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Anita Steube: Laudatio über Rudolf Růžička zu seinem 80. Geburtstag am 20.12.2000

Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
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Pieter Bruegel der Ältere: Der Turmbau zu Babel, 1563. Kunsthistorisches Museum Wien

Die Sprachwissenschaftliche Kommission widmet dem Ordentlichen Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und Mitglied des Erweiterten Vorstandes der Sprachwissenschaftlichen Kommission, Rudolf Růžička, aus Anlaß seines 80. Geburtstages ihre Öffentliche Sitzung am 11.01.2001.

Rudolf Růžička wurde 1966 zum Ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt, 1972 zum Ordentlichen Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Er war von 1976–1981 auch Mitglied des Präsidiums der SAW. 1994 wurde er Korrespondierendes Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Es sind gerade die aus den Sitzungsberichten hervorgegangenen Plenarvorträge in Berlin und Leipzig, die die Breite der wissenschaftlichen Interessen Rudolf Růžičkas zeigen. Ich erwähne den auf der Öffentlichen Frühjahrssitzung 1976 gehaltenen Vortrag „Historie und Historizität der Junggrammatiker”, der die großen sprachwissenschaftlichen Leistungen um die Jahrhundertwende in ihrer Einbettung in die Entwicklung der linguistischen Wissenschaft kritisch würdigt (vgl. Sitzungsberichte der SAW, Phil.-Hist. Klasse Band 119, Heft 3, Berlin: Akademie-Verlag 1977) und der zum 150-jährigen Jubiläum der SAW 1996 in „Wege und Fortschritte der Wissenschaft”, Berlin: Akademie-Verlag erneut abgedruckt wurde. Ich erwähne auch den Vortrag „Sprachwissen und Sprachkunst, ein Beispiel: die Metapher” von 1981 (vgl. Sitzungsberichte der SAW, Phil.-Hist. Klasse Band 124, Heft4, Berlin: Akademie-Verlag 1983). Hier vergleicht der Jubilar Metaphern aus der Belletristik mit Metaphern aus der Wissenschaftssprache bezüglich der Referenz und Wahrheitsbedingungen metaphorischer Ausdrücke und beschäftigt sich mit ihrer Konstruktion wie mit ihrer Wirkung. Dieser Auseinandersetzung mit der Sprache der Dichtung einerseits und der Sprache der Wissenschaft andererseits entspringt auch der Artikel „Linguistik zwischen Analogie und Anomalie – Werner Krauss zum Gedenken”. Er soll hier jedoch als Hinweis auf die wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Haltung des Jubilars genannt werden. Herr Růžička bestand darauf, diesen Aufsatz zum 10. Geburtstag der Sektion ‘Theoretische und angewandte Sprachwissenschaft’ in ihrer Hauszeitschrift ‘Linguistische Arbeitsberichte’ Nr. 24/1979 zu veröffentlichen und nicht einen Jubiläumsbeitrag über die Entwicklung der Marxistisch-Leninistischen Sprachtheorie, für den er keinen Anlaß sah. Als Herrn Růžička zu seinem 75. Geburtstag ehrend gratuliert worden und dabei sowohl auf seine eindeutige wissenschaftliche Positionierung in der DDR als auch auf seine große Unterstützung bei der Umstrukturierung der Akademien und der Universität Leipzig eingegangen worden war, antwortete er: Das Vertrauen war mir kostbar, nachdem ich ja nicht viel mehr getan habe, als meinen politischen Zugeständnissen nicht zu überschreitende Grenzen zu setzen und in der wissenschaftlichen Arbeit nach bestem Wissen keine zu machen. Seine Kollegen im In- und Ausland und seine Schüler, die die hinter diesen Verallgemeinerungen stehenden Begebenheiten und Konstellationen, die konkreten Arbeitsbedingungen und auch den oft genug von ihm über ihnen geöffneten Schutzschirm nicht vergessen werden, erkennen die Zurückhaltung in der Formulierung.

Rudolf Růžička ist fünf Jahre lang Soldat im 2. Weltkrieg gewesen und konnte erst 1947 wieder beginnen, Slawistik, Anglistik und Philosophie zu studieren. Er zählt Trautmann, Bielfeldt, Steinitz, Frings und Krauss zu seinen akademischen Lehrern. In einem Sonderlehrgang für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Slawistik ist er unter dem Einfluß von Wolfgang Steinitz mit dem wissenschaftlichen Denken des Prager Linguistenkreises in Verbindung gekommen und hat die linguistische Theorieentwicklung in guter kollegialer Verbindung zur Berliner Akademiearbeitsstelle „Strukturelle Grammatik” und ihren Nachfolgeinstitutionen wie zur Prager Arbeitsstelle für „Algebraische Linguistik” konsequent verfolgt und mitgeprägt, insbesondere was diejenigen Strukturen in slawischen Sprachen betrifft, die eine syntaktische, gepaart mit einer semantischen Erklärung verlangen, und manchmal auch eine pragmatische Erklärung. Wenn von Slawischen Sprachen gesprochen wird, dann deshalb, weil das präferent untersuchte Russische von Rudolf Růžička meist auf dem Hintergrund eines typologischen Vergleichs der Slavia beschrieben wird. Auf diesem Untersuchungsgebiet sind mehrere Bücher erschienen: „Studien zur Theorie der russischen Syntax” 1966, „Studien zum Verhältnis von Syntax und Semantik im modernen Russischen” 1980. Herr Růžička gehörte zu den an einer Hand abzählbaren Pionieren generativer Beschreibung slawischer Sprachen weltweit. Diesem Hauptarbeitsfeld ist er bis heute treu geblieben. 1999 hat sich der Jubilar den Wunsch erfüllt, das Buch „Control in Grammar and Pragmatics”, in Amsterdam bei Benjamins zu veröffentlichen, das zudem den Sprachvergleich über die slawischen Sprachen hinaus ausweitet und auch der Lexikonkomponente die ihr im grammatischen Gesamtgefüge zukommende Aufmerksamkeit widmet. Daran anknüpfend ist das Thema des heutigen wissenschaftlichen Vortrages gewählt worden.

Von 1953 bis 1961 hat Rudolf Růžička in Leipzig zunächst am damaligen Slawischen Institut das Fach Russisch in Geschichte und Gegenwart sprachwissenschaftlich vertreten. Nach einer auch sprachhistorischen Dissertation hat er sich 1961 mit der Arbeit „Das syntaktische System der altslavischen Partizipien und sein Verhältnis zum Griechischen” habilitiert. Er erhielt zunächst eine Dozentur am damaligen Institut für Sprachwissenschaft und 1963 den Lehrstuhl mit der Doppelberufung für Slawistik und Allgemeine Sprachwissenschaft. Neben die Vorbildwirkung Roman Jakobsons auf ihn trat zunehmend die der Generativen Grammatik Chomskyscher Prägung. Obwohl in der DDR seit etwa 1960 die Allgemeine Sprachwissenschaft kein eigenes Studienfach mehr sein durfte, hat Herr Růžička mehr als 100 Dissertationen und Habilitationen betreut und begutachtet, er war Gastprofessor in mehreren Ländern, wo ihm hinzureisen verwehrt wurde, allerdings erst nach seiner Emeritierung. Rudolf Růžička war über viele Jahre Mitherausgeber der Zeitschrift für Slavistik und von Russian Linguistics. Er ist Mitglied mehrerer Internationaler und Interdisziplinärer Wissenschaftlicher Gesellschaften. Die Sprachwissenschaftliche Gesellschaft der Tschechischen Akademie der Wissenschaften hat ihn 1992 zu ihrem Ehrenmitglied gewählt.

Die Zahl grammatiktheoretisch anspruchsvoller und methodologisch konsequenter Arbeiten zu slawischen Sprachen hat in den letzten 10 Jahren zwar weltweit, auch im ehemaligen Ostblock, erfreulich zugenommen. Die Vermittlungsfunktion, die Rudolf Růžička aufgrund seiner breiten Profilierung, seiner großen wissenschaftlichen Anerkennung und seiner Persönlichkeitswirkung in der gegenwärtigen Diskussion auszuüben imstande ist, muß aber weiterhin – auch in der Bundesrepublik Deutschland – als sehr wichtig eingestuft werden.

Die Sächsische Akademie ehrt Rudolf Růžička ob der verlässlichen empirischen Fundierung und der maßgebenden Tiefe und Breite seiner sprachwissenschaftlichen Forschungen, für seine profunden kritischen Diskussionsbeiträge, aber nicht weniger für seine Forderung nach Integrität in Auseinandersetzungen jeglicher Art bei eigener Vorbildwirkung. Sein konsequentes Einfordern von an international wichtigen Ergebnissen zu messenden wissenschaftlichen Leistungen hat eine Tradition im Anspruchsdenken errichtet. Diese Art von Tradition muß für die einzig produktive gehalten werden, nämlich, dass jede Wissenschaftlergeneration, optimal vorbereitet, mit den vielversprechendsten Methoden arbeitend, zielstrebig vorwärtsgeht und – nach Möglichkeit – neue Standards setzt. Diese Art von Erziehung machte es seinen Schülern leicht, ihren eigenen Weg zu gehen, und heilsam schwer, diesen durchzuhalten.

Wir wünschen unserem akademischen Lehrer, Kollegen und Freund Rudolf Růžička, dass er sich weiterhin guter Gesundheit erfreuen möge und in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, auf Tagungen wie am Schreibtisch so erfolgreich weiterwirken kann. Er möge wissen, dass wir uns ihm – auf mannigfaltige Art – sehr verpflichtet fühlen.

Termine
Einladung: Kulturerbe Tanz in der DDR 22.01.2025 17:00 - 19:00 — Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Karl-Tauchnitz-Straße 1, 04103 Leipzig
Denkströme

Denkströme IconDas Open Access (Online-)Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften:

www.denkstroeme.de

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Diffusion Fundamentals IconInterdisziplinäres Online Journal für Diffusionstheorie in Kooperation mit der Universität Leipzig:
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Internationale Konferenzreihe:
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