Festvortrag zur Öffentlichen Herbstsitzung am 14.12.2018
Hans-Joachim Knölker (Dresden), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Dr. rer nat. habil., Professor für Organische Chemie an der Technischen Universität Dresden; am 20. März 2006 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Entwicklung neuer Synthesemethoden in der Organische Chemie, Synthese und Strukturaufklärung von Naturstoffen, Struktur-Wirkungsbeziehungen biologisch aktiver Moleküle.
Katalyse – Eine Renaissance der "Eisenzeit"?
Im Mittelpunkt der Synthese von Naturstoffen und biologisch aktiver Moleküle steht die gezielte Knüpfung neuer Kohlenstoff-Kohlenstoff- und auch Kohlenstoff-Heteroatom-Bindungen. Um diese sogenannten Kupplungsreaktionen für den Aufbau neuer Bindungen möglichst effizient, das heißt in hoher Ausbeute und kurzer Zeit, zu erreichen, verwendet man in der modernen organischen Synthese sehr häufig Katalysatoren. Ein Katalysator ist ein Stoff, der durch Absenkung der für eine chemische Reaktion benötigten Aktivierungsenergie deren Geschwindigkeit erhöht, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Während als Katalysatoren für die genannten Kupplungsreaktionen seit etwa der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts überwiegend die Elemente der Platinmetalle (Ruthenium, Rhodium, Palladium, Osmium, Iridium und Platin) Anwendung fanden, gab es in den zurückliegenden 15 Jahren große Anstrengungen, diese teuren Elemente in der Katalyse durch Elemente der 1. Reihe der Übergangsmetalle zu ersetzen.
Bei der Suche nach neuen Katalysatoren steht das Element Eisen ganz besonders im Fokus. Die Gründe hierfür liegen neben dem wesentlich häufigeren Vorkommen von Eisen in der Erdhülle und des daraus resultierenden erheblich geringeren Preises vor allem auch in der geringeren Toxizität von Eisenverbindungen. Der Vortrag spannt den Bogen von den "klassischen" Palladium-katalysierten Reaktionen in der organischen Synthese zu neueren Anwendungen, bei denen zunehmend Eisenverbindungen als Katalysatoren zum Einsatz kommen. Als Beispiele für Reaktionen, bei denen in jüngster Zeit große Fortschritte in der Katalyse mit Eisenverbindungen erzielt wurden, dienen der Aufbau von Biaryl-Verbindungen durch eine eisenkatalysierte oxidative Knüpfung von Aryl-Aryl-Bindungen sowie die Wacker-Oxidation. Die so dargestellten Substanzen eignen sich entweder als Ausgangsmaterialien für die Synthese von Wirkstoffen oder repräsentieren wichtige Basischemikalien.
Vortrag am 9.11.2018
Christiane Wiesenfeldt (Weimar), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Dr. phil., Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Historische Musikwissenschaft am gemeinsamen Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und der Friedrich-Schiller-Universität-Jena; am 13. Februar 2015 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: 15. bis 20. Jahrhundert, mit Schwerpunkten auf der Musik der Frühen Neuzeit sowie des 19. Jahrhunderts.
Selbstthematisierung als Identitätskonzept in der frühen Neuzeit – „Musik über Musik“ bei Tomas Luís de Victoria
Dass sich die Identität eines Komponisten im Humanismus herausbilde, dass er sich als Künstler qua „ingenium“ von allen irdischen Bindungen emanzipiere, ist spätestens seit Jacob Burckhardt ein liebevoll gepflegtes Geschichtsbild der Renaissance-Forschung. Wie diese Identitätsbildung jedoch vonstatten ging, in welchen Kontexten, unter welchen Bedingungen und mithilfe welcher Kunstwerke und Kunstmittel sie sich vollzog, wurde in der Musikforschung bislang seltener an konkreten Beispielen diskutiert als an unhinterfragte Meta-Narrative der Komponisten-Emanzipation gebunden. Ein Blick auf den spanischen Renaissance-Komponisten Tomás Luis de Victoria (ca. 1548–1611) verspricht hier gleich aus mehreren Perspektiven näheren Aufschluss, standen doch sowohl seine Biographie als auch sein Schaffen unter stetigem Verortungsdruck: Einerseits wurde er jesuitisch geschult und katholisch getauft, unterrichtete zunächst als Spanier – als „homine hispano“, wie er sich selbst bezeichnete – in Rom am Collegium Germanicum deutsche Studenten und kehrte für sodann die letzten 25 Jahre seines Lebens nach Spanien zurück, wo er in weltliche Dienste genommen wurde. Andererseits zeigen seine vier großen Bücher mit mehrstimmigen Messkompositionen und das 1605 zuletzt publizierte „Officium Defunctorum“ einen seine nationalen, generativen und institutionellen Bindungen zunehmend ausblendenden Komponisten, der seine Musik nurmehr selbstbezüglich, das heißt über eigene Musik, komponiert und nicht zuletzt – sofern man das überlieferte Schaffen als vollständig ansehen darf – mit dem Officium einen ebenso hochgradig komplexen wie deutungsschweren Doppelstrich unter sein Lebenswerk zieht. Der Frage nach der Bedeutung dieser ungewöhnlichen Individualisierungsbestrebungen für das Komponieren von geistlicher Musik um 1600 im Speziellen und das Selbstverständnis von Künstlertum im Allgemeinen soll in dem Vortrag auf den Grund gegangen werden.
Vortrag am 9.11.2018
Harald Rohm (Dresden), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse
Dr. nat. techn.habil., Professor für Lebensmitteltechnik an der Fakultät Maschinenwesen der Technischen Universität Dresden, am 10. Februar 2017 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Lebensmitteltechnologische Fragestellungen (vor allem im Bereich Milchprodukte, Süßwaren und Backwaren), technofunktionelle Eigenschaften von Biopolymeren, mikrobielle Exopolysaccharide, Lebensmittelrheologie, Hochgeschwindigkeitsschneiden.
Lebensmittelkonservierung im Wandel der Zeit
Das Haltbarmachen spielt in der Wertschöpfungskette, die aus landwirtschaftlichen Rohstoffen Lebensmittel generiert, eine zentraler Rolle. Die dahinter stehende Zielsetzung, nämlich die Bereitstellung von unbedenklich zu genießenden Produkten, die über eine definierte Zeitspanne ohne merkbare Qualitätsveränderungen stabil bleiben, hat sich seit der Entwicklung der modernen Lebensmitteltechnologie nicht gravierend verändert. Treiber für technologische Weiterentwicklungen sind in diesem Zusammenhang vor allem die massiv veränderten Strukturen und Größenordnungen in der Urproduktion, in der Verarbeitung und in den nachfolgenden Vermarktungswegen. Zusätzlich spielt der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn bezüglich der Zeitabhängigkeit von in Lebensmitteln auftretenden chemischen, physikalischen und biologisch induzierten Qualitätsveränderungen eine mindestens ebenso große Rolle wie der technische Fortschritt, frei nach dem Motto „Citius, fortius, altius“ (schneller, stärker, höher).
Im Vortrag werden, ausgehend von der Motivation, den rechtlichen Vorgaben sowie den sich im Lauf der Zeit verändernden Sichtweisen auf die bedeutendsten Erreger von lebensmittelbedingten Erkrankungen, die grundsätzlichen Verfahren zur Haltbarmachung von Lebensmitteln erörtert. Am Beispiel Milch werden anschließend die Entwicklung von Sichtweisen und technischen Verfahren zur thermischen und mechano-thermischen Bearbeitung dargestellt. Der Vortrag schließt mit einem Ausblick auf den gegenwärtigen Stand der Entwicklung, vor allem in Hinblick auf nicht-thermische Konservierungsverfahren.
Vortrag am 12.10.2018
Kai-Uwe Sattler (Ilmenau), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse
Dr.-Ing. habil., Professor für Datenbanken und Informationssysteme an der TU Ilmenau; am 10. Februar 2017 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Skalierbares Datenmanagement; Architekturen von Datenbanksystemen; Datenstromverarbeitung.
Datenmanagementsysteme für zukünftige Hardware
Datenmanagementsysteme haben sich in den letzten 30 Jahren zu einem Milliardenmarkt entwickelt und bilden heute das Herzstück nahezu aller unternehmenskritischen IT-Systeme. Dies gilt nicht nur für die betriebswirtschaftliche Domäne, sondern auch zunehmend für viele Bereiche wie ingenieurtechnische Anwendungsfelder (Internet der Dinge oder Industrie 4.0 mit umfassender Sensordatenerfassung und -verarbeitung) über die medizinische Datenverarbeitung bis hin zu den Naturwissenschaften, in denen Datenauswertung („eScience“) vielfach als das vierte Wissenschaftsparadigma gesehen wird. Auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften kommt der Analyse großer Datenmengen eine immer größere Bedeutung zu („Digital Humanities“).
Diese Trends stellen jedoch neue Anforderungen an das Datenmanagement, die adressiert werden müssen. So können u.a. Sensoren in kürzester Zeit Daten im Petabyte-Bereich produzieren, die möglichst sofort verarbeitet werden sollen. In vielen Anwendungen sind Daten längst nicht mehr in einfachen Tabellen organisiert, sondern bilden komplexe Graphen oder liegen nur in Texten, Bildern, Rasterdaten oder Videos vor. Schließlich erfordern die großen Datenmengen und deren Analyse auch die Integration komplexer anwendungsspezifischer Verarbeitungsoperationen.
Im Vortrag werden ausgehend vom aktuellen Stand der Technik im Bereich Datenmanagementsysteme und einer Diskussion dieser Anforderungen aktuelle Forschungsfragen aufgegriffen. Im Mittelpunkt stehen dabei Möglichkeiten und Herausforderungen, die moderne und zukünftige Hardwaretechnologien wie Spezialprozessoren, Hochgeschwindigkeitsnetze und neue Speichertechnologien für Datenmanagementsysteme bieten, um die neuen Anforderungen adressieren zu können.
So wird gezeigt, wie Grafikprozessoren zur Beschleunigung von Datenbankindexierung und Datenbankoperationen eingesetzt werden können und wie mit den sich daraus ergebenden heterogenen Architekturen umgegangen werden muss. Ein zweites Themenfeld betrifft die Nutzung und Herausforderung von massiver Parallelität auf Vielkernprozessoren für die Datenbankverarbeitung. Weiterhin werden Möglichkeiten und technische Konsequenzen von aktuellen Entwicklungen im Bereich Hauptspeichertechnologie – konkret nicht-volatile Speicher – diskutiert, indem eigene Arbeiten zu spezialisierten Datenstrukturen vorgestellt werden. Schließlich wird der Aspekt der massiv verteilten Verarbeitung in Rechenclustern am Beispiel der skalierbaren Analyse spatio-temporaler Daten vorgestellt. Der Vortrag schließt mit einem Ausblick auf zu erwartende Hardwareentwicklungen und deren möglichen Einfluss auf Datenmanagementsysteme und ihre Architekturen.
Vortrag am 12.10.2018
Roland Sauerbrey (Dresden), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Dr. rer. nat., Professor für Physik an der Technischen Universität Dresden und Wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf, am 9. Januar 1998 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Laser-Plasma-Wechselwirkung, Neue Konzepte für Teilchenbeschleuniger, Wissenschaftsmanagement.
Die Kraft des Lichtes
Für Lichtintensitäten oberhalb von 1018 W/cm2 wird die Wechselwirkung von Licht und Materie relativistisch. Die Propagation von Licht in Materie ändert sich für hohe Laserintensitäten dramatisch und neue optische Phänomene treten in Erscheinung. Einer der interessantesten neuen Effekte ist die Beschleunigung geladener Teilchen durch hochintensives (1019 – 1022 W/cm2) Laserlicht. Dadurch werden neuartige Beschleunigerkonzepte möglich, die auch interessante Anwendungen etwa in der Strahlentherapie von Krebs versprechen. Hohe elektrische Felder des Laserlichtes (1013 – 1014 V/m) können auch Anregungen von Atomkernen oder Modifikationen der optischen Eigenschaften des Vakuums induzieren.
Vortrag am 8.6.2018
Marius Grundmann (Leipzig), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Dr. rer. nat., Professor für Experimentelle Physik an der Universität Leipzig, am 12. Februar 2016 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Halbleiterphysik; Nanotechnologie; Materialwissenschaft.
Neues zur Kristalloptik bei Dissipation: Singuläre Achsen und Topologie Exzeptioneller Punkte
In Studien zur transparenten Elektronik können optisch isotrope (kubisches CuI, In2O3), optische einachsige (hexagonales ZnO) und optisch zweiachsige (monoklines Ga2O3) Materialien angetroffen werden. Neben deren elektrischen Eigenschaften für Bauelemente sind auch deren optische Eigenschaften relevant.
Für die Physik optisch anisotroper Kristalle ist insbesondere die Tensor-Eigenschaft der dielektrischen Funktion wichtig. Dazu kommen bekanntere Eigenheiten wie optische Achsen, Doppelbrechung sowie ordentlicher und außerordentlicher Strahl. Im Vortrag wird skizziert, wie erstmalig die Raman-Streuung in uniaxialen und biaxialen Kristallen richtig zu beschreiben ist.
Die dielektrische Funktion ist im Transparenzbereich reell-wertig, im Absorptionsbereich kommen imaginäre Anteile dazu und der Tensor ist komplex-wertig. Ein weitgehend in Vergessenheit geratener Effekt ist die Aufspaltung der zwei optischen Achsen von optisch biaxialen Kristallen (d.h. für orthorhombische, monokline und trikline Kristalle) im Transparenzbereich in vier Windungsachsen, wenn die Lichtwellenlänge im Absorptionsbereich des Kristalls liegt.
Mittels spektroskopischer Ellipsometrie wurde erstmals für ein Material (Ga2O3) die spektrale Dispersion der Winkellage der Windungsachsen bestimmt. Diese Richtungen heißen auch singuläre Achsen und ergeben sich aus den entarteten Eigenwerten einer symmetrischen (nicht-hermitischen!), komplexen 2´2-Matrix, die mit dem (komplexen) dielektrischen Tensor verbunden ist. Das mathematisch Besondere ist, dass es zu entarteten (komplexen) Eigenwerten (exzeptioneller Punkt) nur einen einzigen Eigenvektor gibt.
Dies bedeutet physikalisch, dass entlang einer singulären Achse nur jeweils eine der beiden Zirkular-Polarisationen einen Eigenzustand darstellt und sich ungestört fortpflanzt; damit hat diese Richtung chiralen Charakter. Letzen Endes entsteht dies durch die Brechung der Zeitumkehr-Symmetrie durch Dissipation. Weitere Untersuchungen erstrecken sich auch auf die Effekte durch Anwesenheit von optischer Aktivität, die wir an einem KTP-Kristall (KTiOPO4) experimentell beobachtet haben.
Ähnliche Effekte wurden auch in anisotropen photonischen Kristallen festgestellt. In sogenannten anisotropen Mikrokavitäten führt selbst im spektralen Bereich, in dem alle beteiligten Materialien völlig transparent sind, die Tatsache, dass der optische Resonator, der durch zwei hochreflektierende Bragg-Spiegel gebildet wird, prinzipiell offen ist, zu exzeptionellen Punkten, die theoretisch vorausgesagt und inzwischen auch experimentell nachgewiesen wurden.
Vortrag am 8.6.2018
Enno Bünz (Leipzig), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Dr. phil. habil., Professor für Sächsische Landesgeschichte an der Universität Leipzig, am 10. Februar 2017 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Deutsche und vergleichende Landesgeschichte (vor allem Sachsen, Thüringen, Franken und Schleswig-Holstein), Geschichte des Hoch- und Spätmittelalters und der Reformationszeit, Historische Hilfswissenschaften (bes. Diplomatik und Siegelkunde).
Der Leibarzt - ein neues Phänomen an den Fürstenhöfen des späten Mittelalters
Der gelehrte Leibarzt, der „physicus“, der sich bereits im 12. Jahrhundert an manchen europäischen Königshöfen nachweisen lässt, wird im späten Mittelalter zu einem neuen Phänomen an den Fürstenhöfen, das in landesgeschichtlich vergleichender Betrachtung exemplarisch behandelt werden soll.
An den spätmittelalterlichen Höfen vollzieht sich nicht nur ein Prozess der Akademisierung, von dem die „physici“ profitieren, sondern auch ein Prozess der Professionalisierung, an dem Heilkundige aller Art partizipieren. Neben den Leibärzten haben deshalb medizinische Praktiker wie Chirurgen oder jüdische Ärzte stets auch eine Rolle gespielt. Diese Beobachtung dürfte auch mit Blick auf die Frage nach dem Nutzen medizinischer Fachleute von Bedeutung sein.
Ungeachtet ihres praktischen Nutzens gehören Leibärzte jedoch im späten Mittelalter zum repräsentativen Personal eines Fürstenhofes von Rang. Die gelehrten Leibärzte sind allerdings nicht nur Teil der Geschichte der Höfe und Residenzen. Neben ihrer Dienstbindung an den Fürsten sind sie vielfach als Stadtärzte und als Universitätsgelehrte tätig, wie sich exemplarisch für das Herzogtum Württemberg zeigen lässt.
Kurzum: Der Leibarzt ist zwar ein neues Phänomen an den Höfen des späten Mittelalters, aber seine Bedeutung kann allein aus der Perspektive des Hofes nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr soll deutlich werden, dass sich die Tätigkeit der Leibärzte im Dreieck von Hof, Stadt und Universität entfaltet hat. Damit werden Wechselwirkungen zwischen zentralen Institutionen des späten Mittelalters erkennbar, die weiterer vergleichender Erforschung bedürfen.
Vortrag am 4.5.2018
Erich Miersemann (Leipzig), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Dr. rer. nat. habil., em. Professor für Mathematik an der Universität Leipzig, am 11. Februar 2005 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Variationsrechnung, Kontinuumsmechanik, Mathematische Theorie der Kapillarität.
Oberflächenspannung und Randkontaktwinkel
Die Weltraumtechnologie und die Mikromechanik erfordern eine genaue Kenntnis des Verhaltens von Flüssigkeiten in Grenzsituationen wie geringe Schwerkraft und kleine Volumina. Wichtige Kenngrößen sind dabei die Oberflächenspannung und der Randkontaktwinkel.
Die Oberflächenspannung ist das Verhältnis aus der Arbeit die nötig ist um zusätzlichen Flächeninhalt der Trennfläche zwischen der Flüssigkeit und dem angrenzenden Gas zu erzeugen und diesem Flächeninhalt. Der Randkontaktwinkel ist der Winkel den die Flüssigkeit mit dem festen Material bildet. Im Vortrag werden die mathematischen Grundlagen von Kraftmethoden und Anstiegsmethoden zur Bestimmung der Oberflächenspannung besprochen.
Bei einer der Kraftmethoden (Wilhelmy-Plattenmethode) wird eine dünne Platte vertikal in eine Flüssigkeit gehalten und die Kraft gemessen mit der die Platte in die Flüssigkeit gezogen wird. Daraus bestimmt man die Oberflächenspannung der Flüssigkeit.
Eine Anstiegsmethode besteht darin, dass der Anstieg der Flüssigkeit innerhalb einer Kapillare gemessen wird. Daraus findet man die Oberflächenspannung .
Sowohl die Kraft als auch die Anstiegsmethode gehen davon aus, dass der Randkontaktwinkel bekannt ist. Ein neues inzwischen patentiertes Verfahren kommt ohne diese Voraussetzung aus. Schließlich findet man bei bekannter Oberflächenspannung den Randkontaktwinkel mittels der Anstiegsmethode.
Vortrag am 4.5.2018
Christos G. Aneziris (Freiberg), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse
Dr.-Ing. habil., Professor für Keramik an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg; am 13. Februar 2009 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsgebiete: Entwicklung von thermoschock- und korrosionsbeständigen keramischen Werkstoffen für Hochtemperaturanwendungen in Metallurgie, Zement-, Kalk-, Glasindustrie und Energietechnik, Makro- und Mikroprozessoptimierung von offenporösen Keramiken für Hochtemperaturanwendungen, Mikrostrukturelle Modifizierung von ionenleitenden Keramiken für Sensoranwendungen, Alkalikorrosionsbeständige Wärmedämmstoffe, Metall-Matrix-Komposit-Keramiken für Hochtemperatur- und Verschleißanwendungen, Gießformgebung von fein- und grobkörnigen keramischen Werkstoffen (Druckschlickergusstechnologie), Optimierung und Weiterentwicklung von keramischen Formgebungstechnologien (Pressen, Strangpressen und Gießen).
Clean Steel - Technologien auf der Basis von Wechselwirkungen von funktionalisierten Filtersystemen mit Stahlschmelzen
Nichtmetallische Einschlüsse sind eine arge Last für Stahlgießereien und deren Kunden. Sie reichen von großen, leicht erkennbaren Feuerfest- und Schlackeneinschlüssen (exogene Einschlüsse) bis hin zu Desoxidationsprodukten im Mikron- und Submikron-Bereich (endogene Einschlüsse). Abhilfe schaffen maßgeschneiderte keramische Filter, die während des Stahlgusses im Strahleingang positioniert werden. Solche Filter auf der Basis von Schaumkeramiken sind seit ca. 30 Jahren in Eisen- und seit ca.10 Jahren in Stahlanwendungen bekannt.
Der Sonderforschungsbereich 920 „Multifunktionale Filter für die Metallschmelzefiltration- ein Beitrag zu Zero Defect Materials“ beschäftigt sich mit der Erforschung von intelligenten Filterwerkstoffen und Filtersystemen zur Reinigung von metallischen Schmelzen für Produkte und Prozesse von Morgen mit bahnbrechenden Funktionseigenschaften. Dünnwandige Aluminium- und Magnesium-Komponenten für die Mobilität, hochbelastete Sicherheitsbauteile auf Basis Stahl für den Maschinenbau oder halbleitende Materialien aus Recycling-Prozessen auf Si-Basis für die Solar- und Informationstechnik verlangen extreme Anforderungen hinsichtlich der im Bauteil befindlichen Verunreinigungen.
Der SFB setzt sich schwerpunktmäßig mit der modellunterstützten Erforschung von funktionalisierten Filterwerkstoffen unterschiedlicher Filterchemie und Filteroberflächenbeschaffenheit und insbesondere mit der Auslegung von kombinierten Filtersystemen im Sinne neuartiger Reinigungstechnologien mit Hilfe von hochporösen aktiven oder reaktiven, keramischen Makro- und Mikrostrukturen auseinander.
Über unterschiedlich wirkende Reinigungsmechanismen und Reinigungskinetik soll eine neue Qualität hochreinerer und fehlerfreierer Werkstoffe der Zukunft für den breiten kommerziellen Einsatz generiert werden, die unter ökonomischen und ökologischen Aspekten bei der Gesamt-Energiebilanz-Betrachtung an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit vorstoßen.
Einen essentiellen Beitrag leisten für die Stahlschmelzefiltration reaktive, kohlenstoffhaltige Filteroberflächen, die erst in Kontakt mit den Metallschmelzen reagieren, gasförmige Produkte generieren und mit den in den Schmelzen gelösten Gasen oder Legierungselementen a) zu in-situ Schichtbildungen auf den Filtern mit eingebetteten oder abgeschiedenen endogenen Einschlüssen beitragen bzw. b) Gasblasen generieren, die eine Art Flotation von Einschlüssen ermöglichen und damit erstmalig in kürzester Behandlungszeit von ca. 10 sec eine Reduzierung von Al2O3-Einschlüssen bis nahe 100 % realisieren. Diese Filtrationsbeiträge dieser Filtersysteme werden am Beispiel Stahlgusssimulator, Formguss, Unterguss und Strangguss demonstriert.
Festvortrag zur Öffentlichen Frühjahrssitzung am 13.4.2018
Stefan Odenbach (Dresden), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse
Dr. rer. nat. Ing. habil., Professor für Magnetofluiddynamik an der Fakultät Maschinenwesen der Technischen Universität Dresden; am 8. Februar 2008 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsgebiete: Strömungsmechanik komplexer Fluide, Rheologie, Messtechnik.
Können Materialien smart sein? Faszination magnetischer Hybridmaterialien
Der Begriff der „Smart Materials“ zieht sich seit vielen Jahren sowohl durch die wissenschaftliche Fachliteratur als auch durch die Presse im Allgemeinen. Dabei stellt sich die Frage, was darunter eigentlich zu verstehen ist? Blickt man hier in die Literatur, so wird in der Regel davon ausgegangen, dass es sich um Materialien handelt, deren Eigenschaften durch externe Stimuli verändert werden können. Dabei ist die Zahl möglicher Stimuli unglaublich groß.
Blickt man auf Materialien, deren Beeinflussbarkeit technisch nutzbar ist, so stellen magnetische Hybridmaterialien quasi einen Prototyp der Klasse der „Smart Materials“ dar. Diese Materialien, die aus magnetischen Nano- oder Mikropartikeln in einer nichtmagnetischen Matrix bestehen, können durch die Wirkung magnetischer Felder gesteuert werden.
Wählt man als Matrixmaterial eine einfache newtonsche Flüssigkeit, so erhält man je nachdem, ob magnetische Nano- oder Mikropartikel eingesetzt werden, Ferrofluide oder magnetorheologische Flüssigkeiten. Alleine die Änderung der Partikelgröße führt hier zu signifikanten Veränderungen des Materialverhaltens im Magnetfeld. Während Ferrofluide nicht nur eine Veränderung ihrer Eigenschaften im Feld erlauben sondern auch eine aktive magnetische Strömungskontrolle, können in magnetorheologischen Fluiden magnetisch induzierte Fließgrenzen eingestellt werden, die z.B. für technisch relevante Kraftübertragungen eingesetzt werden können.
Noch umfangreicher wird die Möglichkeit zur Beeinflussung der Materialeigenschaften, wenn man anstelle einer einfachen newtonschen Flüssigkeit komplexere Materialien für die nichtmagnetische Matrix verwendet. Flüssigkristalle, Polymerlösungen oder Blut können hier – auch mit klar anwendungsrelevantem Bezug – das Spektrum der fluiden magnetischen Hybridmaterialien deutlich erweitern.
Verwendet man anstelle fluider Matrixmaterialien Elastomere oder Gele so erzeugt man eine neue Materialklasse, die seit rund 15 Jahren erforscht und üblicherweise als magnetische Elastomere bezeichnet wird. In diesen Materialien können sowohl der Elastizitätsmodul durch magnetische Felder beeinflusst als auch aktuatorische Deformationen des Materials induziert werden. Auch bei diesen Materialien bietet die Möglichkeit, die magnetische wie auch die nichtmagnetische Komponente zu variieren, die Chance, maßgeschneiderte Materialien für bestimmte Anwendungen zu erzeugen.
Allerdings erfordert eine zielgerichtete Einstellung der Materialeigenschaften ein detailliertes, skalenübergreifendes Verständnis des Materialverhaltens. An dieser Stelle müssen mikrostrukturelle Veränderungen mit Variationen des Materialverhaltens zusammengebracht werden, wozu z.B. die Röntgen-Mikrotomographie ein hervorragendes Werkzeug darstellt.
Im Rahmen des Vortrags werden magnetische Hybridmaterialien als Prototyp der Klasse der „Smart Materials“ vorgestellt, ihre skalenübergreifende Erforschung thematisiert und mögliche Anwendungen in unterschiedlichsten Gebieten kurz dargestellt.
Vortrag am 9.3.2018
Viktor Mechtcherine (Dresden), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse
Dr.-Ing., Professor und Direktor des Instituts für Baustoffe und Lehrstuhlinhaber an der Technischen Universität Dresden; am 10. Februar 2017 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsgebiete: Forschungsschwerpunkte: Entwicklung neuer, nachhaltiger, zementbasierter Verbundwerkstoffe, maßgeschneiderter Werkstoffdesign auf Grundlagen der Chemie, Rheologie, Bruchmechanik, etc., Untersuchung der Kurz- und Langzeiteigenschaften von neuen und bestehenden Baustoffen auf mineralischer Basis (Beton, Mörtel, Mauerwerk); Erforschung der für das Materialverhalten maßgebenden Mechanismen sowie der Mittel zu deren gezielten Beeinflussung; Modellierung des Baustoffverhaltens.
Digitales Bauen mit Beton – Herausforderungen und Lösungsansätze
In den vergangenen Jahren wurde in vielen Industriezweigen der Übergang zu einer durchgehenden digital gesteuerten Wertschöpfungskette (Industrie 4.0) begonnen und teilweise schon vollzogen. Für die Einführung von Industrie 4.0 im Bauwesen ist es notwendig, dass die bereits vorhandenen Werkzeuge der digitalen Bauplanung (CAD, BIM, etc.) durch die bisher weitgehend fehlenden Werkzeuge der digitalen Produktion zu einem kompletten System vervollständigt werden.
Das Bauen mit Beton ist die weltweit mit Abstand dominierende Bauweise mit einem jährlichen Materialumsatz von mehreren Milliarden Kubikmetern. Aktuell ist die Arbeitsweise im Betonbau durch einen hohen manuellen Aufwand sowie den begrenzten Einsatz von Mechanisierungskomponenten gekennzeichnet. Das Verbesserungspotential durch Digitalisierung ist immens. Die wichtigsten Aspekte sind:
- Steigerung der Produktivität, Senkung der Herstellkosten, Beschleunigung des Bauprozesses (die Attraktivität steigt mit steigender Komplexität und Individualität der Bauteile bzw. Bauwerke);
- große Gestaltungsmöglichkeiten der Bauteilgeometrie, hohes Potential zur Entwicklung neuer architektonischer Formen und statischer Bemessungskonzepte (u.a. durch die Natur inspirierte Bauelemente und die Umsetzung des Prinzips form follows force); - hohe Flexibilität des Bauprozesses (print on demand). Neben diesen offensichtlichen Vorteilen kann die Digitalisierung in der Bauproduktion entscheidend zur Lösung unterschiedlicher bestehender Probleme und Herausforderungen beitragen, wie z.B.:
- Mangel an qualifizierten Bauarbeitern (weltweites Problem; auch in den Ländern, in denen Arbeitskräfte in Fülle zur Verfügung stehen);
- Knappheit der Ressourcen an Ausgangsstoffen, Umweltverträglichkeit des Bauens (Verzicht auf Schalung und deren Entsorgung, materialsparende Bauteilgeometrie, Minimierung des Abfalls, Optimierung der Bauabläufe etc.);
- Arbeiten in schwer zugänglichen bzw. gefährlichen Bereichen oder weit entlegenen Gegenden.
Diverse Konzepte des digitalen Betonbaus werden bereits in einigen Ländern an ersten Pilotprojekten hinsichtlich der Praxiseignung validiert. Zum einen werden neue maschinelle Lösungen für den 3D-Betondruck entwickelt. Dies bezieht sich sowohl auf die Funktionalitäten und Konstruktion des Druckkopfes als auch auf die Systeme für seine computergesteuerte Führung gemäß der in die sogenannten G-Codes übersetzten CAD-Pläne. Zum anderen sind gute Fortschritte im Hinblick auf die Beherrschung des rheologischen Verhaltens von frischem und erhärtendem Beton als wissenschaftliche Grundlage zur Gestaltung des Druckprozesses zu verzeichnen. Spezifische rheologische Eigenschaften einschließlich deren gezielter zeitlicher Entwicklung sind für die Gewährleistung der hinreichenden Pumpbarkeit, Extrudierbarkeit, Verbaubarkeit (Formstabilität beim Aufbringen der nachfolgenden Schichten) sowie des Verbundes zwischen den einzelnen Schichten gefordert. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Steuerung der thixotropischen Eigenschaften und der Hydratationskinetik von Frischbeton sowie die Verlinkung des rheologischen Verhaltens mit den Betriebsparametern des digitalen Fertigungsprozesses unter Berücksichtigung der angewendeten Maschinentechnik.
Im Vortrag werden maßgebliche generative Fertigungsverfahren mit Beton vorgestellt, die Hauptmerkmale dieser Verfahren dargelegt und im Hinblick auf die folgenden Punkte diskutiert: a) das Material, b) die Prozessgestaltung und Maschinentechnik sowie c) die architektonische Gestaltung und statische Bemessung. Darüber hinaus werden rheologische Grundlagen angesprochen, die für die gezielte Gestaltung der Produktionsprozesse benötigt werden. Schließlich wird kurz auf solche praxisrelevanten Fragestellungen wie Integration der Bewehrung, Schwinden und Rissneigung sowie Dauerhaftigkeit eingegangen.
Vortrag am 9.3.2018
Helga Bumke (Halle), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Dr. phil. habil., Professorin für Klassische Archäologie an MLU Halle-Wittenberg; am 10. Februar 2017 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsgebiete: Archäologie der griechischen Religion, insbesondere griechische Heiligtümer und Kulte, Ikonographie und Skulptur der griechischen Antike, Topographie Kleinasiens.
Mehr als nur ein Tempel. Wiederentdeckung und Rekonstruktion des unbekannten Heiligtums von Didyma
Das an der türkischen Westküste gelegene, sog. Apollonheiligtum von Didyma gehörte als extraurbane Kultstätte der griechischen Stadt Milet bereits im 6. Jh. v. Chr. zu den berühmtesten Orakelstätten der Antike. Sichtbaren Ausdruck fand seine Bedeutung bereits damals in einem monumentalen Tempel, dessen hellenistischer Nachfolgebau zwischen 1906 und 1913 freigelegt wurde und heute noch dominierend in Erscheinung tritt. Obwohl den schriftlichen Zeugnissen zu entnehmen ist, dass Didyma mit weiteren Bauten und Kultstätten weitaus komplexer gewesen sein muss, blieben die übrigen Strukturen des berühmten Heiligtumes aber weitgehend im Verborgenen. Seit Freilegung des Apollontempels vor über 100 Jahren gelang es erst wieder, im Rahmen der Ausgrabungen des Projektes ʽKulte im Kultʼ der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste Großbauten und andere sakrale Einrichtungen des Heiligtums zu lokalisieren und freizulegen. Durch die Auswertung der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Zeugnisse älterer Grabungen sowie die Rekonstruktion des antiken Geländeprofils konnte ein völlig neues Bild von der einstigen Gestalt dieses Heiligtumes gewonnen werden. So wurden die Fundamente eines Theaters, eines Tempels und eines weiteren, wahrscheinlich ebenfalls sakralen Gebäudes entdeckt. Außer diesen Baustrukturen trat schließlich auch ein deponierter Komplex von qualitativ hochwertigem Votivmaterial des 6. Jhs. v. Chr. zutage, der Reste von Hunderten von Weihgaben umfasst. Als Bestandteil eines archaischen Kultbezirkes innerhalb des Gesamtheiligtumes vermag der Befund wichtigen Aufschluss über die Kulttopographie und Geschichte von Didyma in dieser frühen Phase zu geben. Darüber hinaus erlaubt die Analyse der vielfältigen Votivgaben aber nicht nur Rückschlüsse auf die lokale und internationale Bedeutung des Heiligtumes, sondern liefert auch Anhaltspunkte für die Bestimmung seiner Funktion.
Abgesehen von der Auswertung der Befunde und Funde sowie der Rekonstruktion der architektonischen Anlagen konzentriert sich die Untersuchung vor allem darauf, unter Berücksichtigung der umfangreichen schriftlichen Überlieferung die Funktionen der neuentdeckten Kultanlagen bzw. Kultplätze innerhalb von Didyma zu erschließen und ggf. die hier verehrten Gottheiten mit ihren Wirkungsbereichen zu identifizieren – gilt es doch, die sakralen Strukturen dieses extraurbanen Heiligtumes zu rekonstruieren und das spezifische Profil der hier verehrten Gottheiten wie auch die wechselseitige Beziehung ihrer religiösen Funktionen zu ermitteln. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Göttin Artemis, die an der Seite ihres Bruders Apollon in Didyma eine bedeutende Position einnahm und den antiken Schriftquellen zufolge einen eigenen Kultbezirk im Gesamtheiligtum besessen haben muss. Die Rekonstruktion ihrer sakralen Funktionen, die auf eine ungewöhnliche Einbindung der Göttin in den Orakelkult hindeuten, und die Lokalisation ihrer Kultstätte gehören zu den zentralen Fragen der aktuellen Forschungen, die im Vortrag vorgestellt werden sollen.
Vortrag am 9.2.2018
Ortrun Riha (Leipzig), Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
Dr. med., Dr. phil., Professorin für Geschichte der Medizin am Karl-Sudhoff-Institut der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, am 11. April 2003 zum Ordentlichen Mitglied der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Hauptarbeitsgebiete: Alte Medizin, Medizin und Literatur, Frau und Medizin, Ethik in der Medizin.
Alterität und Ambiguitätstoleranz – Wahrnehmungs- und Deutungsmuster in der mittelalterlichen Medizin
Aus heutiger Sicht mutet die mittelalterliche Heilkunde in mehrfacher Hinsicht unwissenschaftlich an: Es dominierte die deduktive Argumentation auf der Basis einer unhinterfragten Theorie (der Vier-Säfte-Lehre), Empirie hatte einen negativen Beigeschmack (angeblich verlassen sich nur Ungebildete auf Erfahrung) und allenthalben stößt man in den Quellen auf magische Praktiken: Krankheitsvorstellungen und Therapieansätze waren ganz anders als in der heutigen Medizin. Der Vortrag lädt dazu ein, sich auf dieses andere Denken einzulassen und die Rationalität einer naturphilosophisch begründeten Heilkunde nachzuvollziehen, in der „Wissen“, „Erfahrung“ und „Forschung“ selbstverständlich existierten, aber in einer anderen als der modernen Bedeutung. Ein sensibilisierter Blick für den Konstruktcharakter der Wirklichkeit ist ein wesentlicher Aspekt dessen, was wir aus der Beschäftigung mit der mittelalterlichen Heilkunde lernen können.
Im frühen Mittelalter dominierte das geistliche Erkenntnisinteresse den naturkundlichen Diskurs, doch im 12. Jahrhundert setzte sich auch im monastischen Kontext unter direktem oder indirektem Rückgriff auf die Antike eine säkulare gelehrte Medizin durch, die wesentliche Impulse den Kontakten mit dem islamischen Kulturkreis verdankte, wo das antike Erbe gepflegt wurde. Gleichzeitig erlebte die praxisorientierte Chirurgie zunächst in Italien einen bemerkenswerten Aufschwung und lieferte – bei weiterhin bestehender Verankerung in der Säftelehre – eine Reihe von Innovationen, die über die Epochenschwelle hinaus Bestand hatten.
Medizin muss sich im Alltag bewähren; auf welcher theoretischen Grundlage sie das tut, spielt für die Patienten keine Rolle, denn „Wer heilt, hat recht“. Anhand von Textbeispielen zu Diagnostik und Therapie werden typische Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der mittelalterlichen Medizin demonstriert und in den Dimensionen ihrer Leistungsfähigkeit analysiert.
Vortrag am 9.2.2018
Lothar Kreiser (Leipzig), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Dr. phil. habil., em. Professor für Klassische Logik und Logische Semantik an der Universität Leipzig; am 10. März 1995 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Logik (Neuzeit bis Gegenwart), Logische Semantik.
Epistemische Überzeugungslogik
1. Eine epistemische Überzeugung ist die Annahme eines Sprechers/Schreibers x, dass ein sinnvoller Satz H zum Zeitpunkt t wahr ist.
Es wird davon ausgegangen, dass die Überzeugung (nicht die Aussage H, die man für wahr hält) einen numerischen Grad k (0 ≦ k ≦ 1) hat: x ist mit dem Grad k davon überzeugt, dass H wahr ist.
Das ist die dem Vortrag zugrunde gelegte Standartformulierung eines Überzeugungssatzes, formal dargestellt durch: φ(x, H).
2. Die Wahrheit einer Aussage H ist subjektunabhängig, die Überzeugung nicht.
3. Die Äquivalenz (H ist gewiss ≣ H ist wahr) ist falsch.
Das Epistemische ist dem Erkennnistheoretischen nicht äuivalent. Z.B. kann H wahr sein, das epistemische Subjekt aber kann mit Gewissheit davon überzeugt sein, dass H falsch ist.
4. Eine Annahme ist durch die Textsorte determiniert, auf die bezogen sie gesetzt wird. Eine Aussage z.B. ist nicht an sich ein Axiom, sondern erst in Relation zu einer gegebenen Menge von Aussagen. Sie hat als Axiom andere Eigenschaften, als z.B. eine Annahme in einer privaten oder öffentlichen Problemskizze, d.h. im Nachdenken über die Lösung einer Aufgabe. Im letzteren Fall ist sie eine der Plausibilität unterliegende Setzung einer Lösungsmöglichkeit, deren im Problemkontext mitgesetzten Folgerungen erst zu ermitteln sind.
6. Der Schreiber einer Problemskizze ist epistemisch in einer anderen Lage, als der Leser dieses Textes. Der Schreiber notiert seiner Überzeugung folgend, er akzeptiert oder verwirft sinnvolle Sätze nach eigenem Ermessen. Er argumentiert vor dem Hintergrund seines Gesamtwissens, auf das er wie auf eine Prämissenmenge zurückgreifen kann, die aber so dem Leser nicht bekannt ist. Dem Schreiber kann z. B. eine Aussage, die dem Leser als Postulat entgegentritt, eine Folgerung sein.
7. Der Schreiber nimmt in der Regel an, dass seine Aussagen wahr sind, dem Leser muss er größere Skepsis bis hin zur Ablehnung zugestehen. Aus dessen Perspektive können im Grenzfall alle Überzeugungssätze des Schreibers einen anderen, sich auf die Anwendbarkeit logischer Schlussregeln auswirkenden Überzeugungsgrad haben – und das von Leser zu Leser.
8. Wenn der Autor und Leser in einen auf Verstehen angelegten Diskurs eintreten wollen, so müssen beide eine wechselseitig akzeptierte logische Grundlage für ihn haben. Sie könnten sich einigen, klassisch-logisch unter Ausschluss der Anwendung von Schlussregeln zu argumentieren, deren inhaltlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind.
9. Mit dem Ausschluss solcher Schlussregeln aus der klassischen Logik ist keineswegs eine solche gemeinsame Basis bereits gefunden. Erstens ist die systematische Gültigkeit der gestrichenen Schlussregeln in der zweiwertigen Logik nicht außer Kraft zu setzen. Ihre Nutzung durch den Diskutanten ist lediglich unter Verbot gestellt. Zweitens ist völlig offen, ob und wenn ja, welche weiteren Verbote die explizit ausgesprochenen Verbote nach sich ziehen.
10. Gesucht ist eine höherwertige Logik, in der die Analoga zu allen klassisch-logischen Regeln ebenfalls Regeln sind, nicht aber die Analoga der zu verwerfenden.
Im Vortrag wird ein System vorgestellt, welches das leistet.
Vortrag am 12.1.2018
Klaus Manger (Jena), Mitglied der Philologisch-historischen Klasse
Dr. phil. habil., em. Professor für Neuere deutsche Literatur an der Friedrich Schiller Universität Jena; am 14. Februar 2003 zum Ordentlichen Mitglied der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt; Mitglied der Vorhabenbezogenen Kommission für das Vorhaben „Edition des Briefwechsels von Johann Christoph Gottsched” der Sächsischen Akademie der Wissenschaften; Vizepräsident und Leiter der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt; seit 1998 Sprecher des Sonderforschungsbereichs 482: Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800.
Hauptarbeitsgebiete: Neuere deutsche Literatur mit den Forschungsschwerpunkten Narrenliteratur um 1500; Kollektive Freiheitsvorstellungen im 17. Jahrhundert (DFG-Projekt); Klassizismus, Aufklärung, Romantik; Kulturelles Gedächtnis um 1800; Epochenmorphologie; Editionen der Werke Johann Karl Wezels und Christoph Martin Wielands; Lyrik des 20. Jahrhunderts (Celan-Kommentierung).
Goethe – Philologie heute
Vortrag am 12.1.2018
Hartmut Friedrich Witte (Ilmenau), Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse
Dr. med., Professor für Biomechatronik am Institut für Mikro- und Nanoechnologien MacroNano®, Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Ilmenau; am 9. Februar 2007 zum Ordentlichen Mitglied der Technikwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Arbeitsgebiete: Biomechatronik: Funktionelle Morphologie – Bionik – Biomedizinische Technik
Biomechatronik – Beispiele für Chancen und Probleme gelebter Interdisziplinarität
„Effizienzsteigerung durch Synergien aus Interdisziplinarität als Zukunftschance“ ist eine jener Worthülsen, mit denen der Frontalangriff auf die Universitäten durch neoliberale Mittelkürzungen seit der Jahrtausendwende kaschiert werden soll. Biomechatronik wurde in Deutschland 2002 etabliert und stellt auch einen Versuch dar, diesen Missbrauch des Inter- oder auch Transdisziplinaritätsbegriffes durch Fortentwicklung seines ursprünglichen Sachinhaltes zu konterkarieren.
Anhand von Beispielen aus der Forschung im Feld zwischen, Biologie, Medizin und Ingenieurwissenschaften lässt sich das Arbeiten beim “Sitzen zwischen allen Stühlen“ konkret beschreiben. Der Raum zwischen den Fächerkulturen und der unterschiedlichen wissenschaftlichen Sozialisation der Kooperationspartner/innen ist stetig neu zu erobern, der Anspruch auf einen Platz sowohl in Grundlagen- als auch Anwendungsforschung für Bionik („Bio für Technik“) wie Biokompatibiltätsforschung („Technik für Bio“) schwer durchzusetzen – belastet mit allen Problemen einer von Pragmatismus getriebenen Forschungsfinanzierung. Die Erfahrung lehrt, dass sich unter dem Synergiebegriff die Aktivitäten nicht auf die Überlappungsbereiche (Schnittmenge) der Lebens- und Ingenieurwissenschaften konzentrieren lassen, sondern dass die zu lösenden fachlichen wie nicht-fachlichen Probleme der gesamten Vereinigungsmenge aller beteiligten Fächer entstammen. Fachlich konnten tragfähige Problemlösungsstrategien erarbeitet werden.