegendes Papier sieht einen hohen Einfluss von staatlichen Rahmenbedingungen auf die Innovationstätigkeit am Standort Deutschland. Es geht davon aus, dass Regulierung zwar Innovationen ermöglichen kann, aber oftmals durch eine unzureichende Ausgestaltung Fehlanreize setzt und letztlich das Innovationsgeschehen deutlich bremsen oder gar behindern kann.

Besonders zukunftsträchtige Einsatzfelder für technische Innovationen liefern aktuell die Inangriffnahme grenzüberschreitender Umweltprobleme sowie die in einer alternden Gesellschaft voraussichtliche steigende Nachfrage nach medizinischen Dienstleistungen. Daher untersucht dieser Beitrag ausgewählte Beispiele für die Einführung von Innovationen in diesen Bereichen, verdeutlicht die Wirkung von Fehlanreizen und schließt mit Empfehlungen für die Ausgestaltung von Rahmenbedingungen in einem innovationsfreundlichen Umfeld.

Oftmals wird ein Zielkonflikt in der Exportorientierung und der Lösung grenzüberschreitender Umweltprobleme – wie die Reduzierung von CO2-Emissionen – gesehen. Doch gerade die Förderung erneuerbarer Energien zeigt, dass Umwelttechnologien einen Beitrag zum Erreichen von Umweltzielen leisten können und national Arbeitsplätze und somit Wachstum entstehen können. Nationale Lösungen können – insofern sie qualitativ hochwertig und wirtschaftlich zu betreiben sind – auch in Exportmärkten auf Nachfrage stoßen. Gleichwohl darf in einer globalisierten Welt nicht verachtet werden, dass derartige Stimuli über Förderinstrumente auch auf Hersteller in anderen Ländern wirken. Die Evidenz für diese Auswirkungen wird nicht zuletzt durch die gegenwärtig rückläufige Umsatzentwicklung bei deutschen Herstellern für erneuerbare Energien reflektiert. Der steigende internationale Wettbewerbsdruck wird somit spürbar. Eine nationale Abschottung gerade in Hinblick auf die Bewältigung grenzüberschreitender Umweltprobleme kann jedoch keine Lösung sein. Vielmehr sollten über eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit innovative Ideen aus Deutschland in Schwellenländern zur Marktreife gebracht werden. Somit können Lösungen auch in ärmeren Ländern zum Einsatz gebracht und gleichsam die Verbreitung derartiger Innovationen in Industriestaaten aufgrund geringerer Kosten beschleunigt werden. Dies wirkt letztlich wieder auf das Innovationsgeschehen am Standort Deutschland zurück.

Ein weiteres, zukünftig bedeutsames Innovationsfeld stellt das Gesundheitswesen dar. Auch hier sind technische Neuerungen gefragt, um die gegenwärtig sich abzeichnenden Probleme der Altersentwicklung zu bewältigen. In den nächsten Jahren wird die Finanzierung des Gesundheitswesens aufgrund der abnehmenden Zahl an Beitragsleistern und der zunehmenden Zahl an Leistungsempfängern schwieriger werden. Daher stellt sich die Frage, inwiefern durch neue Technologien Effizienzreserven erschlossen und Leistungen kosteneffizienter erbracht werden können. Eine Lösung könnte zum einen in der besseren Vernetzung der einzelnen Leistungserbringer liegen, so dass die einzelnen Sektoren während des Behandlungsablaufs besser miteinander verzahnt werden. Technische Innovationen wie die Telemedizin könnten hierbei einen wesentlichen Beitrag leisten, doch wird deren Einführung gerade durch die sektorale Abschottung erheblich behindert. Es kommt somit zu der paradoxen Situation, dass eine technische Innovation an den Rahmenbedingungen scheitert, zu deren Verbesserung sie eingesetzt werden könnte. Auch hier wird für einen grenzüberschreitenden Ansatz plädiert, auch wenn es dieses Mal organisatorisch bedingte Grenzen zwischen den einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens betrifft.

Auch für den Gesundheitsbereich gilt, dass innovative Ideen im Inland auch in das Ausland exportiert werden können. Darin könnte zum andern eine Lösung des skizzierten Problems liegen. Voraussetzung ist jedoch, dass das nationale Innovationsgeschehen nicht durch künstlich erzeugte Hürden, die durch Fehlanreize in den staatlich festgelegten Rahmenbedingungen geschaffen werden, zum Erliegen kommt.

 

Vortrag am 14.01.2011
Winfried Harzer (Dresden), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse

Dr. med., Professor für Kieferorthopädie an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden; am 9. Januar 1998 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Funktionskieferorthopädie, molekularbiologische Untersuchungen zur funktionellen Adaptation nach Dysgnathieoperation, forcierte Gaumennahterweiterung bei extremem Schmalkiefer mit dem Dresden-Distraktor, Autologe Zahntransplantation, Frühbelastung von Gaumenimplantaten (RCT).


Zum Zusammenhang von Form und Funktion – Expression embryonaler, fetaler und dysgnathiespezifischer Myosin Heavy Chain mRNA im M. masseter vor und nach Dysgnathieoperation

Bei 10-jährigen Kindern besteht eine Gebiss- und Kieferanomaliehäufigkeit von ca. 65% mit einer Behandlungsnotwendigkeit von 40% zur Verbesserung von Kaufunktion und Ästhetik. Erfolgt keine Therapie während des Wachstums, kann beim Erwachsenen eine Dysgnathieoperation notwendig werden. Die Therapie erfolgt durch eine chirurgische Vor- oder Rückverlagerung bzw. Vertikalbewegung von Ober- und Unterkiefer. Trotz weitestgehenden Belassens von Ursprung und Ansatz der Kaumuskeln kommt es durch die Verlagerung des Unterkiefers um bis zu 10 mm sagittal und/oder horizontal bzw. vertikal zur veränderten Zugspannung oder Kompression in den angreifenden Kaumuskeln, speziell des M. masseter. Die veränderten Drehmomente beim Kieferschluss durch die Verkürzung oder Verlängerung des Unterkiefers und die potentiell höhere Kaukraft durch die Zunahme okkludierender Zähne machen eine funktionelle Adaptation erforderlich. Untersuchungen zeigen zwei bis drei Jahre postoperativ in 20% bis 30% der Fälle Instabilität und Rezidive. Ursachen sind in einer gestörten Okklusion oder in der fehlenden funktionellen Anpassung der Kaumuskulatur zu suchen. Die Skelettmuskeln haben unterschiedliche Anteile von Fasertypen, welche durch die spezifische Funktion des betroffenen Muskels weitgehend genetisch determiniert sind. Unabhängig von den genetischen sowie alters- und geschlechtsspezifischen Faserproportionen ist durch Ausdauertraining eine Umwandlung von IIb/dx- über IIa in Typ-I Fasern möglich. Eine Verschiebung zwischen diesen beiden Fasertypen ist auch nach Dysgnathieoperation zu erwarten.

Die Induktion der Muskelreorganisation kann auf genetischem Weg nachgewiesen werden. Die Myosin heavy chain (MyHC) ist das für die Kontraktion entscheidende Protein in der skelettalen Muskelfaser. Die MyHCs werden kodiert durch eine Gruppe von Genen, bestehend aus den Genen IIa, IIb, IIx, extraocular, embryonal und neonatal. Diese Gene sind auf dem Chromosom 14 lokalisiert. Die β-cardiac oder Typ I Isoform, die für die Synthese des Typ I MyHC verantwortlich gemacht wird, ist auf dem Chromosom 17 lokalisiert. In Belastungssituationen führt die MyHC Expression zum Wechsel von einem Phänotyp in den anderen, wobei direkte Umwandlung, Differenzierung von Satellitenzellen als auch aus embryonalem Myosin diskutiert werden. In eigenen Untersuchungen an humanem Biopsiematerial des M. masseter konnte eine molekularbiologische Nachweismethode für die mRNA der Myosin heavy chain Isoformen als Marker für die veränderte Genexpression entwickelt werden. Die mRNA-Menge für die schweren Myosinketten können somit als Determinanten für die Faserzusammensetzungen und die beschriebene funktionelle Adaptation genutzt werden. Studien auf Protein und mRNA Ebene haben gezeigt, dass die Skelettmuskulatur von Säugern während der frühen Fetalstadien hauptsächlich embryonales und neonatales (fetales) MyHC exprimiert, welches im Laufe der Entwicklung durch adulte fast und slow Isoformen ersetzt wird. Beim Erwachsenen überwiegt im Masseter das slow Myosin, es wird aber auch, und das im Gegensatz zur Extremitätenmuskulatur, weiterhin embryonales (MYH3) und fetales Myosin(MYH8) nachgewiesen. Der Anteil liegt zwischen 1% und 4%. Der M. masseter zeigt mit dem Vorkommen von embryonalen/fetalen Typen im adulten Stadium eine verzögerte biochemische und morphologische Entwicklung. Im eigenen Pilotprojekt am M. masseter zeigte sich bei der slow zu fast Adaptation nach Dysgnathieoperation eine Reexpression von embryonalem MyHC (MYH3), wobei diese in den Gruppen mit Retrognathie und Prognathie des Unterkiefers unterschiedlich ausfällt.

Aus den beschriebenen Referenzen ergeben sich hinsichtlich der funktionellen Adaptation nach Dysgnathieoperation aber auch grundsätzlich für die muskuläre Differenzierung bei den unterschiedlichen kraniofazialen Anomalien folgende Frage- und Zielstellungen:

• Spielt embryonales und fetales MyHC sowohl qualitativ als auch quantitativ bei der Muskelregeneration und Adaptation nach Dysgnahieoperation eine Rolle?
• Hat die Quantität an embryonalem und fetalem MyHC, das individuell zwischen 1% und 4% schwankt, einen Einfluss auf die weitere Adaptation und auf die Stabilität des Therapieergebnisses?
• Prägen neben den embryonalen und fetalen Myosinen weitere genetische Faktoren sowohl qualitativ als auch quantitativ die spezifische Dysgnathie?

Genetische Differenzen der MyHC bei Erwachsenen mit Dysgnathien und der Vergleich mit dem Ausgangsniveau beim Wachsenden könnten für die Reaktionslage und die muskuläre Stabilisierung der Gebissfunktion im Sinne eines Trainingseffektes Bedeutung besitzen. (Das laufende Projekt wird von der DFG unterstützt).

Termine
Einladung: Kulturerbe Tanz in der DDR 22.01.2025 17:00 - 19:00 — Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Karl-Tauchnitz-Straße 1, 04103 Leipzig
Denkströme

Denkströme IconDas Open Access (Online-)Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften:

www.denkstroeme.de

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Diffusion Fundamentals IconInterdisziplinäres Online Journal für Diffusionstheorie in Kooperation mit der Universität Leipzig:
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Internationale Konferenzreihe:
saw-leipzig.de/diffusion