Festvortrag zur Öffentlichen Herbstsitzung am 13.12.2019
Prof. Dr. rer nat. habil. Martin Bertau (Freiberg)
Professor für Technische Chemie an der TU Bergakademie Freiberg, Direktor des Instituts für Technische Chemie; am 12. Februar 2018 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Arbeitsschwerpunkte: ressourcenschonende und abfallarme (zero waste) Prozesse zur Gewinnung und Recycling von Rohmaterialien wie strategisch wichtiger Metalle und Halbmetalle (Seltene Erden, Lithium, Indium, Germanium u. a.).
Rohstoffe für Zukunftstechnologien – Eine Herausforderung für Wissenschaft und Gesellschaft
Rohstoffe stehen am Beginn der Wertschöpfungskette, weswegen die Sicherung der Rohstoffbasis für Europa überlebenswichtig ist. Das Machtvakuum, das der Rückzug der USA und Europas aus wichtigen weltpolitischen Feldern hinterlassen hat, wurde im Wesentlichen von China und Russland gefüllt. Dies geschieht in einer Zeit ungebremsten Bevölkerungswachstums. Wuchs die Weltbevölkerung seit 1990 von ~5 Mrd. um 50 % auf jetzt ~7,7 Mrd. Menschen, ist für die nächsten 30 Jahre bis 2050 mit einer weiteren Zunahme um 50 % auf dann 10…11 Mrd. zu rechnen. Bereits jetzt übersteigt die Wirtschaftsleistung der BRICS- und MIST-Staaten die der G7-Staaten. Mit der Verlagerung der Wirtschaftskraft und der Produktivität geht in einer Zeit hoher geopolitischer Unsicherheiten der Zugriff Europas auf Rohstoffe zurück.
Längst befindet sich die Welt in einer Konkurrenz um Rohstoffe in globalem Ausmaß, ohne dass indes die europäische Politik wie auch die Industrie angemessen darauf reagiert hätte. Vielmehr vertraut man auf die Fortführung bestehender Versorgungswege und übersieht dabei, dass weite Teile der Welt, v. a. Ostasien und Lateinamerika nach einer Etablierung von Lebensstandards nach westlichem Vorbild streben. Afrika hat diese Entwicklung noch vor sich. Die Industrienationen sind auf diese Entwicklungen kaum vorbereitet.
Die jüngste Entwicklung in den Förderländern belegt zudem einen Paradigmenwechsel, wie er vor ca. drei Dekaden in der Petrochemie vorausgegangen war. Die Wertschöpfung erfolgt zunehmend inländisch, anstelle von Rohstoffen werden Raffinaden in den Markt gebracht. In der Folge stehen der heimischen Hüttenindustrie weniger Quantitäten bzw. geringere Qualitäten zur Verfügung. Die Folgen für die Rohstoffversorgung der heimischen Industrie lassen sich derzeit noch nicht absehen, die Bedeutung des Recyclings wird jedoch definitiv zunehmen.
Als kritisch erweist sich beim Recycling, dass das Zurückführen in den Wertstoffkreislauf im eigentlichen Wortsinn, also ein Wiederherstellen von Primärproduktqualität nur wenigen Stoffströmen vorbehalten ist. Im Wesentlichen sind dies die Edelmetalle sowie Kupfer. In allen anderen Bereichen muss ehrlicherweise von Downcycling gesprochen werden.
Die Ermangelung geeigneter Primärrohstoffe, das Fehlen geeigneter Recycling-Technologien und die weitestgehend ablehnende Haltung der Gesellschaft gegenüber Bergbau und Schwerindustrie stellen ernstzunehmende Risiken für die wirtschaftliche Fortentwicklung Europas dar. Berücksichtigt man die unter dem Stichwort „Entgefährlichung der Chemieindustrie“ verfolgte Strategie der Europäischen Kommission, steht Europa vor einer nicht gekannten Selbstgefährdung seiner Lebensumstände, seiner Industrie, bis hin zu seiner Position auf den Weltmärkten. Nicht zuletzt erfordert die gegenwärtige billigende Inkaufnahme ethisch fragwürdiger Rohstoffgewinnungsprozesse in den Förderländern ein gesellschaftliches Umdenken. Es sind komplexe Herausforderungen wie diese, wo ein offener Dialog zwischen geistes-, natur- und technikwissenschaftlichen Disziplinen, wie er in wissenschaftlichen Akademien ideal geleistet werden kann, dazu beiträgt, neue systemische Ansätze für eine Rohstoffindustrie bis hin zu neuen Technologien zu entwickeln. Hierin liegen Chancen für die Zukunft, die für Europa überlebenswichtig sind.
Vorträge am 8.11.2019
Prof. Dr. med. habil. Andreas Hochhaus (Jena)
Professor für Innere Medizin/Hämatologie und Internistische Onkologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Direktor der Klinik für Innere Medizin II, Sprecher des UniversitätsTumorCentrums, Prodekan Forschung Universitätsklinikum Jena, am 9. März 2018 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Hämatologische und onkologische Erkrankungen, speziell Chronische myeloische Leukämie; Signaltransduktionshemmung; Resistenzursachen.
Möglichkeiten der Krebstherapie mit zielgerichteten Molekülen
Mit der Aufklärung molekularer Mechanismen der Tumorentstehung und –proliferation wurde vor mehr als 20 Jahren begonnen, zielgerichtete Medikamente zu entwickeln. Beispiele waren die HER2 und CD20 blockierenden monoklonalen Antikörper. Während die Erstzulassung zielgerichteter Medikamente meist ein Krankheitsbild betrifft, wird das Indikationsspektrum häufig durch Aufdeckung ähnlicher Signalwege bei anderen Tumoren oder durch Erkennung anderer Zielstrukturen erweitert.
Basis der maßgeschneiderten Krebstherapie sind innovative diagnostische Methoden, wie die molekulargenetische Untersuchung von Tumorgewebe oder Blut. Gesucht wird nach besonderen Veränderungen, die die Tumorzelle charakterisieren und die auch Ursache des Tumorwachstums sind. Bei vielen Tumorerkrankungen, wie z.B. Brustkrebs, Darmkrebs oder Lungenkrebs, sind schon zahlreiche solcher Strukturen auf den Krebszellen bekannt, die sich gezielt angreifen lassen. Zielgerichtete Therapie wirken vor allem gegen Moleküle der Tumorzelle, die eine zentrale Rolle beim Tumorwachstum spielen („Treibermutationen“). Durch dieses zielgenaue Eingreifen in die Prozesse der Krebsentwicklung verspricht man sich eine bessere Wirkung auf die Krankheit und geringe Nebenwirkung auf gesunde Körperzellen.
Das erste „kleine Molekül“, welches zur Signaltransduktionshemmung entwickelt wurde, ist der selektive ABL-Inhibitor Imatinib, der inzwischen auf eine 20-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken kann und für eine Reihe hämatologischer und onkologischer Erkrankungen zugelassen ist. Imatinib wurde als zielgerichteter Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) zur Therapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML) in allen Phasen der Erkrankung und zur Behandlung der BCR-ABL-positiven akuten lymphatischen Leukämie (ALL) entwickelt. In-vitro-Untersuchungen wiesen zusätzlich zur ABL-Hemmung die sehr gute Inhibition der „platelet derived growth factor“ (PDGF) - Rezeptoren A und B sowie von KIT nach. Dies war die Grundlage für die klinische Entwicklung und Zulassung beim gastrointestinalen Stromatumor (GIST), dem Dermatofibrosarcoma protuberans (DFSP) und den PDGFR-positiven hypereosinophilen Erkrankungen (HES).
Die CML hat sich durch den Einsatz der TKI von einer vormals tödlichen Erkrankung zu einer chronischen Krankheit gewandelt. Bei anhaltender tiefer molekularer Remission ist heute auch Absetzen der Therapie möglich. Die 10-Jahres-Überlebensrate beträgt unter TKI-Therapie 83%. Neue Studien untersuchen die Möglichkeit der Kombination von ATP-Kompetitoren mit allosterischen Inhibitoren des BCR-ABL-Proteins. Diese Kombinationstherapie kann Resistenzen überwinden und die Remissionstiefe verbessern. Imatinib legte die Grundlage für die gezielte Hemmung der Signaltransduktion bei einer Vielzahl von Tumoren. Zielgerichtete Medikamente haben die Therapieoptionen, insbesondere für ältere Patienten, revolutioniert und erlauben unter Berücksichtigung der gezielten Diagnostik eine effiziente Therapie bei guter Lebensqualität.
Prof. Dr. phil. habil. Verena Klemm (Leipzig)
Professorin für Arabistik und Islamwissenschaft am Orientalischen Institut der Universität Leipzig, am 12. Februar 2016 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Schiitischer Islam; Geschichte und Literatur der Fatimidenzeit; Handschriftenkultur in der islamisch geprägten Welt; Arabische Literatur im sozialen und politischen Kontext.
Das „Haus des Wissens“ in Kairo. Arabische Handschriften in Bewegung
Die Forschung mit Handschriften ist seit ca. zwei Dekaden in stetem Aufschwung begriffen. Eine wichtige Rolle dabei spielt die wissenschaftliche Wende hin zum Material und zur Materialität. Dabei werden Handschriften nicht mehr allein als Träger von Texten betrachtet, sondern als komplexe und kooperativ gefertigte Speicher von Informationen aus vergangenen Lebenswelten.
Der Vortrag widmet sich dem vielseitigen Erkenntnisobjekt arabische Handschrift. Er gliedert sich in drei Teile. Zunächst führt er zum „Haus des Wissens“ im fatimidischen Kairo, einer im frühen 11. Jahrhundert vom Kalifen al-Ḥākim gegründeten Akademie. Auf welche Weise wurde ihr Betrieb gewährleistet, wer arbeitete hier? Was geschah mit den berühmten Bibliotheken der Fatimiden beim Putsch des Ayyubiden Saladin im Jahr 1171? Wurden die die Handschriften, wie Historiker der Mamlukenzeit (und heute) behaupten, auf seinen Befehl hin restlos zerstört?
Die Auflösung und Rekonfiguration von Bibliotheken bescherte arabischen Handschriften bisweilen ein Leben, das viele Jahrhunderte dauerte und in denen sie weite Strecken und etliche Stationen durchmaßen. Der 2. Teil des Vortrags führt ins christliche Europa, wohin arabische Manuskripte seit den Kreuzzügen gelangten. Ab dem 18. Jahrhundert schließlich verhalfen die Schriften, die in den Türkenkriegen erbeutet und sodann in beträchtlicher Anzahl u.a. in die Leipziger Ratsbibliothek sowie in die Universitätsbibliothek gelangten, Gelehrten wie Gustav Flügel und Heinrich Leberecht Fleischer zur Entdeckung einer noch weitgehend unbekannten arabischen Überlieferung. Dabei fungierten die Manuskripte als Katalysatoren für die Herausbildung der Subdisziplin der Arabistik innerhalb des breiten Feldes der Orientalischen Philologie.
In seinem 3. Teil informiert der Vortrag am Beispiel der Leipziger Projekte „Refaiya“ und „Bibliotheca Arabica“ über wissenschaftliche und politische Dimensionen heutiger arabistischer Handschriftenforschung.
Vorträge am 11.10.2019
Prof. Dr. Sabine Griese (Leipzig)
Professorin für Ältere deutsche Literatur an der Universität Leipzig, am 9. März 2018 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Deutsche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Überlieferungsgeschichte; das Nebeneinander von Handschrift und Druck; Text-Bild-Zusammenhänge / Visualisierungskonzepte; Druckgraphik des 15. Jahrhunderts und frühe Medien; Verhältnis Deutsch-Latein; Frömmigkeitsgeschichte: Andachts- und Gebetbücher; die Bücher Diebold Laubers.
Adam, Eva und das Vermögen der deutschen Literatur des Mittelalters
Die Geschichte von der Erschaffung der Welt und der Schöpfung des Menschen eröffnet die biblischen Bücher des Alten Testaments und ist bis heute im kulturellen Gedächtnis präsent. Stephen Greenblatt bezeichnet die Erzählung von Adam und Eva gar als den mächtigsten Mythos der Menschheit (The Rise and Fall of Adam and Eve, 2017; dt. 2018). Im Mittelalter sind Adam und Eva ein stetes Thema der Literatur, der bildenden Kunst, der Musik, wiederholt und vor allem das biblische Geschehen in Details ausweitend wird vom Sündenfall erzählt, meist reicht jedoch der Nucleus des Paradiesbaums mit Schlange, Adam und Eva als Abbreviatur für das Ganze. Warum aber wird immer wieder von diesem Ereignis erzählt? Eigentlich ist der biblische Bericht doch kanonisch und ausreichend in seiner Darlegung von Befehl und Ungehorsam. Dieses Phänomen des „Wiedererzählens“ (Franz Josef Worstbrock) und Neuerzählens aufgreifend möchte der Vortrag einige Spezifika der deutschen Literatur des Mittelalters vor Augen führen, indem er einen Text aus dem 15. Jahrhundert zum Ausgangspunkt nimmt, um die Eigenart mittelalterlicher Literatur in der Volkssprache zu beleuchten. Ein bislang unbekannter Autor namens Lutwin erzählt neu von Adam und Eva, er stützt sich auf eine lateinische Vita, die er ins Deutsche überträgt und raffiniert sowie im listigen Zugriff auf die Romanliteratur des 13. Jahrhunderts kommentiert, indem er den geistlichen Kerntext durch seine eigenen Lesefrüchte vor allem der weltlichen Literatur anreichert und dadurch eine zweite Textebene neben dem unveränderbaren Erzählkern schafft. Zudem verbindet er in seiner Version den Sündenfall mit der Erlösung der Menschheit durch Christus (ohne Vergehen des Menschen gäbe es keine Gnade Gottes), so dass man vom „Heilsraum des Erzählens“ gesprochen hat (Bruno Quast). In einer einzigen Handschrift des 15. Jahrhunderts liegt uns Lutwins Erzählung vor, die aus einer in Hagenau (heute Nordelsass) angesiedelten Manuskriptwerkstatt stammt. Lutwins Text wird hier in einer Bild-Text-Kombination präsentiert, die andeutet, wie man im 15. Jahrhundert Romane in der Volkssprache lesen wollte.
Prof. Dr. rer. nat. Michael Scheffler
Professor für Nichtmetallische Werkstoffe am Institut für Werkstoff- und Fügetechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, am 9. März 2018 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: thermische Zersetzung präkeramischer Polymere, Reaktionen mit Füllstoffen, Anwendung und Formgebung zellulare Keramiken: Herstellung, Charakterisierung, Oberflächenmodifizierung, anorganische Funktions- und Multifunktionsmaterialien/Materialien für erneuerbare Energietechniken (Solarzellen, Brennstoffzellen, Wärmespeichermaterialien).
Altamira, Schneewittchen und Turbinenschaufel: Von Oberflächen, Schichten und ihren Funktionen
Die Höhlenbilder von Altamira, das Spieglein an der Wand im Märchen Schneewittchen und Turbinenschaufeln in modernen Kraftwerksturbinen können unterschiedlicher nicht sein, dennoch haben sie eine Gemeinsamkeit: Ihr Aufbau stellt eine Kombination aus Substrat und darauf applizierter Schicht dar und alle diese Schichten haben eine Funktion; die Altamira-Höhlenbilder auf Fels sind Träger von Informationen, die Silberschicht des Spiegels auf Glas reflektiert in hohem Maße ihr Gegenüber und die Keramikschicht auf Nickellegierung schützt selbige vor Überhitzung. Diese willkürlich ausgewählten Beispiele lassen auf die große Bedeutung und Variabilität von Schichten schließen, ohne die unser modernes Leben nicht möglich wäre.
Im ersten Teil des Vortrags wird der Versuch einer Systematisierung unternommen, um Licht in die enorme Vielzahl von Schichten zu bringen. Anhand von Beispielen werden Aufbau, Eigenschaften und Anwendungen ausgewählter Schichten und einige typische Beschichtungsverfahren vorgestellt.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Entwicklung spezifischer Schichten für technische Anwendungen. So werden beispielsweise für den Oxidationsschutz von hochtemperaturfesten metallischen Legierungen Systeme diskutiert, die als siliciumhaltige, mit pulverförmigen Partikeln gefüllte Polymere aufgetragen, in keramische Schichten mit Selbstheilungsfunktion umgewandelt werden und Molybdän- oder Titan-basierte Legierungen schützen können. Mit ähnlichen polymerbasierten Beschichtungssystemen können, auf offenzellige Schäume appliziert, deren Oberflächen- und Benetzungseigenschaften prozessparameterabhängig gesteuert werden. Als technisches Einsatzgebiet bietet sich hierfür die reaktive Stofftrennung an. In einem dritten Beispiel wird aufgezeigt, wie mikroporöse Schichten in Kombination mit Keramik- oder Metallsubstraten für wärmetechnische Anwendungen wie Wärmespeicherung und Wärmepumpen genutzt werden können.
Dies sind nur einige wenige Beispiele von Schichten, die für den Nutzer ihren Dienst im Verborgenen verrichten; sie lassen aber das enorme Potential für die Fortentwicklung technischer Anwendungen deutlich erkennen, sei es in der Energie-, der Medizin- oder der Umwelttechnik.
Vorträge am 14.6.2019
Prof. Dr.-Ing. André Wagenführ (Dresden)
Professor für Holztechnik und Faserwerkstofftechnik an der Technischen Universität Dresden, am 10. März 2006 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Holzanatomische Strukturen, Modifikationen der Holzeigenschaften, Entwicklung von Verarbeitungstechnologien von Holz und holzanalogen Rohstoffen zu Leichtbauwerkstoffen für den Einsatz im Maschinen- und Fahrzeugbau, Verfahrensentwicklungen zur Herstellung und Optimierung lignocelluloser Holz- und Verbundwerkstoffe einschließlich Biokomposite, Sandwichverbünde und neuartige Materialkombinationen mit Holz
Möglichkeiten der Veränderung von Holzeigenschaften
In der biologischen (anatomischen), chemischen, physikalischen und mechanischen Holzcharakterisierung wird deutlich, dass Holz als ein von der Natur optimierter Roh-, Bau- und Werkstoff ein Leistungs- und Innovationspotential besitzt, das weit über den heutigen Verwendungsmöglichkeiten liegt.
Als nachhaltiger, kapillarporöser Feststoff stellt Holz einen naturoptimierten Werkstoff dar, der durch seine strukturelle Anisotropie und hohe spezifische Festigkeiten und Elastizitäten für einen Einsatz in der Technik sich anbietet. Im Fokus von Forschung und Entwicklung steht seit Jahren das Bestreben, die negativen, aber natürlichen Materialeigenschaften des Holzes zu minimieren: die starken Eigenschaftsschwankungen, die Feuchteabhängigkeit, insbesondere das Quellen und Schwinden, die biologische Angreifbarkeit sowie die Brennbarkeit des Holzes. Besonders die hohen Eigenschaftsschwankungen infolge struktureller Inhomogenitäten innerhalb der Holzarten wirken sich negativ im Werkstoffauswahlprozess gegenüber konkurrierenden Materialien aus. Dem kann mit speziellen Modifikationsverfahren entgegen gewirkt werden. Dazu zählen Verdichtungsprozesse, oft gekoppelt mit chemischen Vor- oder Nachbehandlungen. Eine hohe Wertschöpfung erreicht man bei der Holzverwendung im Musikinstrumentenbau. Vor dem Hintergrund der Europäischen Handelsverordnung in Umsetzung des Washingtoner Artenschutzabkommens sollen geschützte tropische Holzarten durch modifizierte einheimische Hölzer substituiert werden. Dies ist nicht trivial, da traditionell viele Importhölzer wegen ihren optischen, akustischen und Festigkeitseigenschaften Anwendung finden. Beispielhaft am Gitarrenbau werden neueste Forschungsansätze und –ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Es wird hierbei konkret ein erfolgreich umgesetztes Forschungsprojekt der TU Dresden zum Einsatz thermisch modifizierter Hölzer im Konzertgitarrenbau vorgestellt. Dabei wird ein einzigartiges Torrefizierungsverfahren entwickelt und zur Serienreife gebracht. Bei der Thermomodifikation werden Umbau- und Alterungsprozesse des Holzes bewirkt und beschleunigt. Dies ermöglicht die Herstellung thermoholzmodifizierter Konzertgitarren in vergleichbarer Qualität und auf dem Niveau von Tropenholzgitarren.
Prof. Dr. rer. nat. Harald Krautscheid (Leipzig)
Professor für Anorganische Chemie (Festkörperchemie/Materialwissenschaft) an der Universität Leipzig, am 9. Februar 2007 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Anorganische Chemie, Synthese und Charakterisierung von porösen Koordinationspolymeren (MOFs), Synthese und Untersuchung heteronuklearer Komplexe als Vorstufen zu Funktionsmaterialien, Röntgenstrukturanalyse.
Molekulare Komplexe als Vorläuferverbindungen für CuInS2 und verwandte Halbleiter für die Photovoltaik
Obwohl von der Sonne enorme Energiemengen in Form von elektromagnetischer Strahlung auf der Erdoberfläche ankommen, wird immer noch der weitaus größte Teil der Primärenergie aus fossilen Energieträgern gewonnen. Der Anteil an elektrischer Energie, der direkt aus Sonnenlicht erzeugt wird, liegt zur Zeit in Deutschland bei 8,4 % (Anteil an Nettostrom-erzeugung zur öffentlichen Stromversorgung). Um die CO2-Emissionen bis 2050 um 95% zu senken, müsste nach Modellrechnungen die in Deutschland installierte Leistung von Photovoltaik-Anlagen verfünffacht werden.
Der erste Teil des Vortrages soll zunächst einen Überblick über verschiedene Typen von photovoltaischen Zellen geben. Anschließend werden neue Komplexverbindungen vorgestellt, die als Vorläuferverbindungen für die Erzeugung von Halbleiterschichten für die Photovoltaik verwendet werden können. So bilden sich beispielsweise bei der Thermolyse von [(Me3P)3Cu(SC2H4S)InPr2] oder [(Pr3P)4Cu4(GaMe)4S6] (Me = CH3, Pr = C3H7) die Halbleiter CuInS2 bzw. CuGaS2. Weiterhin werden Synthesen und Strukturen von molekularen Komplexen präsentiert, die in Co-Thermolyseexperimenten Cu2ZnSnS4 bilden. Im Unterschied zu den Chalkopyritphasen CuME2 sind in Cu2ZnSnS4 („Kesterit“) Gallium bzw. das relativ seltene und teure Indium durch Zink und Zinn substituiert, wobei diese Metalle kostengünstig verfügbar sind und damit kosteneffiziente Dünnschicht-Solarzellen produziert werden können.
Vorträge am 10.5.2019
Prof. Dr. rer. nat. Jürgen Haase (Leipzig)
Professor für Experimentalphysik/Festkörperphysik an der Universität Leipzig, am 11. Februar 2011 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Experimentelle Physik, Elektronische Eigenschaften von Festkörpern, Physikalische Chemie poröser Materialien, Entwicklung der Magnetischen-Resonanz-Spektroskopie, Probleme in Physik und physikalischer Chemie mit Methoden der magnetischen Resonanz
Alte und neue Phänomene in Quanten-Festkörpern und Magnetische Resonanz
Grundlegende Arbeiten über Konsequenzen der Quantenphysik für das Verständnis von Festkörpern kamen von P. Debye (vor seiner Leipziger Zeit), die Schwingungen der Atome im Festkörper betreffend, aber vor allem auch von W. Heisenberg und F. Bloch in Leipzig, die sich mit der Bewegung von Elektronen und ihrem Magnetismus befassten. Seitdem hat sich die Festkörperphysik unglaublich entwickelt. Man denke beispielsweise an die Halbleiterphysik, die z.B. Bloch-Elektronen geschickt manipuliert, um sie in Computern Rechnungen durchführen zu lassen, oder neuartiges Licht clever und kostengünstig zu generieren. Fast alle Bereiche unseres Lebens hängen von diesen Fortschritten ab.
Ganz anders steht es um die Supraleitung in Festkörpern. Entdeckt 1911 bei tiefsten Temperaturen ließ ihr Verständnis fast 50 Jahre auf sich warten, um bald als Tieftemperatur-Phänomen vernachlässigt zu werden. Erst weitere 30 Jahre später, unter der Leitung des hier bekannten K. A. Müller, wurde 1987 eine weitere Revolution eingeleitet. Nicht Metalle, sondern spezielle Keramiken konnten zur Supraleitung bei deutlich höheren Temperaturen gebracht werden. Heute, nach sicher mehr als 150.000 Publikationen ist dieses makroskopisch einfache Phänomen immer noch nicht verstanden und, getrieben mehr durch Experiment als Theorie, ist man beinahe an Zimmertemperatur heran gekommen. Das heißt, inmitten des Chaos der Debye-Schwingunen der Atome kann widerstandsfreier Strom fließen.
Ein weiteres Phänomen, das angesprochen werden soll, hat mit Topologie zu tun. Ganz unerwartet für Physik und Chemie entsprang vor 10 Jahren aus der Tiefe der theoretischen Physik die Einsicht, dass selbst chemisch einfachste Materialien nicht verstanden waren. Effekte, die an das (Leipziger) Möbiussche Band erinnern, können Elektronen in Festkörpern vorschreiben, was sie dürfen und was nicht, mit Konsequenzen die noch nicht abzusehen sind, sicher auch für die Chemie.
Die magnetische Resonanz beobachtet Atomkerne, die von Natur aus fundamentale Freiheiten besitzen. Als Quanten-Sensoren besonderer Art entgeht ihnen jedoch fast nichts, was um sie herum passiert. Deshalb ist diese Methode so unglaublich vielfältig und in vielen Bereichen zu finden – von Physik bis hin zur medizinischen Diagnostik. Leider kann es äußerst kompliziert sein zu entziffern, was die Atomkerne uns über elektronische Vorgänge sagen, die wir im Grunde noch nicht kennen. Zum Beispiel haben die Atomkerne nichts über die Supraleitung verschwiegen, aber wir haben ihre Signale über 30 Jahre hinweg falsch gedeutet, mit fundamentalen Konsequenzen für die Theorie. Das werden wir versuchen zu erklären. Auch haben wir erste, kleine Erkenntnisse vorzuweisen, die zeigen, dass magnetische Resonanz beim Verständnis von topologischen Materialien Einsichten liefert, die der grundlegenden Theorie entsprechen, aber auch Neues berichten.
Prof. Dr. phil. habil. Matthias Werner (Jena)
em. Professor für Thüringische Landesgeschichte und Mittelalterliche Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, am 12. Januar 1996 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Thüringische, hessische und rheinische Landesgeschichte im Mittelalter, Geschichte des Frühmittelalters, Religiöse Bewegungen im Mittelalter, Wissenschaftsgeschichte der Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert
Mitteldeutschland und das Reich in staufischer Zeit.
Neue Formen königlicher Herrschaft zwischen Saale und Elbe im 12./13. Jahrhundert
Der Vortrag widmet sich dem seit der Mitte des 12. Jahrhunderts verstärkten Bemühen des Königtums, die noch wenig erschlossenen, zu weiten Teilen direkt dem König unterstehenden Gebiete östlich der Saale zu einer Basislandschaft des Königtums in der östlichen Mitte des Reiches zu erheben und durch den Hinzuerwerb benachbarter Herrschaftsgebiete einen weiträumigen Komplex unmittelbaren königlichen Einflusses in Mitteldeutschland und dem südlich anschließenden Egerland zu schaffen. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stand die Errichtung des Reichslandes Pleißenland in den Jahren 1158/72 durch den staufischen Kaiser Friedrich Barbarossa (1152–1190), das sich mit der Reichsburg, Königspfalz und der entstehenden Stadt Altenburg als Zentrum von Colditz/Leisnig bis zum Erzgebirgskamm erstreckte und mit den modernsten Methoden der Herrschaftsbildung zu einem weitgehend geschlossenen Gebiet direkter königlicher Herrschaft ausgebaut wurde. Während sich im Südosten jenseits des Erzgebirgskammes das in den 1170/80er Jahren entstandene Reichsland Egerland mit dem Mittelpunkt Eger anschloss, errichteten im Westen an der oberen und mittleren Weißen Elster die Reichsministerialen von Weida einen weitgespannten Herrschaftsbereich mit den Zentren Plauen, Weida und Gera – das spätere Vogtland –, der unmittelbar dem Reich unterstand. Im westlichen Vorfeld davon fügte Friedrich Barbarossa um 1180 in geschickter Erwerbspolitik den großen Herrschafts- und Besitzkomplex Saalfeld mit dem Orlaland hinzu und baute gezielt die Positionen des Reiches an der mittleren Saale nördlich von Jena aus.
War bereits die derart geschaffene Einflusszone des Königtums an Umfang und Dichte einzigartig im Reich, so suchte Friedrich Barbarossas Sohn und Nachfolger Heinrich VI. (1190–1197) durch die – freilich nur kurzzeitig realisierbare – Einbehaltung der beiden Reichsfürstentümer Landgrafschaft Thüringen und Markgrafschaft Meißen 1190/95 für das Reich fast den gesamten mitteldeutschen Raum zwischen Werra und Elbe zu einer Zone direkten königlichen Einflusses zu machen. Doch bereits mit dem frühen Tod Heinrichs VII. 1197 und dem danach einsetzenden welfisch-staufischen Thronstreit und der damit verbundenen Schwächung des Königtums scheiterte das groß angelegte Konzept. Ging Saalfeld schon 1208 dem Reich wieder verloren, so fielen in der Endphase bzw. nach dem Untergang der staufischen Herrschaft das Pleißenland 1245 an die Wettiner, das Egerland 1266 an den König von Böhmen und erlangten die Herren bzw. Vögte von Weida bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts weitestgehende Selbstständigkeit, bevor sie mit großen Teilen ihrer Herrschaft unter wettinischen Einfluss gerieten. Endgültig im 14. Jahrhundert wurde aus der weiträumig konzipierten Königslandschaft in Mitteldeutschland ein zunehmend königsferner Raum, in dem das wettinische Territorialfürstentum zur dominierenden Kraft aufstieg. Der Vortrag möchte diese in der Forschung oft zu wenig beachtete Entwicklung in ihrer weichenstellenden Bedeutung für die Geschichte des Reiches thematisieren und an ihrem Beispiel nach den Möglichkeiten und Grenzen königlicher Herrschaft im 12./13. Jahrhundert fragen.
Festvortrag zur Öffentlichen Frühjahrssitzung am 12.4.2019
Prof. Dr. theol. Angelika Berlejung (Leipzig)
Professorin für Alttestamentliche Wissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, am 10. Februar 2017 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Geschichte und Religionsgeschichte Palästinas und seiner Nachbarn, Biblische Archäologie, Ikonographie Syrien-Palästinas, Alltagskultur in Palästina, Kulturanthropologie, Semitische Sprachen
Kleine Geschenke für große Götter: Weihegaben im alten Israel /Palästina
Der Vortrag beschäftigt sich mit Weihegaben (= materielle Geschenke von Menschen an Götter mit und ohne Gelübde) und -inschriften in Palästina (West- und Ostjordanland) von der Mitte des 2. Jt. bis zum Ende der Perserzeit (ca. 1500–333 v.Chr.): Ausgehend von einer kurzen und exemplarischen Bestandsaufnahme und Systematisierung der Weihinschriften und Objektweihungen (aus Ausgrabungen und Heiligtumskontexten [inkl. Favissae] stammend) werden die gängigen Interpretationsmuster für die Weihegabenpraxis vorgestellt, die von einer Kommunikations-, Sozial- bzw. Kulturtheorie der 'Gabe' und anthropologischen Aspekten des homo donans (z.B. Marcel Mauss, Pierre Bourdieu) ausgehen, und somit die horizontale Blickrichtung (Individuum; Mensch-Mensch) in den Mittelpunkt stellen. Doch sind Weihegaben nicht nur Teil einer komplexen sozialen Beziehung, sondern stehen auch an der Schnittstelle zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre (vertikale Blickrichtung), so dass sie als wertvolle Quelle für die antike Religionsgeschichte zu betrachten sind. Dies gilt insbesondere für Weihegaben, die beschriftet sind, sodass ihr Stifter explizit formulierte, welche Intentionen er mit seinem Geschenk verband und an welche Gottheit er sich damit wenden wollte.
Mit den archäologisch bezeugten Funden aus Israel/Palästina werden in einem weiteren Schritt ausgewählte alttestamentliche Texte in Beziehung gesetzt, die Gaben an Jhwh thematisieren. Es zeigt sich, dass das Alte Testament drei Gabenarten bezeugt: 1. Namentlich identifizierte königliche (David in der Chronik, Salomo im Königebuch) oder kollektive Stiftungen für das Heiligtum (Bau, Betrieb, Inventar, Tempelschatz) der Israeliten von hohem materiellem Wert (z.B. Ex 35f; 1Chr 29; Esra 8; Num 7). 2. Huldigungsgeschenke der fremden Völker oder ihrer (anonym bleibenden) Könige an Jhwh meist ohne Wertangabe. 3. Individuelle (z.B. David, Judith) oder kollektive Waffen-, Beute- und Trophäenweihungen (Gideon mit dem Kriegsvolk Ri 8; Josua mit dem Kriegsvolk Jos 6; Mose, Eleasar und die Offiziere sowie Krieger Num 31) von hohem materiellen Wert. Dabei wird in Texten der nachexilischen Zeit die traditionelle Votivpraxis aufgenommen und transformiert, um eine reflektierte "Theologie der Gabe" zu entwerfen oder das materielle Geschenk an Gott durch spiritualisierte Konzepte abzulösen.
Vorträge am 8.3.2019
Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Czarske (Dresden)
Professor für Mess- und Sensorsystemtechnik an der Technischen Universität Dresden, geschäftsführender Direktor des Instituts für Grundlagen der Elektrotechnik und Elektronik, am 9. Februar 2018 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Digitale Messsystemtechnik mit Schall- und Lichtwellen, Kontrolle von kohärenten Wellen, Berührungslose Präzisionsmesstechnik für technische und biologische Prozesse, Smarte Phased-Array-Messtechnik, Computerbasierte Lasersysteme in der Biomedizin
Digitale Holographie in der Optogenetik: Ein neues Fenster zum Gehirn
Wie funktioniert das Gehirn? Die Optogenetik kann helfen, Antworten zu dieser spannenden Frage zu geben. Die neue Methode verwendet eine Kombination aus Licht und der Änderung der genetischen Information eines Lebewesens, womit ein Paradigmenwechsel einhergeht. Gehirnzellen können in berührungsloser Weise hochaufgelöst vermessen und kontrolliert werden. Von der Optogenetik wird erwartet, dass sie neurodegenerative Erkrankungen, wie Morbus Parkinson und Morbus Alzheimer, besser verstehen, lindern oder sogar behandeln kann.
Es wird über die aktuellen Herausforderungen der holographischen Lichtstimulation von Neuronen mit geringer Latenz berichtet. Eine computerbasierte Echtzeitholographie kam für die Vermessung und Aktivierung von menschlichen Stammzell-abgeleiteten neuronalen Netzen zum Einsatz, womit die Konnektivität unmittelbar untersucht werden kann und Tierversuche nicht einbezogen werden müssen. Nur durch eine komplexe Betrachtung der Merkmale und Eigenschaften von neuronalen Netzen ist es möglich, die Konnektivität zu verstehen und mit elektrotechnischen Methoden zu kontrollieren.
Neueste Arbeiten konzentrieren sich auf die Lichtzuführung mit nadeldünnen, holographischen, linsenlosen, faseroptischen Endoskopen für die Stimulation im Gehirn. Dabei treten komplexe Lichtstreuungen auf, die in der Optogenetik für eine Anregung und Vermessung mit zellulärer Auflösung zu kontrollieren sind. Ziel derartiger, interdisziplinär ausgelegter Untersuchungen ist es, die bei der Lichtstreuung beobachteten Effekte tiefgründig unter Nutzung der Systemtechnik zu analysieren, um sie universell zu kontrollieren und ingenieurwissenschaftlich anzuwenden. Es liegt ein noch weitgehend ungenutztes Innovationspotential vor, so dass grundlegende Erkenntnisse und in die Praxis transferierte Innovationen zu erwarten sind.
Prof. Dr. phil. habil. Holger Diessel (Jena)
Professor für Anglistische Sprachwissenschaft an der Friedrich-Schiller Universität Jena; am 14. Februar 2014 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Sprachgebrauch und Sprachstruktur, Erstspracherwerb, Sprachvergleich, Sprachwandel
Demonstrativa: Von der Zeigegeste zur Grammatik
Die Demonstrativa bilden eine besondere Klasse raumdeiktischer Ausdrücke, die oft in Kombination mit einer Zeigegeste verwendet werden und die sowohl für die kommunikative Interaktion zwischen Sprecher und Hörer als auch für die diachrone Entwicklung der Grammatik eine ganz zentrale Rolle spielen. Der Vortrag gibt einen Überblick über die psycholinguistische und sprachhistorische Forschung zu den Demonstrativa aus sprachvergleichender Perspektive und diskutiert die Implikationen dieser Forschung für die Theorie der Grammatik.
Dass Demonstrativa häufig in Verbindung mit einer Zeigegeste verwendet werden, ist seit langem bekannt (z.B. Bühler 1934), wurde bisher jedoch kaum mit experimentellen Methoden untersucht. Seit ein paar Jahren gibt es jedoch eine Reihe von psycholinguistischen Studien, die gezeigt haben, dass die enge Verbindung von Demonstrativa und Zeigegesten nicht nur für die kommunikative Interaktion, sondern auch für den Spracherwerb und die kognitive Entwicklung von Kindern von zentraler Bedeutung ist. Im Zentrum dieser Forschung steht der Begriff von „Joint Attention“, der sich auf ein grundlegendes Konzept der menschlichen Kognition bezieht und nach Ansicht vieler Entwicklungspsychologen eine wesentliche Voraussetzung für den Spracherwerb bildet.
Darüber hinaus spielt die aufmerksamkeitssteuernde Funktion der Demonstrativa bei der Organisation von Diskursen und der diachronen Entwicklung von grammatischen Funktionswörtern (z.B. Artikeln, Pronomen, Konjunktionen) eine wichtige Rolle. Der Vortrag zeigt (auf der Basis von Daten aus einer großen typologischen Datenbank von mehreren hundert Sprachen), dass die Demonstrativa in wohl allen Sprachen der Welt eine häufige Quelle für die Entstehung von grammatischen Ausdrucksformen bilden und dass das metaphorische Zeigen auf sprachliche Elemente die Entwicklung bestimmter Aspekte der Grammatik entscheidend beeinflusst hat. Ausgehend von diesem Befund befasst sich der Vortrag mit der seit einigen Jahren intensiv diskutierten Hypothese, dass grammatisches Wissen, anders als bisher oft angenommen, nicht unmittelbar auf einem biologisch determinierten „Sprachmodul“ basiert, sondern von allgemeinen Prozessen der Kognition und sozialen Interaktion abgeleitet ist.
Vorträge am 8.2.2019
Prof. Dr. rer. pol. habil., em. Hans Wiesmeth (Dresden)
em. Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Dresden; am 13. Februar 2004 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse gewählt, Präsident der SAW seit 1. Januar 2016.
Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Gleichgewichtstheorie, Allokationsansätze, Allokationsmechanismen für öffentliche Güter, insbesondere auch im Umweltbereich, Umweltökonomie in Theorie und Praxis
Ökonomische Aspekte der Kreislaufwirtschaft. Herausforderungen bei der Implementierung
Die Kreislaufwirtschaft, als Weiterentwicklung des linearen Wirtschaftssystems, wird gegenwärtig durch eine Vielzahl von Initiativen staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen vorangetrieben. Immense Vorteile im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung werden erwartet. Dennoch zeigen die Fakten, dass auch in Deutschland noch manches auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft zu tun bleibt. Grundsätzlich steht die Kreislaufwirtschaft für die Etablierung bzw. die Einhaltung der Abfallwirtschaft in allen Bereichen der Ökonomie.
Im Vortrag wird auf einige grundsätzliche gesetzliche Regelungen im Bereich der Abfallwirtschaft eingegangen: Produktverantwortung, Sammlung alter Produkte, Rücknahmeverpflichtung und Behandlung sowie Umweltstandards. Es zeigt sich, dass die geltenden Regelungen nicht ausreichen bzw. nicht passend formuliert sind. Abschließend wird im Kontext der Umweltstandards auch kurz auf die Rolle der Natur- und Technikwissenschaftler eingegangen.
Prof. Dr. med. Jan C. Simon (Leipzig)
Professor für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Universität Leipzig, am 8. Februar 2008 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Immunmodulierende Biomaterialien zur Förderung der Heilung chronischer Wunden
Chronisch nicht heilende Wunden nehmen in ihrer Häufigkeit weltweit dramatisch zu. Grund hierfür sind die demografische Entwicklung und Zivilisationsbegleiterkrankungen wie Diabetes, Übergewicht, kardiovaskuläre Erkrankungen. Wesentlicher Faktor, warum eine Wunde nicht heilt, ist eine dauerhafte Entzündung der Wunde und der umgebenden Haut. Bestimmte Immunzellen, sogenannte Makrophagen, sind von zentraler Bedeutung für die Aufrechterhaltung dieser Entzündung. Im Vortrag vorgestellt wird ein völlig neues Therapiekonzept, in dem die Fähigkeit von extrazellulärer Matrix (die Substanz zwischen den Zellen), Immunreaktionen zu beeinflussen, genutzt wird. Wir fragten im Rahmen des Transregio SFB67 in Kooperation der Universitäten Leipzig und Dresden, ob wir Wundauflagen auf Basis der extrazellulären Matrix so chemisch modifizieren können, dass sie den Circulus vitiosus der Entzündung in chronischen Wunden unterbrechen. Durch geeignete chemische Modifikation des Glykosaminoglykans Heparin gelang es, selektiv proentzündliche Faktoren zu binden. In einer Reihe von in vitro und in vivo Versuchen wurde gezeigt, dass sich darüber gezielt und hochspezifisch die Entzündung in chronischen Wunden hemmen lässt. Auf dieser Basis hergestellte Wundverbände führen im Tiermodell zu einem wesentlich schnelleren Verheilen chronischer Wunden. Zusammenfassend wurde ein völlig neues Therapiekonzept in Form immunmodulierender Biomaterialien entwickelt, ihr Anwendungspotential geht weit über die Behandlung chronischer Wunden hinaus.
Vorträge am 11.1.2019
Prof. Dr. rer. nat. habil. Eike Brunner (Dresden)
Professor für Bioanalytische Chemie an der Technischen Universität Dresden, am 12. Februar 2010 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Biomineralisation, NMR-spektroskopische Untersuchungen an Proteinen sowie Metall-Organischen Gerüstverbindungen (MOFs)
Xenon – das fremde Element in der kernmagnetischen Resonanzspektroskopie und Magnetresonanztomographie
Xenon (altgriechisch: das Fremde) ist ein Edelgas, welches in geringen Mengen in der Erdatmosphäre vorkommt. Eines seiner stabilen Isotope, das Isotop Xe-129 (ca. 26 % natürliche Häufigkeit), besitzt einen Kernspin von ½ und hat eine Reihe von interessanten Anwendungen in der kernmagnetischen Resonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) und medizinischen Bildgebung (Magnetresonanztomographie, MRT) gefunden.
Die Anwendungen in der NMR-Spektroskopie beruhen vor allem auf der Tatsache, dass Xenon eine sehr empfindliche chemische Verschiebung besitzt, was auf seine große und leicht polarisierbare Elektronenhülle zurückzuführen ist. So dient das Xe-129 unter anderem als Sonde bei der Untersuchung ganz unterschiedlicher poröser Materialien wie Zeolithe, Metall-Organische Gerüstverbindungen (MOFs), kohlenstoffbasierte Elektrodenmaterialien und andere. Xenon findet auch Anwendungen in der biologischen NMR-Spektroskopie, unter anderem als Biosensor.
Eine weitere interessante Anwendungsmöglichkeit von Xenon besteht in der Tatsache, dass sogenanntes hyperpolarisiertes Xe-129 eine - im Vergleich zum thermodynamischen Gleichgewicht - sehr hohe Nachweisempfindlichkeit besitzt und nach Inhalation durch den Probanden zur medizinischen Bildgebung (MRT) an der menschlichen Lunge eingesetzt werden kann.
Prof. Ph.D Marie-Claire Foblets (Halle)
Honorarprofessorin für Recht und Ethnologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Direktorin der Abteilung ‚Recht & Ethnologie‘ am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle (Saale), am 13. Februar 2015 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Sozialanthropologische Analysen, Rechtspraxis, Religionsdiversität im weltlichen Kontext, Europäische Migration und Asylpolitik, transnationale Staatsbürgerschaft und Schutz der Menschenrechte, Islam in Europa, internationales Familienrecht
Recht und Kultur. Ethnologische Forschung zu derzeitigen Gesellschaftsfragen
Ausgangspunkt für den Vortrag ist das Konzept der kulturellen Diversität und deren verschiedene Funktionsweisen innerhalb der Rechtsordnung eines Staates. Die Frage, wie kulturelle Diversität innerhalb einer Rechtordnung funktioniert, ist komplex und verdient eine nuancierte Diskussion.
Es ist heute unbestritten, dass, weltweit, die große Mehrheit der Gesellschaften in den letzten 30 Jahren zunehmend multiethnisch und multikulturell geworden ist; diese Entwicklung schafft zentrale Fragen nach sozialem Zusammenhalt. Verschiedene neue und alternative Formen von Zugehörigkeit und Mitgliedschaft – sei es ethnischer, kultureller und/oder religiöser Art – scheinen einen Schatten auf den sozialen Zusammenhalt im konventionellen liberalen Begriffssinn zu werfen. Für sich allein gesehen, ist diese Konvergenz an Identitäten und Loyalitäten kaum überraschend. Von einer ethnographischen Sichtweise aus muss Diversität in der Tat als ein Phänomen gesehen werden, das nicht rückgängig gemacht werden kann. Heutzutage jedoch scheint Diversität, so wie sie im öffentlichen Diskurs verstanden wird, zu einem Hemmnis geworden zu sein, das seinerseits der Rolle, die das Recht in diesem Bereich spielen kann, eine neue Bedeutung zu geben scheint. Ziel des Vortrags ist es, auszuloten, inwieweit verschiedene innerstaatliche Rechtsordnungen – in ganz Europa –einen Schutz der kulturellen Diversität zulassen, sei es innerhalb der Rechtsordnung eines einzelnen Staates, sei es in Fällen, wo das Gesetz Ländergrenzen überschreitet. Ausgehend von spezifischen Beispielen, die überwiegend aus der Rechtsprechung stammen, werde ich die verschiedenen Auswirkungen untersuchen, die unter den heutigen staatlichen Rechtsordnungen (mit einem Fokus auf Europa) in direktem Zusammenhang mit der Bewahrung von kulturellen Identitäten stehen, wobei die Darstellungen eine klare Differenzierung in der Behandlung von Diversität offenbaren werden.